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106 Wissenschaftliche Transferleistungen
Das Fulbright Program nahm die Diffundierung bedeutsamer wissenschaftlicher
Innovationen vor, die in den USA entstanden waren. Damit gab es zugleich eine
komplexe Perspektive auf die amerikanische Kultur frei. Denn durch die US-Visi-
ting Lecturers wurden auch die gesellschaftlichen Verhältnisse in den USA präsen-
tiert, die aufgrund der dort entwickelten sozialwissenschaftlichen Methoden und
Theorien besser erschlossen werden konnten als jene in Österreich. Die sozial-
wissenschaftlichen Disziplinen, so die (wohl spätestens ab Mitte der 1950er Jahre
gereifte) Erkenntnis, waren in diesem doppelten Sinn amerikanisch.
Zeitgleich mit der Implementierung von neuen wissenschaftlichen Praktiken
sehen wir eine Peripherisierung der österreichischen Wissenschaftslandschaft im
internationalen Kontext: Die Theorie- und Praxisarbeit einer neuen, erstmals voll-
ständig in der demokratischen Kultur der Zweiten Republik sozialisierten Gene-
ration an WissenschaftlerInnen hatte keine neue lokale Schulenbildung zur Folge,
sondern orientierte sich an den Vorgaben, die vorwiegend in den USA entwickelt
wurden – besonders in den Sozialwissenschaften (Wagner 1990, 404).21 War das alte
Schema der Schulen als dominantes Bezugssystem wissenschaftlich-intellektuell
auch weitgehend überholt, konnten sich ihre maßgeblichen Vertreter dennoch lange
im wissenschaftlichen Feld tummeln – und traten dabei vorwiegend als Verhinderer
auf: bei der Besetzung von neuen Stellen ebenso wie bei der Gründung neuer Insti-
tutionen, und auch bei der Behandlung der wissenschaftlichen Gäste aus den USA.
Als Praxisfeld der wissenschaftlichen Gäste an österreichischen Hochschulen
stand – neben der eher populärwissenschaftlichen Vortragstätigkeit22 – klarerweise
die Lehre im Mittelpunkt. Vergegenwärtigen wir uns einige in den Final Reports
genannte Seminar- und Vorlesungstitel (Darstellung 16), so wird ein erster rele-
vanter Aspekt des Wissenstransfers der Fulbright Grantees deutlich: Einerseits
wurden wesentliche Aspekte der modernen US-amerikanischen Gesellschaft
erläutert. Es ging freilich nicht nur darum, welche Inhalte und Methoden vermit-
telt wurden, sondern auch um die Art dieser Vermittlung, wie in den Final Reports
oft angemerkt wurde: Da wurde etwa betont, dass „[the] informal way of lecturing,
socratian question and answer, is new to [the students, Anm. T.
K.]“.23 Ein anderer
Visiting Lecturer stellte fest:
„[the] students reacted positively to the free exchange of ideas and opinions.
Unfortunately, this method is still frowned upon by Austrian professors“.24
Und ein dritter verband damit den Vorschlag, aus der Lehrqualität ein Kriterium
für die Auswahl zukünftiger Grantees zu machen:
„Austrian students are less accustomed to seminars being conducted as
seminars (as distinct from merely smaller classes in which the professor lec-
tures) and only a professor with experience and self-confidence in discus-
sion technique will manage to overcome his students’ reluctance to orally
express themselves and generate sustaining interest in his seminar.“25
Die Frühgeschichte des Fulbright Program in Österreich
Transatlantische „Fühlungnahme auf dem Gebiete der Erziehung“
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Die Frühgeschichte des Fulbright Program in Österreich
- Subtitle
- Transatlantische „Fühlungnahme auf dem Gebiete der Erziehung“
- Author
- Thomas König
- Publisher
- StudienVerlag
- Location
- Innsbruck
- Date
- 2012
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-7065-5088-8
- Size
- 15.8 x 23.9 cm
- Pages
- 190
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Geleitwort 7
- Vorwort 11
- 1. Einleitung 13
- 2. Die Institutionalisierung des Fulbright Program in Österreich 23
- 3. Politische Gestaltungsmöglichkeiten 42
- 4. Wissenschaftliche Gäste zwischen Repräsentation und Wissenstransfer 56
- 5. Auswahl, Platzierung und Verwendung der wissenschaftlichen Gäste 73
- 6. Beschränkte Wirkung: Social Sciences und American Studies 97
- 7. Schluss 117