Page - 153 - in Ernst Lothar - Schriftsteller, Kritiker, Theaterschaffender
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an die Front, wo er auch seinem Bruder Otto, der sich als Reserveoffizier im
Kampfeinsatz befindet, in dessen letzter Stunde zur Seite steht.
Im dritten Teil (»Unmenschlichkeit«) wird die Zeitspanne von 1918 bis 1939
geschildert. Lili und Peter heiraten und bekommen einen Sohn und eine Tochter.
Peter wird Richter. Er hasst die Sozialdemokraten und sympathisiert mit der
Heimwehrbewegung, was seine Frau »durchaus versteht« 89.
Selbst als Hitler in Deutschland zur Macht kommt, findet sich in Dollfuß der Retter
Österreichs, und der Optimist Richard prophezeit eine neue große Zukunft. Da
kommt fast über Nacht der Anschluß, und ebenso plötz
lich und ebenso katastrophal
taucht für die Familie Weißberg eine ihr vollkommen neue Frage auf: die Rassen-
frage. Seit sie in Wien wohnen, hat niemand sich darum gekümmert, welcher Rasse
sie waren. Sie waren Österreicher und haben wie viele ihresgleichen Österreich Ehre
gemacht – diejenigen, die den ersten und zweiten Teil dieses Romans gelesen haben,
wissen das unzweifelhaft. Über Nacht aber ist das anders geworden, weil Weißbergs
Juden sind. Das will Richard nicht glauben! »Was hat mein Vater, was haben meine
Brüder und ich für Österreich getan! Unmög
lich kann das vergessen worden sein!« Das
sagt er dem höhnischen jungen Menschen, der ihn mit ein paar anderen [n]achts aus
dem Bett holt, Haussuchung bei ihm hält und ihn schließ lich verhaftet: sein eigener
Enkel [sic] tut ihm diese Schande an, Ottos nichtsnutziger Sohn Günther, jetzt bei
der S. A. […] Und Lilis beide Kinder, die von der Abstammung ihrer Mutter nichts
wissen, kommen aus der Schule und sagen begeistert: »Mutter, heute haben wir alle
Juden aus unserer Klasse hinausgeprügelt! Die Juden sind Schweine!« 90
Kurz darauf bietet Lili Peter die Scheidung an, um so seine Karriere und die
Zukunft der Kinder zu sichern, er will aber davon nichts hören. Als sein Vater
fordert, er möge sich von Lili trennen, empört sich Peter: »Meinst du, daß ich
mein Gesetzbuch nicht […] kenne […]? […] Daß Judentum ein Verbrechen
ist, steht nicht drin! Eine Rechtsordnung, die das Geborenwerden als ein neues
Verbrechen erklärt, erkenne ich nicht an!« 91 Dass dann auch noch der Justizmi-
nister von ihm verlangt, sich für die Partei zu entscheiden, ist Grund genug für
ihn, mit Frau und Kindern nach Amerika auszuwandern. Lilis Vater Richard
aber möchte Österreich nicht verlassen; sobald die Kinder und Enkel weg sind,
89 Ebd., S. 4.
90 Ebd., S. 3 f.
91 Ebd., S. 5 f.
Eine »Österreichische Bühne« in New York 153
Open Access © 2016 by BÖHLAU VERLAG GMBH & CO.KG, WIEN KÖLN WEIMAR
Ernst Lothar
Schriftsteller, Kritiker, Theaterschaffender
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Ernst Lothar
- Subtitle
- Schriftsteller, Kritiker, Theaterschaffender
- Author
- Dagmar Heißler
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-20145-8
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 484
- Keywords
- österreichischer Schriftsteller, unveröffentlichte Werke und Korrespondenz, literarische Einflüsse und Beziehungen, Rezeption, Emigration, Theater
- Category
- Biographien
Table of contents
- 1. Einleitung 9
- 2. Quellenlage 15
- 3. 1890 – 1925: Literarische Nachwuchshoffnung 27
- 4. 1925 – 1935: »Einer jener Kritiker, die auch ein Stück Theaterdirektor sind« 53
- 5. 1935 – 1938: Theater in der Josefstadt – Max Reinhardts »rechte Hand und linker Fuß« 99
- 6. 1938 – 1946: Exil – »Emigrieren ist eine Sache für junge Menschen, die sich nicht erinnern« 135
- 7. 1946 – 1950: Rückkehr – »… und in Lothars Lager war Österreich« 243
- 8. 1950 – 1959: »Von allen meinen Kritikern bin ich der unerbittlichste« 293
- 9. 1959 – 1974: »… und so muss ein Stückchen Torso für ein Stückchen Ganzes gelten« 335
- 10. Schluss 373
- Literaturverzeichnis 385
- Anhang 415
- Bibliographie Ernst Lothar 415
- Selbstständige Publikationen 415
- Unselbstständige Publikationen 421
- Inszenierungen 464
- Zeittafel 467
- Personenregister 473
- Werkregister 478