Page - 136 - in Ernst Lothar - Schriftsteller, Kritiker, Theaterschaffender
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Ich möchte unbedingt in die Heimat zurückkehren. Dort liegt das Grab meiner Toch-
ter Agathe, dort sind alle meine Erinnerungen. Da ich aber, von meinem Häuschen
und einer 200 RM-Pension abgesehen, über Vermögen nicht verfüge, müßte ich dort
eine Verdienstmög lichkeit haben. Meine Fähigkeiten und Kenntnisse sind die eines
Schriftstellers und Theaterfachmannes; andere besitze ich nicht. Besteht die min-
deste Aussicht, daß ich meinen und meiner Tochter Unterhalt damit in Wien oder an
irgend einem anderen Ort des Reiches verdiene? Sollte dies der Fall sein, würde ich,
sobald ich wiederhergestellt und arbeitsfähig bin, unverweilt zurückkehren. Besteht
die Mög
lichkeit aber nicht, dann ergibt sich zwingend die Folge, daß ich im Auslande
versuchen muß, dort zu arbeiten, wo sich mir eine Mög lichkeit bietet. Wie ungern
ich dies täte, bleibe beiseite. Bin ich aber dazu genötigt, dann möchte ich zumindest
nicht im Verrufe eines Flüchtlings oder politischen Emigranten stehen. […]
Ich erwähne dies alles, weil daraus vielleicht deut
lich wird, daß ich mich nicht als
Emigrant fühlen kann, der sich Pfichten entzieht. Ich war lebenslang bemüht, meine
Pfichten zu erfüllen und habe dies nach Grundsätzen getan, die mir als das Gegenteil
von schädigenden Grundsätzen erscheinen. Politisch habe ich mich nie betätigt, ich habe
sehr an meiner österreichischen Heimat gehangen. Mit gegebenen Tat
sachen mich end-
gültig abzufinden, hat das Leben, das mich hart genug in die Schule nahm, mich längst
gelehrt. Es ist mir nicht zuzumuten, daß ich auf irgendeine Art unerwünscht hervortrete.
Hiermit, sehr geehrter Herr Direktor, bin ich am Ende. Nicht nur meinem Nach-
folger im Amte, auch dem Leiter des Rings der Bühnenkünstler gilt mein Schreiben,
dessen Gebrauch ich in Ihr Ermessen stelle. Ich erbitte darauf eine Antwort, die
mich in die Lage setzt, lebenswichtige Entscheidungen zu treffen. Auch ohne an Ihre
freund liche menschliche Teilnahme zu apellieren [sic], bin ich gewiß, daß Sie diesen
Zeilen entnehmen werden, wie bedrängt unsere Lage ist.4
Auffallend ist auch, dass Lothar eine Erkrankung als Grund für seine »Reise«
anführt sowie die Bereitschaft bekundet, nach Österreich bzw. in das Deutsche
Reich zurückzukehren. Dass die Flucht ihn psychisch und phy
sisch beansprucht
hat, steht fest. An seine ehemalige Sekretärin am Theater in der Josefstadt hatte
er kurz nach Erreichen der Schweiz geschrieben, dass er nach seiner Ankunft »so
krank« war, dass er »zunächst 10 volle Tage im Bett bleiben muss, ohne [s]ich zu
rühren«: »Die vielen Aufregungen haben das Herz, das ja nie sehr fest war, kaputt
gemacht.« 5
4 Brief von EL an Robert Valberg. Einigen/Thunersee, Ostermontag [18. April] 1938. a. a. O. –
Ein Antwortschreiben Valbergs ist nicht überliefert.
5 Brief von EL an Josefine Holmann. Spiez, [21.] März 1938. WBR, ZPH 922a.
1938 – 1946:
Exil136
Open Access © 2016 by BÖHLAU VERLAG GMBH & CO.KG, WIEN KÖLN WEIMAR
Ernst Lothar
Schriftsteller, Kritiker, Theaterschaffender
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Ernst Lothar
- Subtitle
- Schriftsteller, Kritiker, Theaterschaffender
- Author
- Dagmar Heißler
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-20145-8
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 484
- Keywords
- österreichischer Schriftsteller, unveröffentlichte Werke und Korrespondenz, literarische Einflüsse und Beziehungen, Rezeption, Emigration, Theater
- Category
- Biographien
Table of contents
- 1. Einleitung 9
- 2. Quellenlage 15
- 3. 1890 – 1925: Literarische Nachwuchshoffnung 27
- 4. 1925 – 1935: »Einer jener Kritiker, die auch ein Stück Theaterdirektor sind« 53
- 5. 1935 – 1938: Theater in der Josefstadt – Max Reinhardts »rechte Hand und linker Fuß« 99
- 6. 1938 – 1946: Exil – »Emigrieren ist eine Sache für junge Menschen, die sich nicht erinnern« 135
- 7. 1946 – 1950: Rückkehr – »… und in Lothars Lager war Österreich« 243
- 8. 1950 – 1959: »Von allen meinen Kritikern bin ich der unerbittlichste« 293
- 9. 1959 – 1974: »… und so muss ein Stückchen Torso für ein Stückchen Ganzes gelten« 335
- 10. Schluss 373
- Literaturverzeichnis 385
- Anhang 415
- Bibliographie Ernst Lothar 415
- Selbstständige Publikationen 415
- Unselbstständige Publikationen 421
- Inszenierungen 464
- Zeittafel 467
- Personenregister 473
- Werkregister 478