Page - 336 - in Ernst Lothar - Schriftsteller, Kritiker, Theaterschaffender
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braucht nicht mehr viel, um mich, wie der Girardi sagte, »nach Graz« zu bringen, und
ich mache mir allerhand Gedanken. Sich jetzt unmittelbar wieder denselben MĂĽhen
und Qualen auszusetzen! Aber dann sind es nur noch 2, höchstens 3 »Inszenierungen«,
und dann geht der alte gestresste Regisseur for good. Und dann werden wir, s. G. w.
Zeit haben, nur noch uns zu leben, Du mit einiger Arbeit, die Dich ein biĂźchen ablenkt
und ärgert, aber nie respektlos – wie die meine – empfangen werden wird, ich ohne alle
Arbeit, mit dem mir angeborenen Talent, faul zu sein. Wir werden […] mehr reisen
als bisher, ich werde weniger anspruchsvoll sein als bisher und viel mehr lesen. Viel-
leicht auch einiges schreiben, das auch nicht sehr gut sein wird, aber zumindest nicht
in Grund und Boden verachtet, denn ich werde es nur Dir zeigen.6
In Flims, einer kleinen Gemeinde im Kanton GraubĂĽnden, begann er, sich mit
seiner Inszenierung von Schnitzlers Weitem Land zu beschäftigen; neben der
Tatsache, dass ihm die Arbeit an dem Regiebuch schwerfiel,7 machte ihm auch
der Amtsantritt seines ehemaligen Schwiegersohns als neuer Burgtheater
direktor
zu schaffen. Lothar hatte sich, was sein Verhalten Ernst Haeusserman gegenĂĽber
betrifft, bereits einen Plan zurechtgelegt:
[I]ch möchte meinerseits so beamtenkorrekt als mög lich sein. Mit einem »Chef«, der
vermut
lich in einem Akt alles das festhält, was man sich zuschulden kommen ließ, um
im gegebenen Moment ein »dossier« gegen einen zu haben, ist höchste Vorsicht am
Platz. Das Jahr, das ich noch abzudienen habe, vielmehr die 9 Monate, möchte ich
weder einen Streit noch Gelegenheit zu einem Vorwurf gegeben haben. Der Lausbub
soll nicht der Meinung sein dürfen, er habe in […] mir eine fronde im Rücken, die
loszusein jede[r] Anstrengung wert ist […]. […] Nichts soll von mir gesagt werden,
was zuletzt nicht ein Bedauern hinterlieĂźe, daĂź ich gehe.8
Mit einem unguten GefĂĽhl kehrte er nach Wien zurĂĽck:
Es tut halt immer wieder weh – erst hat man die Schriftstellerei an den Nagel gehängt,
weil niemand einen ernst nahm, und ist zum Theater gegangen, und jetzt ist es beim
Theater ein- und dasselbe. Und vermut lich haben die Verächter und Spötter recht –
man kann zu wenig. Das liegt in meiner Familie – dem Hans ist’s ebenso gegangen.
Ich hätte gern einen »Abgang« gehabt, bei dem man nicht hätte sagen müssen: er
6 Brief von EL an AG. Flims, 16. September 1959. a. a. O.
7 Vgl. Brief von EL an AG. Flims, 21. September 1959. a. a. O.
8 Brief von EL an AG. Flims, 22. September 1959. a. a. O.
1959 – 1974: »… und so muss ein Stückchen Torso für ein Stückchen Ganzes
gelten«336
Open Access © 2016 by BÖHLAU VERLAG GMBH & CO.KG, WIEN KÖLN WEIMAR
Ernst Lothar
Schriftsteller, Kritiker, Theaterschaffender
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Ernst Lothar
- Subtitle
- Schriftsteller, Kritiker, Theaterschaffender
- Author
- Dagmar HeiĂźler
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-20145-8
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 484
- Keywords
- österreichischer Schriftsteller, unveröffentlichte Werke und Korrespondenz, literarische Einflüsse und Beziehungen, Rezeption, Emigration, Theater
- Category
- Biographien
Table of contents
- 1. Einleitung 9
- 2. Quellenlage 15
- 3. 1890 – 1925: Literarische Nachwuchshoffnung 27
- 4. 1925 – 1935: »Einer jener Kritiker, die auch ein Stück Theaterdirektor sind« 53
- 5. 1935 – 1938: Theater in der Josefstadt – Max Reinhardts »rechte Hand und linker Fuß« 99
- 6. 1938 – 1946: Exil – »Emigrieren ist eine Sache für junge Menschen, die sich nicht erinnern« 135
- 7. 1946 – 1950: Rückkehr – »… und in Lothars Lager war Österreich« 243
- 8. 1950 – 1959: »Von allen meinen Kritikern bin ich der unerbittlichste« 293
- 9. 1959 – 1974: »… und so muss ein Stückchen Torso für ein Stückchen Ganzes gelten« 335
- 10. Schluss 373
- Literaturverzeichnis 385
- Anhang 415
- Bibliographie Ernst Lothar 415
- Selbstständige Publikationen 415
- Unselbstständige Publikationen 421
- Inszenierungen 464
- Zeittafel 467
- Personenregister 473
- Werkregister 478