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GRAF EGBERT BELCREDI – DER „ECHTE“ KONSERVATIVE 25
herrn Baron Arthur Königsbrunn verkehrte. Vor allem im östlichen Teil des
Landes, der mährischen Slowakei, stand der Hochadel (Familien wie die
Serényi, Stillfried, Seilern und Logothetti) mehrheitlich hinter Belcredi. Al-
lerdings fühlten sich die meisten von ihnen mehr dem katholischen Stand-
punkt verpflichtet und beobachteten mit Argusaugen alle hussitischen oder
deutschfeindlichen Ausfälle. Die Tabors, die Volksversammlungen unter
freiem Himmel als machtvolle Demonstration der tschechischen National-
bewegung, die Belcredi Bewunderung einflößten, verschreckten viele seiner
Standesgenossen und ließen die anfangs ziemlich ausgeglichene Stimmung
im Großgrundbesitz zunehmend nach links kippen, hin zur Verfassungspar-
tei, die mit den Deutschliberalen ging.53
Vor allem aber wollten viele Adelige in ihrer Opposition gegen den Kai-
ser nicht so weit gehen, wie Belcredi und die unbeugsamen Verfechter des
böhmischen Staatsrechts es von ihnen verlangten. Sie hielten den Boykott des
Reichsrats für widersinnig, weil man sich damit bloß gewisser Einflussmög-
lichkeiten begebe. Viele Konservative teilten Belcredis Befürchtungen über
die eingeschlagene Richtung der Politik, aber ihre Unzufriedenheit mit dem
augenblicklichen Zustand war keine so fundamentale, dass sie große Um-
wälzungen ohne Bedenken begrüßt hätten. Eine Politik, die auf den großen
Kladderadatsch baute, war ihnen zu riskant.54 Man mochte sich fragen, ob es
mit Adelspolitik noch vereinbar war, wenn Belcredi bei den Wahlen des Jah-
res 1871 nicht bloß die Hilfe der Regierung in Anspruch nahm, sondern den
Druck „gleichzeitig von oben und von unten organisieren“ wollte.55 Damals
wollte er durch Bauerndeputationen gezielt Druck auf schwankende Gutsbe-
sitzer ausüben, und er sandte seinem Vertrauten, dem Kaplan seines Guts-
nachbarn Mittrowsky, eine Liste der Großgrundbesitzer, „denen das Mittel
einzugeben wäre“, zwar in „Ton und Melodie nach der betreffenden Persön-
lichkeit“56 abgestimmt, aber ganz unverhohlen mit dem Zweck, die betreffen-
den Herren einzuschüchtern und zumindest zur Wahlenthaltung zu bewegen.
Freilich, nicht allein um konventionelle Politik war es Belcredi zu tun,
um den Gewinn von Mehrheiten und die Möglichkeit, den einen oderen an-
53 Seltener handelte es sich um den umgekehrten Fall, wie z. B. bei den Logothettis, Anhän-
ger der nationalen Partei, die den Klerikalen misstrauten; vgl. den Brief Anton Ledóchow-
skis vom 27.6.1873.
54 Briefe August Fries vom 6./10.7.1873.
55 Brief an Brandl, 25.6.1871.
56 Brief an Hošek, 25.7. u. 16.8.1871. In einem undatierten Brief aus dem Jahre 1871 pole-
misierte Felix Vetter von der Lilie gegen die Formulierung Belcredis, „man möge sich zu
Gemüte führen, dass man sich in schroffer Opposition gegen den festen Willen der Majori-
tät des Volkes, unter welchem man lebt, unliebsamen Verhältnissen und vielleicht sogar
Gefahren aussetze.“
Die Tagebücher des Grafen Egbert Belcredi 1850–1894
- Title
- Die Tagebücher des Grafen Egbert Belcredi 1850–1894
- Authors
- Lothar Höbelt
- Johannes Kalwoda
- Editor
- Jiří Malíř
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20067-3
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 1144
- Categories
- Geschichte Vor 1918
Table of contents
- Vorwort und Editionsrichtlinien 7
- Siglen- und Abkürzungsverzeichnis 11
- Lothar Höbelt: Graf Egbert Belcredi – der „echte“ Konservative 15
- Jiří Malíř: Antonín Okáč – Leben und Werk des Herausgebers der
- Tagebücher und Korrespondenz Egbert Belcredis 39
- Bildtafeln 65
- Tagebuchaufzeichnungen 73
- 1850 75
- 1851 91
- 1852 104
- 1853 126
- 1854 145
- 1855 156
- 1856 170
- 1857 182
- 1858 189
- 1859 193
- 1860 195
- 1862 199
- 1863 212
- 1864 223
- 1865 255
- 1866 262
- 1867 307
- 1868 339
- 1869 353
- 1870 355
- 1871 356
- 1872 367
- 1873 375
- 1874 384
- 1875 400
- 1876 449
- 1877 497
- 1878 504
- 1879 530
- 1880 565
- 1881 589
- 1882 611
- 1883 653
- 1884 700
- 1885 728
- 1886 770
- 1887 793
- 1888 838
- 1889 881
- 1890 905
- 1891 945
- 1892 979
- 1893 1016
- 1894 1042
- Anhang 1059
- Anhang 1: Promemoria Graf Egbert Belcredis: Ideen zu einer
- Reform des Adels 1059
- Anhang 2: Promemoria Egbert Belcredis [zum Vaterland] 1067
- Anhang 3: Promemoria Graf Egbert Belcredis für den Brünner
- Bischof Franz Bauer 1074
- Wiederkehrende Wörter und Wendungen 1079
- Tschechisch 1079
- Lateinisch 1081
- Ortsnamenkonkordanz 1082
- Deutsch – Tschechisch 1082
- Tschechisch – Deutsch 1086
- Literatur und Nachschlagewerke 1091
- Namensregister (Auswahl) 1115