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Drei Persön
lichkeiten, deren Tod Zäsuren in der Geschichte Österreichs bedeuteten,
bestimmen also die Gliederung des Romans. Die Geschichte der gutbürger
lichen
Wiener Klavierbauerfamilie Alt entwickelt sich um die Historie Österreichs und
begleitet sie. Durch die unterschied lichen Charaktere der Familie, die die poli-
tischen, weltanschau
lichen und ideolo
gischen Strömungen in der Habsburgermo-
narchie bzw. der Ersten Republik abdecken sollen, versucht Lothar, ein Spektrum
der damaligen Anschauungen und Einstellungen zu bieten. Die erste Zäsur ist
der Selbstmord Kronprinz Rudolfs am 30. Januar 1889 im Jagdschloss Mayerling,
die zweite der Tod Kaiser Franz Josephs I. am 21. November 1916, die dritte die
Ermordung von Engelbert Dollfuß am 25. Juli 1934.
Lothar hat die Familiengeschichte der Alts »geschickt, wenn auch manch-
mal etwas gewollt« 348, mit Schlüsselereignissen der österreichischen Geschichte
verknüpft: Selbstmord des Kronprinzen 1889, Arbeiterunruhen im Jahre 1905,
Ausbruch und Verlauf des Ersten Weltkriegs, Tod Franz Josephs 1916, Brand
des Justizpalastes 1927, aufkeimender Antisemitismus und na tionalsozialistische
Unterwanderung Österreichs Ende der 1920er Jahre, die Ereignisse von Februar
und Juli 1934, die Tage unmittelbar vor der geplanten Volksabstimmung im
Frühjahr 1938 und schließ
lich der »Anschluss« Österreichs an Nazideutschland
mit der darauf folgenden Judenverfolgung und Arisierung jüdischen Eigentums.
Der Roman umfasst streng genommen die Zeit zwischen circa 1888 und 1938,
also ein halbes Jahrhundert österreichischer Geschichte. Die weib liche Haupt-
figur des Romans, Henriette Alt, war die Geliebte Rudolfs. Nach ihrer Trennung
treffen sich die beiden nochmals im Juni 1888. Rudolf eröffnet Henriette, dass
er wegen ihr seine Ehe annullieren wolle und sich am 2. Mai diesbezüg
lich an
den Papst gewandt habe. Den Brief an den Papst schreibt der Kronprinz just
an dem Tag, an dem Henriette und Franz Alt, ein Rat aus dem Handelsminis-
terium, ihre Verlobung bekannt geben. Bei dem sommer lichen Treffen bittet
Rudolf Henriette, mit ihm in den Tod zu gehen. Sie lehnt dieses Ansinnen ab
und heiratet Franz. An ihrem Hochzeitstag nimmt sich Rudolf das Leben.349
Franz Joseph, der von dem Verhältnis zwischen seinem Sohn und Henriette
erfahren hat, bittet diese zur Audienz. Gleichzeitig wird Henriette von einem
dubiosen rumänischen Journalisten erpresst: Der gebürtige Bukarester Ferdinand
Michael Jonescu, Herausgeber und Chefredakteur eines Revolverblatts (einer
Wochenzeitschrift mit dem Namen Wiener Signale), verlangt für sein Schweigen
York Public Library for the Performing Arts.
348 Jörg Thunecke: »Bucina Angelica«, S. 84.
349 Vgl. EL: Der Engel mit der Posaune, S. 113. 1938 – 1946:
Exil204
Open Access © 2016 by BÖHLAU VERLAG GMBH & CO.KG, WIEN KÖLN WEIMAR
Ernst Lothar
Schriftsteller, Kritiker, Theaterschaffender
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Ernst Lothar
- Subtitle
- Schriftsteller, Kritiker, Theaterschaffender
- Author
- Dagmar Heißler
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-20145-8
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 484
- Keywords
- österreichischer Schriftsteller, unveröffentlichte Werke und Korrespondenz, literarische Einflüsse und Beziehungen, Rezeption, Emigration, Theater
- Category
- Biographien
Table of contents
- 1. Einleitung 9
- 2. Quellenlage 15
- 3. 1890 – 1925: Literarische Nachwuchshoffnung 27
- 4. 1925 – 1935: »Einer jener Kritiker, die auch ein Stück Theaterdirektor sind« 53
- 5. 1935 – 1938: Theater in der Josefstadt – Max Reinhardts »rechte Hand und linker Fuß« 99
- 6. 1938 – 1946: Exil – »Emigrieren ist eine Sache für junge Menschen, die sich nicht erinnern« 135
- 7. 1946 – 1950: Rückkehr – »… und in Lothars Lager war Österreich« 243
- 8. 1950 – 1959: »Von allen meinen Kritikern bin ich der unerbittlichste« 293
- 9. 1959 – 1974: »… und so muss ein Stückchen Torso für ein Stückchen Ganzes gelten« 335
- 10. Schluss 373
- Literaturverzeichnis 385
- Anhang 415
- Bibliographie Ernst Lothar 415
- Selbstständige Publikationen 415
- Unselbstständige Publikationen 421
- Inszenierungen 464
- Zeittafel 467
- Personenregister 473
- Werkregister 478