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34 Bilder, Nachrichten, Sensationen · Die Zeitungsstadt Wien um 1900
Zeitung hebt sich optisch von den recht behäbigen
Konkurrenzprodukten wie dem Interessanten Blatt
oder den Wiener Bildern ab. Die Titelseite ist gekenn-
zeichnet durch den klaren, einfachen Schriftzug des
Titels. Sie verwendet also einen Zeitungskopf, der
ohne Vignetten auskommt. Unter dem Titel findet
sich stets ein großformatiges Foto. Auch im Innenteil
setzt das Blatt auf fast durchgehende Fotobericht-
erstattung. Die Sensationsgier der Kriegsberichter-
stattung verstärkt diesen Trend zur fotografischen
Bebilderung der Ereignisse. Und dennoch: Kommer-
ziell hat das Blatt Mühe, sich gegen die Konkurrenz
durchzusetzen. Im November 1915 wird das Format
der Zeitung verkleinert, die redaktionelle Leitung
übernimmt nun Julius Ornstein.35 Allerdings scheint
sich der Verkaufserfolg des Blattes nicht zu bessern,
denn Ende Dezember 1916 wird sie – ohne Angabe
von Gründen – eingestellt.36
Ein visuell anspruchsvolleres Konzept verfolgt
die Wochenzeitung Der Samstag (Abb. 9), die im Ok-
tober 1906 vom Druckereibesitzer, Ansichtskarten-
verleger und Kalenderproduzenten Franz Schöler in
Wien-Döbling gegründet wird. Die Zeitung wendet
sich an ein gutbürgerliches Publikum, es bietet den
Lesern „gediegenen Inhalt“. Es ist weniger populär
aufgemacht als etwa Das interessante Blatt. Neben
aktueller politischer Berichterstattung finden sich
im Blatt auch Bildgeschichten über Theater, Litera-
tur, aber auch über Katastrophen, Unglücksfälle und
andere Sensationen, ferner „erstklassige Romane, No-
vellen und Gedichte“, wie es in der ersten Nummer
heißt.37 Das Blatt versucht gar nicht erst den Spagat
zwischen alten und neuen Medien. Es gibt von An-
fang an der Fotografie den Vorzug. Die Zeitung ist gut
gedruckt (allerdings nicht im Kupfertiefdruck) und
modern gestaltet. Jede Woche führt unter dem Titel
ein seitenfüllendes Foto in das Heft ein.
Der Samstag ist eine Illustrierte neuen Typs, die
den Trend der Zeit aufnimmt: Das fotografische Bild
wird in der Berichterstattung immer wichtiger. Nach
zweieinhalb Jahren scheitert dieses Experiment aller-
dings, am 27. Februar 1909 erscheint die letzte Aus-
gabe. Der Grund dafür liegt weniger in der Machart
des Blattes als in der geringen Auflage, den fehlen-
den Werbeeinnahmen und im kurzen kommerziellen Atem des Verlegers. Eine illustrierte Wochenzeitung,
die keinem der großen Medienkonzerne des Landes
angeschlossen ist, hat, so zeigt dieses Beispiel, be-
reits in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg keine
Überlebenschance.
Technische Neuerungen,
kommerzielle Umbrüche
Die Österreichische Zeitungs- und Druckerei-Ak-
tiengesellschaft steigt, wie berichtet, knapp vor dem
Ersten Weltkrieg zum marktbeherrschenden Wie-
ner Konzern im Bereich der illustrierten Presse auf.
Anlass für diese Konzentrationsbewegung sind tief
greifende Veränderungen im Zeitungsgeschäft, die
in den 1890er Jahren einsetzen und um 1910 ihren
Höhepunkt erreichen. Betroffen davon ist besonders
die illustrierte Presse. Technische und kommerzielle
Umbrüche gehen Hand in Hand: In den Jahren um
1900 stellen fast alle illustrierten Zeitungen nach und
nach auf den Druck von Fotografien um. Die bisher
vorherrschenden Zeichnungen und Holzschnitte wer-
den schrittweise von Autotypien abgelöst, das sind
Fotografien, die im Rasterverfahren gedruckt werden.
1896 richtet der Berliner Ullstein Verlag für die Ber-
liner Illustrirte Zeitung eine eigene Bildätzerei ein.38
Auch zahlreiche österreichische Blätter stellen um
1900 auf den Fotodruck um. Dies erfordert massive
Investitionen in die technische Ausstattung der Dru-
ckereien. Chemigrafische Anstalten, die für die Her-
stellung druckfertiger Bildvorlagen notwendig sind,
müssen eingerichtet werden.
Kaum ist dieser Schritt vollzogen, setzen weitere
technische Verbesserungen des Fotodrucks ein. In
den Jahren nach 1900 stellen in Europa die ersten
Illustrierten auf den Kupfertiefdruck um: 1902 be-
ginnt der Ullstein-Konzern vereinzelt mit dem Einsatz
neuer, schnellerer Rotationstiefdruckmaschinen, ab
1910/1912 setzt sich das Verfahren bei den großen,
auflagenstarken Blättern in anderen europäischen
Ländern durch.39 Im April 1914 hält der Kupfertief-
druck in der österreichischen illustrierten Presse
Einzug. Sowohl Das interessante Blatt wie auch die
Wiener Bilder, mittlerweile zum selben Unterneh-
men gehörend, stellen nun – zumindest in einem Teil
Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus.
Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus.
- Subtitle
- Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
- Author
- Anton Holzer
- Publisher
- Primus Verlag
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-86312-073-3
- Size
- 23.0 x 29.0 cm
- Pages
- 498
- Keywords
- Fotojournalismus, Pressefotografie, Fotografie, Fotografiegeschichte, Mediengeschichte, Kulturgeschichte, Populärkultur, Österreich
- Category
- Medien
Table of contents
- Auf den Spuren der rasenden Reporter Vorwort 7
- Neue illustrierte Welt Einleitung 10
- Bilder, Nachrichten, Sensationen Die Zeitungsstadt Wien um 1900 22
- Die Jagd nach Sensationen Pioniere der Pressefotografie 36
- Fotos statt Zeichnungen Das Entstehen einer fotografischen Öffentlichkeit 51
- Bild und Text Die Rhetorik der Zeitungsseiten 59
- Redaktion, Druck, Vertrieb Wie eine illustrierte Zeitschrift entsteht 70
- Im Rampenlicht Der Kaiser im Blick der Fotografen 77
- Als die Männer fliegen lernten Die ersten Wiener Flugschauen 91
- Mit der Kamera bewaffnet Fotografie und Propaganda im Ersten Weltkrieg 105
- Theater der Macht Parlament und Politik in Bildern 117
- Kampf um die Straße Demonstrationen, Kundgebungen und Massenpolitik 134
- Im Schatten der Konzerne Politische Illustrierte in der Zwischenkriegszeit 145
- Bilder für alle Die Welt der Magazine und Revuen 170
- Bilder als Propaganda Die illustrierte Regierungspresse nach 1934 194
- Erzählende Bilder Die moderne Fotoreportage in der Zwischenkriegszeit 203
- Handel mit Bildern Die Rolle der Fotoagenturen 234
- Politische Bilder Die Kultur der Arbeiterfotografie 248
- Amerika, ein Traum Wolkenkratzer und Tiller Girls 263
- Bubikopf und Zigarette Bilder der „Neuen Frau“ 277
- Experiment und Bewegung Tanzschritte in eine neue Zeit 286
- Wenn die Hüllen fallen Erotik, Sexualität und Nacktfotografie in der Zwischenkriegszeit 296
- Schöne neue Warenwelt Reklame und Mode in der Fotografie 304
- Dramatische Nähe Sport und Fotografie 317
- Frauen hinter der Kamera Die neuen Fotografinnen 331
- Die kurze Zeit der Avantgarde Fotografische Aufbrüche um 1930 344
- Landschaft, Berge, Brauchtum Heimatfotografie in den 1930er Jahren 363
- Fotografisches Feuilleton „Der Sonntag”: ein vergessenes Forum moderner Reportagefotografie 378
- Demagogie in Bildern Hitler in Österreich 1938 411
- Den Krieg vor Augen Nationalsozialistische Medienpolitik und Ästhetik 419
- Eine andere Kulturgeschichte Schluss 437
- Anhang