Page - 312 - in Ernst Lothar - Schriftsteller, Kritiker, Theaterschaffender
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selbst Gegenstand des Interesses gewesen, und zwar vor allem die »Geschichte
des Burgtheaters während und nach dem Anschluß«; Lothar beschränkte sich
in seinen Antworten auf »sehr vorsichtige Auskünfte«.107
Das Burgtheater war zu diesem Zeitpunkt generell von Interesse. Denn seit
der Spielzeit 1953/54 befand sich das Haus erneut in einer »herbeigeredeten
und -geschriebenen Direk tionskrise«, bei der wieder die üb lichen Verdächti-
gen als Nachfolger Gielens gehandelt wurden.108 Anfang Juli 1953 ließ der ehe-
malige Intendant und Theaterdirektor Karl Lustig-
Prean, mittlerweile Kritiker
für die Welt am Montag, Lothar wissen, dass ihn die Nachricht von der Burg-
theaterkrise überrascht habe. Er habe mit Hans Mandl, dem Stadtrat für Kultur
und Volksbildung in Wien, über die Josefstadt gesprochen, »[a]uch dort hatten
die Unbelehrbaren und unveränder lich Törichten verbreitet, das ›Personal‹ sei
gegen Ernst Lothar« 109. Er selbst hingegen würde Lothar »am liebsten an der
Spitze der beiden Häuser sehen«, Gielen habe »das Rennen zu früh aufgegeben,
war desinteressiert, und das ist das schlimmste«. Ein gutes halbes Jahr darauf
schrieb Otto Basil, dass Lothar »gewiß dazu berufen wäre, früher oder später
die führende Rolle an dem Theater zu übernehmen, das ihm schon seit Jahren so
bedeutende künstlerische Erfolge verdankt« 110. Karl Eidlitz wiederum erzählte
Lothar im Mai 1954, er habe bei einem Besuch im Unterrichtsministerium
erfahren, dass Ernst Marboe »nur einen Kandidaten«, näm lich Ernst Lothar,
habe. Eine Kandidatur von Rudolf Henz sei eher aussichtslos, aber Friedrich
Schreyvogl habe Chancen:111
Blieben zwei österreichische Köpfe, die auch in der Öffent
lichkeit ernsthaft diskutiert
werden: Ernst Lothar und Friedrich Schreyvogl. Hofrat Lothar, vielgelesener Erzähler und
Feuilletonist, theoretisch und praktisch seit Jahren mit dem Theater verbunden, ständiger
Regisseur in der Josefstadt und am Burgtheater, das ihm bedeutsame Inszenierungen
verdankt […], leidenschaft
licher Erneuerer des Salzburger »Jedermann« und erfolgrei-
cher Leiter des Theaters in der Josefstadt (1935/38) als Nachfolger Max Reinhardts, des-
sen Regieassistent und Dramaturg er gewesen ist, steht heute im 64. Lebensjahr. Lothar,
zweifellos ein Mann von Format und geistigem Zuschnitt[,] bringt als ehemaliger Staats-
anwalt auch die juridische Schulung mit. Aber Lothar, der schon einmal, nach 1945, nahe
107 Vgl. Briefe von EL an AG. ’s-
Gravenhage, 29. und 30. Juni 1954. a. a. O.
108 Siehe dazu u. a. Fred Hennings: Heimat Burgtheater, S. 116 f.
109 Brief von Karl Lustig- Prean an EL. Wien, 7. Juli 1953. WBR, ZPH 922a.
110 Neues Österreich, 23. 2. 1954.
111 Vgl. Brief von EL an AG. Wien, 25. Mai 1954. WBR, ZPH 922a.
1950 – 1959: »Von allen meinen Kritikern bin ich der
unerbittlichste«312
Open Access © 2016 by BÖHLAU VERLAG GMBH & CO.KG, WIEN KÖLN WEIMAR
Ernst Lothar
Schriftsteller, Kritiker, Theaterschaffender
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Ernst Lothar
- Subtitle
- Schriftsteller, Kritiker, Theaterschaffender
- Author
- Dagmar Heißler
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-20145-8
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 484
- Keywords
- österreichischer Schriftsteller, unveröffentlichte Werke und Korrespondenz, literarische Einflüsse und Beziehungen, Rezeption, Emigration, Theater
- Category
- Biographien
Table of contents
- 1. Einleitung 9
- 2. Quellenlage 15
- 3. 1890 – 1925: Literarische Nachwuchshoffnung 27
- 4. 1925 – 1935: »Einer jener Kritiker, die auch ein Stück Theaterdirektor sind« 53
- 5. 1935 – 1938: Theater in der Josefstadt – Max Reinhardts »rechte Hand und linker Fuß« 99
- 6. 1938 – 1946: Exil – »Emigrieren ist eine Sache für junge Menschen, die sich nicht erinnern« 135
- 7. 1946 – 1950: Rückkehr – »… und in Lothars Lager war Österreich« 243
- 8. 1950 – 1959: »Von allen meinen Kritikern bin ich der unerbittlichste« 293
- 9. 1959 – 1974: »… und so muss ein Stückchen Torso für ein Stückchen Ganzes gelten« 335
- 10. Schluss 373
- Literaturverzeichnis 385
- Anhang 415
- Bibliographie Ernst Lothar 415
- Selbstständige Publikationen 415
- Unselbstständige Publikationen 421
- Inszenierungen 464
- Zeittafel 467
- Personenregister 473
- Werkregister 478