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des simpelsten Anstandes gegen ehrwürdige Institu
tionen und Personen […].« 61
Lothar aber wagte die Neuinszenierung des Jedermann »ungeachtet des Bannstrah-
les, der aus allen Synagogen kam, um den abtrünnigen Sohn letzt
lich in Gestalt
von Druckerschwärze zu treffen« 62.
Nach überstandenen Pressekampagnen gegen den Regisseur,63 seine Insze-
nierung und Teile der Besetzung ging im Sommer der Jedermann am Salzburger
Domplatz planmäßig über die Bühne. Grete Wiesenthal hatte für die Choreogra-
phie gesorgt, Will Quadfieg spielte den Jedermann, Lola Müthel die Buhlschaft,
Peer Schmidt den Teufel. Lothars Neufassung wies einige Striche und Hinzufü-
gungen auf, er ȟberarbeitete vor allem die Szenen mit dem armen Nachbarn und
dem Schuldknecht, indem er dem sozialen Element stärkeres Profil gab« 64. Die
szenische Realisa
tion folgte, bis auf kleine Änderungen und den neuen Schluss,
schließ
lich doch wieder dem Reinhardt’schen Konzept.65 Dies lag mög
licherweise
daran, dass Reinhardt »in den amerikanischen Jahren« einmal zu Lothar gesagt
hatte, er selbst würde »den Jedermann in keinem Strich ändern«.66
Die meisten Berichte über die Premiere, die am 27. Juli stattfand, waren posi-
tiv,67 über die wenigen negativen schreibt Lothar: »Das Hochgericht fand dort,
wo ich es erwartet hatte, pünkt lich statt, die Vorurteile wurden Urteile […].« 68
Auf die Premiere folgten sechs weitere Aufführungen, bei den letzten war Lothar
61 EL: Das Wunder des Überlebens, S. 394.
62 Wiener Montag, 4. 8. 1952.
63 Lothar sprach in einem von Otto Basil geführten Interview von einer »Hetze« gegen ihn und
sein Vorhaben und wies darauf hin, dass er schon im Herbst 1946 gefragt worden sei, ob er den
Jedermann nicht 1947 inszenieren könne. Damals hätte er aber andere Verpflichtungen gehabt
und daher Helene Thimig- Reinhardt für diese Aufgabe vorgeschlagen, »die daraufhin mit der
Regie betraut wurde« (Neues Österreich, 10. 8. 1952). – Zur Pressekampagne gegen Lothar siehe
auch Josef Kaut: Die Salzburger Festspiele 1920 – 1981, S. 49.
64 Gisela Prossnitz: Jedermann. Von Moissi bis Simonischek, S. 27.
65 Vgl. auch EL: »Am Reinhardt- Konzept der Salzburger Festspiele festhalten«. In: Neues Öster-
reich, 2. 8. 1959 sowie Hamburger Abendblatt, 29. 7. 1952.
66 Vgl. Brief von Eligius Scheibl an Helene Thimig. Salzburg, Mai 1963. WBR, ZPH 989.
67 Salzburger Nachrichten und Salzburger Volkszeitung vom 28. 7. 1952; Die österreichische Furche,
9. 8. 1952, S. 7; Oberösterreichische Nachrichten, 14. 8. 1952; Die Zeit, 28. 8. 1952, S. 4; Süddeutsche
Zeitung, Der Abend, Neues Österreich, Das Kleine Volksblatt, Österreichische Volksstimme,
Salzburger Neue Zeitung und Salzburger Neues Tagblatt – alle vom 29. 7. 1952; Die Presse, 29.7.
und 13. 8. 1952; Weltpresse, o. D., S. 2. – Puthon meinte, dass von den »vielen Kritiken in- und
ausländischer Blätter […] mindestens 70 Prozent voll des Lobes für den neuen Jedermann
waren« (Brief von Heinrich Puthon an EL. Salzburg, 22. Oktober 1952. WBR, ZPH 922a).
68 EL: Das Wunder des Überlebens, S. 396.
»Amerikanischer Söldling«? 305
Open Access © 2016 by BÖHLAU VERLAG GMBH & CO.KG, WIEN KÖLN WEIMAR
Ernst Lothar
Schriftsteller, Kritiker, Theaterschaffender
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Ernst Lothar
- Subtitle
- Schriftsteller, Kritiker, Theaterschaffender
- Author
- Dagmar Heißler
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-20145-8
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 484
- Keywords
- österreichischer Schriftsteller, unveröffentlichte Werke und Korrespondenz, literarische Einflüsse und Beziehungen, Rezeption, Emigration, Theater
- Category
- Biographien
Table of contents
- 1. Einleitung 9
- 2. Quellenlage 15
- 3. 1890 – 1925: Literarische Nachwuchshoffnung 27
- 4. 1925 – 1935: »Einer jener Kritiker, die auch ein Stück Theaterdirektor sind« 53
- 5. 1935 – 1938: Theater in der Josefstadt – Max Reinhardts »rechte Hand und linker Fuß« 99
- 6. 1938 – 1946: Exil – »Emigrieren ist eine Sache für junge Menschen, die sich nicht erinnern« 135
- 7. 1946 – 1950: Rückkehr – »… und in Lothars Lager war Österreich« 243
- 8. 1950 – 1959: »Von allen meinen Kritikern bin ich der unerbittlichste« 293
- 9. 1959 – 1974: »… und so muss ein Stückchen Torso für ein Stückchen Ganzes gelten« 335
- 10. Schluss 373
- Literaturverzeichnis 385
- Anhang 415
- Bibliographie Ernst Lothar 415
- Selbstständige Publikationen 415
- Unselbstständige Publikationen 421
- Inszenierungen 464
- Zeittafel 467
- Personenregister 473
- Werkregister 478