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deportiert. Mehr erfuhren Lothar und Hans aber nicht mehr über ihren älteren
Bruder. Anfang 1945 schreibt Hans, dass er von Robert nie mehr ein Lebenszei-
chen erhalten hat,478 auch Lothar weiß nichts über seinen Verbleib. Robert wurde
am 11. Januar 1942 nach Riga deportiert. Vier Transporte mit insgesamt 4200
Jüdinnen und Juden gingen von Anfang Dezember 1941 bis Anfang Februar 1942
aus Österreich nach Riga ab. Die Deportierten wurden entweder in das dortige
Ghetto eingewiesen oder mussten, falls »arbeitsfähig«, im Polizeigefängnis und
»Arbeitserziehungslager« Salaspils (»Lager Kurtenhof«) Zwangsarbeit leisten.479
Das Dokumenta tionsarchiv des österreichischen Widerstandes, das die öster-
reichischen Holocaustopfer nament lich erfasst hat, vermerkt den Transport am
11. Januar 1942 von Wien nach Riga und unter der Rubrik »Status des Opfers
zum Kriegsende« bei Robert Müller »gestorben«.480
Für Ernst Lothar bedeutete der Eintritt der Vereinigten Staaten von Ame-
rika in den Zweiten Weltkrieg eine Art Rückfahrschein nach Europa.481 Und
tatsäch lich war der Kriegsverlauf für die Alliierten günstig, schließ lich deren
Sieg absehbar. Anfang 1944 spielt Lothar bereits mit dem Gedanken einer
Rückkehr, wie er seinem Freund Raoul Auernheimer mitteilt: »Rückkehr nach
Österreich? Denkbar. Sogar in absehbarer Zeit. Aber in eines, das Prag, d. h.
Moskau an der Grenze haben und bestenfalls rot, wenn nicht blutrot sein wird.
Jedenfalls nicht schwarzgelb.« 482
Mit dem Kriegseintritt der USA hatte sich gleichzeitig aber auch die Situa tion
für viele Immigranten verschlechtert. Bereits ein Jahr zuvor hatte es restriktive
Maßnahmen Ausländern gegenüber gegeben. Der »Alien Registra
tion Act« von
1940 verpfichtete jeden Nichtamerikaner, sich bei der Einwanderungsbehörde,
dem »Immigra
tion and Naturaliza
tion Service« (INS), registrieren zu lassen.
478 Vgl. Brief von Hans Müller an EL. Ascona, 22. Januar 1945. a. a. O.
479 Vgl. Marģers Vestermanis: Die na
tionalsozialistischen Haftstätten und Todeslager im okku-
pierten Lettland 1941 – 1945, S. 487.
480 Vgl. dazu auch die Central Database of Shoah Victims’ Names, die unter http://www.
yadvashem.
org zugäng
lich ist. Das Meldearchiv des Wiener Stadt- und Landesarchivs gibt Robert Müllers
Todestag mit dem 11. Januar 1942 an, dem Tag seiner Deporta tion. – Ernst Lothar erwähnt in
seiner Autobiographie ein Treffen mit Hans in Zürich 1946, bei dem er zum ersten Mal von
Roberts Schicksal erfuhr: »Daß unser älterer Bruder Robert nach Riga deportiert und dort
von den Nazis erschlagen worden sei, wußte ich natür lich? Ich hatte es nicht gewußt, sondern
ihn für verschollen gehalten und bis zur Stunde die absurde Hoffnung bei Hoffnungslosem
genährt« (EL: Das Wunder des Überlebens, S. 286).
481 Vgl. ebd., S. 178.
482 Brief von EL an Raoul Auernheimer vom 11. Februar 1944. Zitiert nach Donald G. Daviau
und Jorun B. Johns: Ernst Lothar, S. 345. 1938 – 1946:
Exil230
Open Access © 2016 by BÖHLAU VERLAG GMBH & CO.KG, WIEN KÖLN WEIMAR
Ernst Lothar
Schriftsteller, Kritiker, Theaterschaffender
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Ernst Lothar
- Subtitle
- Schriftsteller, Kritiker, Theaterschaffender
- Author
- Dagmar Heißler
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-20145-8
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 484
- Keywords
- österreichischer Schriftsteller, unveröffentlichte Werke und Korrespondenz, literarische Einflüsse und Beziehungen, Rezeption, Emigration, Theater
- Category
- Biographien
Table of contents
- 1. Einleitung 9
- 2. Quellenlage 15
- 3. 1890 – 1925: Literarische Nachwuchshoffnung 27
- 4. 1925 – 1935: »Einer jener Kritiker, die auch ein Stück Theaterdirektor sind« 53
- 5. 1935 – 1938: Theater in der Josefstadt – Max Reinhardts »rechte Hand und linker Fuß« 99
- 6. 1938 – 1946: Exil – »Emigrieren ist eine Sache für junge Menschen, die sich nicht erinnern« 135
- 7. 1946 – 1950: Rückkehr – »… und in Lothars Lager war Österreich« 243
- 8. 1950 – 1959: »Von allen meinen Kritikern bin ich der unerbittlichste« 293
- 9. 1959 – 1974: »… und so muss ein Stückchen Torso für ein Stückchen Ganzes gelten« 335
- 10. Schluss 373
- Literaturverzeichnis 385
- Anhang 415
- Bibliographie Ernst Lothar 415
- Selbstständige Publikationen 415
- Unselbstständige Publikationen 421
- Inszenierungen 464
- Zeittafel 467
- Personenregister 473
- Werkregister 478