Page - 109 - in Ernst Lothar - Schriftsteller, Kritiker, Theaterschaffender
Image of the Page - 109 -
Text of the Page - 109 -
etwas wie ein Edeldefraudant« 57 wird, auch Else selbst verwandelt sich in eine
fast neue Figur, sie ist in der Bühnenversion naiv und kind lich, ohne jeg
liche
aufkeimende Erotik.58
In Bezug auf Lothars Bühnenfassung schieden sich die Geister. Manche
Rezensenten lobten uneingeschränkt, wie er zum Großteil mit Schnitzlers
Worten »die starke Spannung aus Fräulein Elses Monolog herauszudestillieren
verstand« 59, andere relativierten dies.60 Einzig Friedrich Torberg äußerte sich in
seiner Kritik ausschließ lich negativ über Lothars im Rahmen des »Spielplans
der Dichtung« am 2. Dezember 1936 uraufgeführte Schnitzler-
Adaptierung:
Es ist eine alte Überlegung, die sich auf Grund der Qualität von Knoblauch einerseits
und Schokolade andererseits fragt, wie gut erst Knoblauch mit Schokolade sein müsse.
Ähn
lich erwartungsfroh mag auch Ernst Lothar, in seiner Eigenschaft als Direktor
des Josefstädter Theaters, die Schnitzler- Novelle »Fräulein Else« dramatisiert und zur
Aufführung gebracht haben. Schnitzler ist gut, Josefstadt ist gut – wie gut … Frei lich
zeigte sich schon in Wien, daß die Bearbeitung doch eher vom Direktor des Josef-
städter Theaters in seiner Eigenschaft als Ernst Lothar vorgenommen worden war.
Will sagen: daß die dramatischen Ergebnisse dem direktoralen Wunsch nicht völlig
entsprachen. (Will eigent lich mehr sagen, kann aber nicht.) Daß diese klas sische
Monolognovelle auf der Bühne zu kurz kommen muß, und infolgedessen kommt sie
zu lang, um mindestens zwei Bilder. Dramatisch ist sie näm
lich schon dort zu Ende,
wo Else den Gruß Dorsdays erwidert. Es wäre denn, daß sich noch ein Umschwung
begäbe. Der begibt sich aber nicht, sondern Else ganz folgerichtig auf die Szene, wo
sie ausführ lich zusammenbricht und stirbt. Immerhin: Josefstadt ist gut.61
Die Leistung der Schauspieler unter Hans Thimigs Regie wurde in sämt lichen
Rezensionen als sehr gut erachtet, besonders begeistert zeigten sich die Kritiker
von Kaspar Brandhofer, »der sich in einer ungemein schwierigen Aufgabe als
Künstler von bemerkenswerter Eigenart und faszinierender Intensität erwies« 62.
Obschon die einen »ein Zuviel an Mimik« konstatierten und fanden, dass seine
57 Neue Freie Presse, 4. 12. 1936, S. 8; Neues Wiener Tagblatt, 5. 12. 1936, S. 12.
58 Vgl. Neues Wiener Journal, 3. 12. 1936, S. 14, vgl. auch Brünner Tagesbote, 6. 12. 1936, S. 7.
59 Prager Tagblatt, 4. 12. 1936, S. 6. Vgl. auch Wiener Zeitung, 4. 12. 1936, S. 8; Der Tag, 4. 12. 1936;
Deutsche Zeitung Bohemia, 8. 12. 1936; Wiener Bilder, 13. 12. 1936, S. 10.
60 Neue Freie Presse, 3. 12. 1936, S. 10 und 4. 12. 1936, S. 8.
61 Friedrich Torberg: Das fünfte Rad am Thespiskarren. Theaterkritiken, S. 15.
62 Neue Freie Presse, 3. 12. 1936, S. 10.
1935 – 1938: Theater in der Josefstadt 109
Open Access © 2016 by BÖHLAU VERLAG GMBH & CO.KG, WIEN KÖLN WEIMAR
Ernst Lothar
Schriftsteller, Kritiker, Theaterschaffender
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Ernst Lothar
- Subtitle
- Schriftsteller, Kritiker, Theaterschaffender
- Author
- Dagmar Heißler
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-20145-8
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 484
- Keywords
- österreichischer Schriftsteller, unveröffentlichte Werke und Korrespondenz, literarische Einflüsse und Beziehungen, Rezeption, Emigration, Theater
- Category
- Biographien
Table of contents
- 1. Einleitung 9
- 2. Quellenlage 15
- 3. 1890 – 1925: Literarische Nachwuchshoffnung 27
- 4. 1925 – 1935: »Einer jener Kritiker, die auch ein Stück Theaterdirektor sind« 53
- 5. 1935 – 1938: Theater in der Josefstadt – Max Reinhardts »rechte Hand und linker Fuß« 99
- 6. 1938 – 1946: Exil – »Emigrieren ist eine Sache für junge Menschen, die sich nicht erinnern« 135
- 7. 1946 – 1950: Rückkehr – »… und in Lothars Lager war Österreich« 243
- 8. 1950 – 1959: »Von allen meinen Kritikern bin ich der unerbittlichste« 293
- 9. 1959 – 1974: »… und so muss ein Stückchen Torso für ein Stückchen Ganzes gelten« 335
- 10. Schluss 373
- Literaturverzeichnis 385
- Anhang 415
- Bibliographie Ernst Lothar 415
- Selbstständige Publikationen 415
- Unselbstständige Publikationen 421
- Inszenierungen 464
- Zeittafel 467
- Personenregister 473
- Werkregister 478