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dass wir wohl davon ausgehen dürfen, dass der
›Krise‹ zur Zeit der Markomannenkriege durch
die Ausbreitung der sog. antoninischen Pest (vgl.
Kap. 2) eine zusätzliche Komponente und Dynamik
verliehen wurde.
Nach M. K. H. Eggert und J. Rüsen wäre es schließ-
lich Aufgabe einer dialektisch vorgehenden For-
schung, »die hermeneutisch und analytisch gewon-
nenen Ergebnisse zu verbinden, um historische
Prozesse als das Ergebnis einer offenen Beziehung
zwischen menschlichen Absichten und strukturellen
Gegebenheiten begreifbar zu machen«1162.
Für das konkrete Fallbeispiel wären verschiedene
(fiktive) Möglichkeiten des historischen Verlaufs
und der diesen beeinflussenden Strukturen zu dis-
kutieren und gegeneinander abzuwägen. Ergebnis
dieses Verfahrens soll schließlich die Präsentation
des als am plausibelsten erachteten rekonstruier-
ten möglichen historischen Verlaufs sein. Die Eva-
luierung der zum Thema vorliegenden Fakten und
Belege1163 anhand der erwähnten hermeneutischen
und einer analytischen Vorgehensweise kann dazu
beitragen, mögliche Rekonstruktionen auf plausi-
ble Verläufe einzugrenzen (vgl. Kap. 16). Nach M.
K. H. Eggert sei es Aufgabe »empirische Genau-
igkeit mit solider Reflexion der theoretischen Impli-
kationen archäologischer Deutung zu kombinieren
und auf dieser Grundlage ein archäologisch-histo-
riographisches Panorama einstiger Wirklichkeit zu
entwerfen«1164. Hinsichtlich der für das vorliegende
Fallbeispiel erhobenen und überprüften Fakten und
Interpretationen wäre diesbezüglich darauf zu ver-
weisen, dass sich die Einbettung des Brandbefun-
des der Insula XLI von Flavia Solva-Wagna in den
historischen Kontext der Markomannenkriege auf
den sich mit dem Zeitraum der Markomannenkriege
überschneidenden erarbeiteten Zeitpunkt des Bran-
dereignisses reduziert. Auf das Fehlen von Indizien,
die eindeutig eine gewaltsame Zerstörung von Häu-
sern in Flavia Solva-Wagna um 170 n. Chr. belegen
würden, ist in diesem Zusammenhang bereits hin-
gewiesen worden. Diese Überlegungen in die Ent-
scheidungsfindung miteinbeziehend, erscheint mir
bei derzeitigem Kenntnisstand die Möglichkeit eines
Schadensfeuers plausibler als eine Verknüpfung mit
kriegerischen Auseinandersetzungen. Jedoch lässt
sich weder die eine noch die andere Deutung mit
Sicherheit bestätigen oder ausschließen. Nach den
vorliegenden Indizien ist es lediglich möglich, eine
momentan als wahrscheinlicher zu betrachtende
Interpretation vorzuschlagen.
Eine kontrafaktische Geschichtsbetrachtung1165, die
schriftliche Überlieferungen für vorliegendes Fall-
1162 Eggert 2006, 209; vgl. Rüsen 1986, 101 f. 135 – 147.
1163 Vgl. Eggert 2002, 123 f.
1164 Eggert 2006, 218.
1165 Demandt 2011, 23 – 31. beispiel ausblendet, zeigt die hinsichtlich der histo-
rischen Deutung des Befundes mitunter festzustel-
lende massive Abhängigkeit von den Schriftquellen
und den aus diesen abgeleiteten Vorstellungen der
Bedrohung von römischen Siedlungen an der Bern-
steinstraße durch über diese Route nach Italien
einfallende Germanen deutlich. Wäre kein Einfall
der Germanen nach Oberitalien etc. in den Schrift-
quellen überliefert, würde man wohl kaum auf den
Gedanken kommen, den Brandhorizont der Holz-
Fachwerk-Häuser der Periode II/II+ der Insula XLI
von Flavia Solva-Wagna mit einem kriegerischen
Ereignis in Verbindung zu bringen. In Zusammen-
hang mit der Provinzialrömischen Archäologie
eine ›Tyrannei der Schriftquellen‹1166 zu beklagen,
erscheint allerdings unangebracht. Archäologische
Befunde können, aber müssen nicht zwingend
Ereignisse illustrieren, die durch antike Schriftquel-
len überliefert sind.
Falls es gelungen ist, mit diesem knappen Ausblick
innerhalb des Faches eine tiefer gehende Diskus-
sion über den Stellenwert der und den Umgang
mit der Verknüpfung provinzialrömischer Befunde
mit der durch Schriftquellen bezeugten Ereignisge-
schichte anzuregen, ist ein erster Schritt zur Refle-
xion und Revision dieser Thematik erfolgt. Ich hoffe,
mit der vorliegenden Arbeit einen initialen Beitrag
dazu geleistet zu haben.
1166 Zum verwendeten Begriff in Zusammenhang mit der Mittel-
alterarchäologie: Scholkmann 2003, 240 f.; Frommer 2007,
119 f.
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Ein Brandhorizont aus der Zeit der Markomannenkriege im südostnorischen Munizipium Flavia Solva
- Title
- Ein Brandhorizont aus der Zeit der Markomannenkriege im südostnorischen Munizipium Flavia Solva
- Author
- Christoph Hinker
- Publisher
- Österreichisches Archäologisches Institut
- Location
- Wien
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-900305-70-3
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 344
- Keywords
- Flavia Solva, materielle Kultur, Artefakt (Archäologie), Brom, Glimmergruppe, Insula, Magerung, Thüringische Drehscheibenkeramik
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Vorwort 7
- Einleitung 9
- 1 Lage 11
- 2 Historischer Kontext 15
- 3 Forschungsgeschichte 23
- 4 Forschungsmeinungen 27
- 5 Quellenkritik 31
- 6 Terminologie 35
- 7 Taphonomie 37
- 8 Exkurs: Korrespondierende Befunde im Munizipium Flavia Solva? 49
- 9 Die Architektur der Insula XLI (Haus I–VI) 51
- 10 Definition von Aktivitätszonen 57
- 10.1 Exkurs: Grube G21 66
- 10.2 Exkurs: Grube G32 72
- 11 Fundauswertung 77
- 12 Chronologie 153
- 13 Technologie und Werkstätten 157
- 14 Der Brandhorizont der Insula XLI im urbanen kultur-geschichtlichen Kontext von Flavia Solva 167
- 15 Brandzerstörungen aus der Zeit der Markomannenkriege in Noricum, Pannonien und Rätien 171
- 16 Diskussion: Ergebnisse und ihr Verhältnis zum historischen Kontext 179
- 16.1 Holzarchitektur 180
- 16.2 Schadensfeuer 180
- 16.3 Pompeji-Prämisse 180
- 16.4 Militaria 181
- 16.5 Menschliche Skelettreste 182
- 16.6 Übrige Funde, speziell Metallfunde 183
- 16.7 Bebauungsmuster der Insula XLI nach Periode II/II+ 184
- 16.8 Forschungsstand zu Flavia Solva 186
- 16.9 Die südostnorische Siedlungslandschaft und das Szenario eines Germaneneinfalls 186
- 16.10 Tradierung von Forschungsmeinungen versus kritischer Prüfung 187
- 16.11 Fragenkatalog und Synthese 187
- 17 Ausblick: Zur Frage der Historizität in der Provinzial- römischen Archäologie 189
- 18 Resümee 195
- 19 Katalog 199
- 20 Tafeln 263
- Tafeln 1 – 43 265
- Fototafeln 1–9 308
- Typentafel mit Tabellen 20 und 21 317
- 21 Anhang 321