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Lösch, 20. Dezember 1853
Ich will als unbestreitbar voraussetzen, dass unsre innere Politik seit dem
Jahre 1848 genötigt und dadurch berechtigt sei, die Geschäfte der Verwal-
tung, die man gemeiniglich die Regierung nennt, in Taglohn durch bezahlte
Beamte und eine eigentliche Schreiberzunft besorgen zu lassen. Die Unfä-
higkeit der zur Verwaltung berufenen Klassen, nämlich der Besitzenden,
Unabhängigen und Gebildeten, in einem Teile des Reichs, der üble Wille
und übelangewendete Trotz in einem andern (Ungarn) und die offenen Re-
bellions- und Losreißungsgelüste in einem dritten (Italien) mögen ihr keine
andre Wahl lassen. Schlechte Motive und Leidenschaften mischen sich dann
auch hier ein, suchen ihren Vorteil im Protektionswesen, Nepotismus sei-
tens der Machthaber, in der Stellen- und Ämterjägerei seitens vieler ar-
beitsscheuer, erwerbsloser, größtenteils unfähiger und sonst bedenklicher
Individuen auf Kosten des Monarchen und des Volkes. Und [sie] wissen ih-
rem Interesse zu dienen, indem sie den Erstern in dem Wahn erhalten, er
herrsche absolut, und das Letztere, nämlich den für den Augenblick vorwie-
genden [Teil des Volkes], das Bürgertum in dem gleich irrigen [Wahn], dass
dieses herrsche, weil die Beamten diesem Stande angehören!
Ein Blick auf diese faktischen Zustände reicht hin, die Unnatur in den-
selben, die Sophistik in dem Räsonnement zu enthüllen, welches diesen Zu-
stand stützen und nach Möglichkeit erhalten und verlängern will.
Der Absolutismus in abstracto, angewandt auf menschliche Macht und
Gewalt überhaupt, ist ein logisches Unding. Der Mensch selbst ist in endli-
che Schranken gebannt, und keine von ihm ausgehende Willens- oder Tätig-
keitsäußerung kann unendlich, also unbeschränkt, absolut sein. Die höchste
Gewalt kann daher nur die Ausübung der Kraft innerhalb ihrer natürlichen
Grenzen sein, eine Kraft ohne gesetzlichen Widerstand kann daher gar nicht
gedacht werden, da sie an diesem erst zum Bewusstsein kommt.
Es schmeichelt aber dem menschlichen Hochmut, sich in den Wahn nicht
der Gottähnlichkeit, sondern der Gleichheit mit Gott hineinzuträumen; denn
nur Gott ist absolut. Und schlau wird dies benützt, den Machthabern der
Erde den Wahn zu erhalten, damit sie die Wahrheit nicht erkennen. Eritis
sicut Deus!190
Ebenso irrig ist es, einem Stande weiß zu machen, er herrsche, weil aus
diesem Stande Entsprossene in einer Berufsklasse wie die der Beamten die
Mehrzahl bilden. Eben weil ihr Lebensberuf darin besteht, vom Verdienst
der Arbeit in der Regierungswerkstätte zu leben, weil ihr Interesse ein ganz
andres, wo nicht überhaupt kein Standes-, sondern ein rein egoistisches In-
190 Genesis 3, 5: Eritis sicut deus, scientes bonum et malum: Ihr werdet wie Gott und erkennt
Gut und Böse.
Open Access © 2016 by BÖHLAU VERLAG GMBH & CO.KG, WIEN KÖLN WEIMAR
Die Tagebücher des Grafen Egbert Belcredi 1850–1894
- Title
- Die Tagebücher des Grafen Egbert Belcredi 1850–1894
- Authors
- Lothar Höbelt
- Johannes Kalwoda
- Editor
- Jiří Malíř
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20067-3
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 1144
- Categories
- Geschichte Vor 1918
Table of contents
- Vorwort und Editionsrichtlinien 7
- Siglen- und Abkürzungsverzeichnis 11
- Lothar Höbelt: Graf Egbert Belcredi – der „echte“ Konservative 15
- Jiří Malíř: Antonín Okáč – Leben und Werk des Herausgebers der
- Tagebücher und Korrespondenz Egbert Belcredis 39
- Bildtafeln 65
- Tagebuchaufzeichnungen 73
- 1850 75
- 1851 91
- 1852 104
- 1853 126
- 1854 145
- 1855 156
- 1856 170
- 1857 182
- 1858 189
- 1859 193
- 1860 195
- 1862 199
- 1863 212
- 1864 223
- 1865 255
- 1866 262
- 1867 307
- 1868 339
- 1869 353
- 1870 355
- 1871 356
- 1872 367
- 1873 375
- 1874 384
- 1875 400
- 1876 449
- 1877 497
- 1878 504
- 1879 530
- 1880 565
- 1881 589
- 1882 611
- 1883 653
- 1884 700
- 1885 728
- 1886 770
- 1887 793
- 1888 838
- 1889 881
- 1890 905
- 1891 945
- 1892 979
- 1893 1016
- 1894 1042
- Anhang 1059
- Anhang 1: Promemoria Graf Egbert Belcredis: Ideen zu einer
- Reform des Adels 1059
- Anhang 2: Promemoria Egbert Belcredis [zum Vaterland] 1067
- Anhang 3: Promemoria Graf Egbert Belcredis für den Brünner
- Bischof Franz Bauer 1074
- Wiederkehrende Wörter und Wendungen 1079
- Tschechisch 1079
- Lateinisch 1081
- Ortsnamenkonkordanz 1082
- Deutsch – Tschechisch 1082
- Tschechisch – Deutsch 1086
- Literatur und Nachschlagewerke 1091
- Namensregister (Auswahl) 1115