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LÖSCH, 24. MAI 1878 507
dung von Bauernvereinen und dgl. Dem trefflichen Manne tut die Einsam-
keit nicht gut, er bedarf mehr geistiger Anregung und des Verkehrs mit
Männern, die ihm solche geben. – 11 Jahre lebte er in der Stadt, war Re-
dakteur des Hlas, las viele Zeitungen und Sonstiges, jetzt sitzt er ohne allen
Weltverkehr in dem einsamen Pfarrdorf. Der Übergang ist zu grell und nicht
ohne große Gefahren.
Lösch, 23. Mai 1878
Heute Früh über Brünn und Neslovic nach Zbeschau zu Bergdirektor Honl.
Auf Nachmittag hatte er 19 Gemeindevorsteher eingeladen, mit welchen ich
die allgem[eine] Lage und den Verfall des Bauernstandes [so]wie die Mittel,
dem [gegen]zusteuern, und die Notwendigkeit einer ständischen Organisa-
tion besprach. Bei Bier und Zigarre ist solches eindringlicher und wirksa-
mer als alle Wählerversammlungen. Wir fanden uns mit unsern Ansichten
in schönster Übereinstimmung, und alle stimmten meinen Vorschlägen zur
Abhilfe bei. Der Anfang scheint Gutes zu versprechen. Ist fortzusetzen.
Auch da zeigte sich ein wahrer Hass gegen alle Advokaten, der hoffentlich
überall mit ihrer Ausschließung bei den Wahlen des flachen Landes enden
wird und uns zu einer Bauern- und Grundbesitzerpartei führt. Diese natio-
nale Intelligenz, welche die Nationalität allein gepachtet haben und die Na-
tion in Schlaf und Untätigkeit (Svornost1253 und Sjednocenost1254 genannt!)
erhalten will, um ungestört die Schäfchen zu scheren, gerät immer über
meine „Agitation“ in gewaltigen Schreck und Zorn.
Lösch, 24. Mai 1878
Auch heute Nachmittag zu einer Bauernzusammenkunft nach Slapánic ge-
fahren. Die Lage, Notwendigkeit und das Ziel einer Standesorganisation be-
sprochen. Schauderhafte Dinge von der Art und in Unzahl vernommen, wie
die Herrn Advokaten trotz vlastenectví und národovství1255 die Bauern, ihre
Wähler, schinden und um Hab und Gut bringen. Der Hass ist deshalb allge-
mein gegen diese „Führer“. Wo finde ich indes Gehilfen? Mir allein wird die
Arbeit zu schwer, zumal ich dieselbe nur mehr im Drang der Notwendigkeit
und im Gefühl der Pflicht, aber nicht mehr mit der Lust und Freude ver-
richte wie in den vergangenen Tagen des Glücks.1256
1253 Einheit, Eintracht.
1254 Geschlossenheit.
1255 Volkstum.
1256 Anspielung auf den Tod seiner Ehefrau Christine im Jahr zuvor.
Die Tagebücher des Grafen Egbert Belcredi 1850–1894
- Title
- Die Tagebücher des Grafen Egbert Belcredi 1850–1894
- Authors
- Lothar Höbelt
- Johannes Kalwoda
- Editor
- Jiří Malíř
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20067-3
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 1144
- Categories
- Geschichte Vor 1918
Table of contents
- Vorwort und Editionsrichtlinien 7
- Siglen- und Abkürzungsverzeichnis 11
- Lothar Höbelt: Graf Egbert Belcredi – der „echte“ Konservative 15
- Jiří Malíř: Antonín Okáč – Leben und Werk des Herausgebers der
- Tagebücher und Korrespondenz Egbert Belcredis 39
- Bildtafeln 65
- Tagebuchaufzeichnungen 73
- 1850 75
- 1851 91
- 1852 104
- 1853 126
- 1854 145
- 1855 156
- 1856 170
- 1857 182
- 1858 189
- 1859 193
- 1860 195
- 1862 199
- 1863 212
- 1864 223
- 1865 255
- 1866 262
- 1867 307
- 1868 339
- 1869 353
- 1870 355
- 1871 356
- 1872 367
- 1873 375
- 1874 384
- 1875 400
- 1876 449
- 1877 497
- 1878 504
- 1879 530
- 1880 565
- 1881 589
- 1882 611
- 1883 653
- 1884 700
- 1885 728
- 1886 770
- 1887 793
- 1888 838
- 1889 881
- 1890 905
- 1891 945
- 1892 979
- 1893 1016
- 1894 1042
- Anhang 1059
- Anhang 1: Promemoria Graf Egbert Belcredis: Ideen zu einer
- Reform des Adels 1059
- Anhang 2: Promemoria Egbert Belcredis [zum Vaterland] 1067
- Anhang 3: Promemoria Graf Egbert Belcredis für den Brünner
- Bischof Franz Bauer 1074
- Wiederkehrende Wörter und Wendungen 1079
- Tschechisch 1079
- Lateinisch 1081
- Ortsnamenkonkordanz 1082
- Deutsch – Tschechisch 1082
- Tschechisch – Deutsch 1086
- Literatur und Nachschlagewerke 1091
- Namensregister (Auswahl) 1115