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Zerstörungsbefunden in Arrabona-Győr, Brigetio-
Komárno, Gerulata-Rusovce und Quadrata-Lébény
als Konsequenz der Truppenkonzentration in
Carnuntum in Zusammenhang gebracht1012. Nach
stratigrafischen Überlegungen und dem Ausweis
glatter Terra Sigillata-Teller mittelgallischer und
Rheinzaberner Provenienz wurden die Brandstra-
ten in die Zeit um 170/178 n. Chr. datiert1013. Eine
homogene Brunnenverfüllung, die zumindest teil-
weise aus Brandschutt besteht, sowie ein Kellerob-
jekt mit Brandbefund der ersten Hälfte des 2. Jahr-
hunderts n. Chr. im Kastellvicus von Klosterneuburg
können nach der Zeitstellung nicht mit den Marko-
mannenkriegen in Verbindung gebracht werden1014.
M. Nagy geht ohne weitere Verifizierung 2003 noch
von einer Zerstörung der Siedlungen von Brigetio-
Komárno und Vindobona-Wien während der Mar-
komannenkriege aus1015. Anlässlich des Studiums
von Terra Sigillata aus Brigetio-Komárno äußerte
sich zuletzt T. Beck kritisch zu dieser Thematik:
»Im Laufe der Ausgrabungen in Brigetio konnte
eine eindeutig mit den Markomannenkriegen zu
verbindende, allgemeine Zerstörungsschicht nicht
beobachtet werden. Man kann jedoch etwa 60 ver-
brannte, Asche und Holzkohle oder rotverfärbte
Lehmziegelreste enthaltende stratigraphische Ein-
heiten anführen.«1016
Für die Brandzerstörung des am gegenüberliegen-
den Donauufer errichteten Holz-Erde-Lagers von
Celemantia-Iža liegt ein münzdatierter terminus post
quem für das Jahr 179 n. Chr. vor. Die mit einem
germanischen Angriff in Verbindung gebrachte
Brandkatastrophe fällt damit in den Zeitraum des
2. Markomannenkrieges (vgl. Kap. 2)1017. Die Situ-
ation ist bezüglich der Zusammensetzung der Mili-
taria insofern Regensburg-Kumpfmühl vergleichbar,
als dass spezifisch als ›germanisch‹ anzuspre-
chende Angriffswaffen fehlen (vgl. Kap. 16). Zu
den nach verbrannten Sigillaten postulierten Zer-
störungen in Aquincum-Budapest und Balàca vgl.
Kap. 11.1.2.5.3.1.
Die Diskussion der Verknüpfung antoninischer Zer-
störungsbefunde in Noricum (Abb. 37 Nr. 17 – 31)
wurde von verschiedener Seite betrachtet. Für Süd-
ostnoricum wurde nicht nur im Zusammenhang mit
archäologischen Ausgrabungen im Munizipium Fla-
via Solva-Wagna auf die Thematik eingegangen.
1012 Gabler 1989, 32 Abb. 11 (Grabenverfüllung); 35 f. 642. Gabler
1994, 358.
1013 Gabler 1989, 248 f. Abb. 95, 91 (Drag. 18/31, SEVERIANVS
F., Rheinzabern); 250 Nr. 113 – 114 (Drag. 18/31 oder 31, mit-
telgallisch); 642.
1014 Neugebauer u. a. 1998, 26 f.
1015 Nagy 2003, 223.
1016 Beck 2004, 245. Vgl. Kap. 11.1.2.5.3.1.
1017 Rajtár 1992, 155. 157 Tab. 1; 162; Kuzmová – Rajtár 1999,
130 – 133; Rajtár 2002, 104. 106 Tab. 1 – 2; Borhy u. a. 2003,
31 f.; Rajtár 2009, 126 f. Im Vicus von Kalsdorf konnte im Bereich unter
Gebäude 1 und Gebäude 2 (?) eine Brandschicht
festgestellt werden, deren Terra Sigillata-Spektrum
nach U. Lohner-Urban jenem der Periode II/II+ der
Insula XLI von Flavia Solva-Wagna entspricht1018.
Die Autorin bezeichnet die Möglichkeit einer Deu-
tung des Befundes in Zusammenhang mit den Mar-
komannenkriegen zwar als »verlockend«, lehnt eine
weitere Aussage zur Thematik unter Berufung auf
den Forschungsstand jedoch ab1019.
Ein während des ausgehenden 2. Jahr hunderts n.
Chr. für die Siedlungsentwicklung des Vicus
von Saaz konstatierter Hiatus wurde mit »wirt-
schaftlichen und sozialen Kollateralschäden« in
Zusammenhang gebracht1020. Brand- oder Zer-
störungsbefunde, die einen direkten ursächlichen
Zusammenhang mit einem Markomanneneinfall
erlauben würden, konnten bislang für diese Sied-
lungsstelle nicht nachgewiesen werden1021. Auch
für den Vicus von Gleisdorf konnte noch »kein
direkter Zusammenhang eines Zerstörungshori-
zontes mit den Markomannenkriegen festgestellt
werden […]«1022. Inwiefern verbrannte Terra Sigil-
lata-Fragmente entsprechender Zeitstellung aus
Gleisdorf1023 als Indizien für eine direkte Verknüp-
fung mit der Ereignisgeschichte heranzuziehen
sind, muss offenbleiben (vgl. Kap. 16).
Das Ende der Periode 1 der Villa von Rannersdorf
wird nach einer Grabenverfüllung in die Zeit um
170/180 n. Chr. datiert. Indizien, die einen Zusam-
menhang zwischen der Aufgabe der Villa der Peri-
ode 1 und einem germanischen Angriff oder Überfall
belegen, fehlen1024.
Die Zusammenstellung zeigt, dass Flavia Solva-
Wagna bislang die einzige Siedlung in Südostnori-
1018 Lohner-Urban 2009, 168 f. Anm. 95 (dort auf »Gebäude 1
und weiter südlich« beschränkt). Bei diesem »Brandhori-
zont« könnte es sich um die in der Publikation auf Beil. 7
(Gebäude 1, PQ 2N: Westprofil) verzeichneten Schichten 5
und 6 »dunkel–mittelbrauner, kieseliger Lehm mit HK und
Verziegelung« bzw. »gelbbrauner, kompakter Lehm mit HK
und Verziegelung« handeln. Es ist unklar, ob diese Schichten
bzw. das ›Stratum‹ »sandiger und verziegelter Lehm« (PQ
2J. 2K. 3K. 4K; Lohner-Urban 2009, 586 Tab. 15), welches
nach dem Fundspektrum zeitlich wohl um 170/180 n. Chr.
einzuordnen ist, konkret mit dem erwähnten »Brandhorizont«
korreliert werden dürfen. Von den in Tab. 15 aufgelisteten
Artefakten aus dem erwähnten ›Stratum‹ sind mehrere ver-
brannt: Lohner-Urban 2009a, 237. 270 Taf. 21, 237 (Drag. 37,
Laxtucissa); 237. 270 Taf. 21, 244 (Drag. 37, ≈ Censorinus/
Laxtucissa). Heymans – Hinker 2009, 204, Nr. 363 (Bronze-
fragmente).
1019 Lohner-Urban 2009, 169; vgl. Schachinger 2009, 515 Anm.
24.
1020 Sedlmayer – Tiefengraber 2006, 261.
1021 Sedlmayer – Tiefengraber 2006, 261.
1022 Maier 1995, 43.
1023 Maier 1995, 43 Anm. 206; Chornitzer 1995a, 126 f. Taf. 19, 6
(Drag. 37, B. F. Attoni).
1024 Schrettle – Tsironi 2007, 257.
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Ein Brandhorizont aus der Zeit der Markomannenkriege im südostnorischen Munizipium Flavia Solva
- Title
- Ein Brandhorizont aus der Zeit der Markomannenkriege im südostnorischen Munizipium Flavia Solva
- Author
- Christoph Hinker
- Publisher
- Österreichisches Archäologisches Institut
- Location
- Wien
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-900305-70-3
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 344
- Keywords
- Flavia Solva, materielle Kultur, Artefakt (Archäologie), Brom, Glimmergruppe, Insula, Magerung, Thüringische Drehscheibenkeramik
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Vorwort 7
- Einleitung 9
- 1 Lage 11
- 2 Historischer Kontext 15
- 3 Forschungsgeschichte 23
- 4 Forschungsmeinungen 27
- 5 Quellenkritik 31
- 6 Terminologie 35
- 7 Taphonomie 37
- 8 Exkurs: Korrespondierende Befunde im Munizipium Flavia Solva? 49
- 9 Die Architektur der Insula XLI (Haus I–VI) 51
- 10 Definition von Aktivitätszonen 57
- 10.1 Exkurs: Grube G21 66
- 10.2 Exkurs: Grube G32 72
- 11 Fundauswertung 77
- 12 Chronologie 153
- 13 Technologie und Werkstätten 157
- 14 Der Brandhorizont der Insula XLI im urbanen kultur-geschichtlichen Kontext von Flavia Solva 167
- 15 Brandzerstörungen aus der Zeit der Markomannenkriege in Noricum, Pannonien und Rätien 171
- 16 Diskussion: Ergebnisse und ihr Verhältnis zum historischen Kontext 179
- 16.1 Holzarchitektur 180
- 16.2 Schadensfeuer 180
- 16.3 Pompeji-Prämisse 180
- 16.4 Militaria 181
- 16.5 Menschliche Skelettreste 182
- 16.6 Übrige Funde, speziell Metallfunde 183
- 16.7 Bebauungsmuster der Insula XLI nach Periode II/II+ 184
- 16.8 Forschungsstand zu Flavia Solva 186
- 16.9 Die südostnorische Siedlungslandschaft und das Szenario eines Germaneneinfalls 186
- 16.10 Tradierung von Forschungsmeinungen versus kritischer Prüfung 187
- 16.11 Fragenkatalog und Synthese 187
- 17 Ausblick: Zur Frage der Historizität in der Provinzial- römischen Archäologie 189
- 18 Resümee 195
- 19 Katalog 199
- 20 Tafeln 263
- Tafeln 1 – 43 265
- Fototafeln 1–9 308
- Typentafel mit Tabellen 20 und 21 317
- 21 Anhang 321