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35Technische
Neuerungen, kommerzielle Umbrüche
der Auflage – auf den neuen Rotationstiefdruck um.
Auf Betreiben Karl Groaks kauft die Österreichische
Zeitungs- und Druckerei-Aktiengesellschaft als ers-
te österreichische Zeitungsdruckerei mehrere teure
Tiefdruckrotationsmaschinen an. Die neue Technik
hat zahlreiche Vorteile. Der Druck erfolgt schneller,
die Wiedergabe von Fotos verbessert sich: Die Abbil-
dungsqualität steigt, die Fotos erscheinen plastischer,
detailreicher und mit größerer Tiefenschärfe.
Mindestens ebenso folgenreich wie die techni-
schen Innovationen sind die ökonomischen Verände-
rungen, die um 1900 im europäischen Zeitungsmarkt
einsetzen. Die Auflage der populären Massenblätter
steigt deutlich an – vor allem im Bereich der Tages-
presse wie auch der illustrierten Wochenpresse.40 Die
auflagenstarken, an ein breites Publikum gerichteten
Zeitungen verfolgen ganz andere kommerzielle Stra-
tegien als die herkömmliche, gutbürgerliche Pres-
se. Wichtig ist der kommerzielle Erfolg, politische
Positionierung und Ideologie treten dagegen in den
Hintergrund. Damit ist in erster Linie die Erhöhung
der Reichweite, das heißt die Steigerung der Aufla-
ge gemeint. Diese ist nämlich die Voraussetzung für
steigende Anzeigenerlöse. Um dies zu erreichen, wird
der Verkaufspreis bewusst niedrig gehalten. Denn die
Verkaufserlöse aus Abonnement und Straßenverkauf
bilden nur einen Teil der Einnahmen. Immer wichti-
ger für das wirtschaftliche Überleben einer populären
Massenzeitung wird das Anzeigenaufkommen, das
parallel mit der Auflagensteigerung erhöht wird. Um
ein Beispiel zu nennen: In den ersten Jahren nach der
Gründung des Interessanten Blattes im Jahr 1882 ist
das Anzeigenvolumen noch klein, meist sind nur zwei
der 24 Zeitungsseiten für Anzeigen reserviert. In den
1890er Jahren steigt der Anteil der Reklame stark an.
Um 1900 erreichen die Anzeigen bereits knapp die
Hälfte des Zeitungsumfangs, der ebenso zunimmt.
Inzwischen ist die Wochenausgabe der Zeitung re-
gelmäßig 32, oft auch 52 Seiten stark.
Kurz vor dem Ersten Weltkrieg sind die Umbrü-
che in der österreichischen Illustriertenlandschaft
vorläufig abgeschlossen. Das interessante Blatt und
die Wiener Bilder behaupten – nun unter einem ge-
meinsamen Eigentümer – ihre Vormachtstellung.
Das moderne, großzügig angelegte Verlagsgebäude, das beide Blätter 1912 beziehen, ist ein sichtbares
Zeichen für die neue Zeit. Es liegt nicht mehr in der
engen Zeitungsstraße in der Innenstadt, sondern
in der bürgerlichen Vorstadt. Zwar führt der Ver-
lag das Stadtbüro in der Schulerstraße (nun in der
Nummer 18) weiter, es dient nun aber nur noch der
Anzeigenakquisition und teilweise dem Verkauf – ein
merklicher Bedeutungsverlust für Wiens prominente
Zeitungsstraße bahnt sich an. In den folgenden Jah-
ren verlassen weitere Zeitungen die Innenstadt. Die
Schulerstraße, die noch um die Jahrhundertwende die
Wiener Produktionsstätte der öffentlichen Meinung
gewesen war, verändert ihr Gesicht. In der Epoche der
großen Zeitungskonzerne, die vor dem Ersten Welt-
krieg eingeläutet wird und sich nach 1918 fortsetzt,
ist diese Zeitungsstraße dabei, zur ganz normalen
Wiener Geschäftsstraße zu werden. Abb. 9 Der Samstag, 6.
Juni
1908, Titelseite.
Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus.
Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus.
- Subtitle
- Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
- Author
- Anton Holzer
- Publisher
- Primus Verlag
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-86312-073-3
- Size
- 23.0 x 29.0 cm
- Pages
- 498
- Keywords
- Fotojournalismus, Pressefotografie, Fotografie, Fotografiegeschichte, Mediengeschichte, Kulturgeschichte, Populärkultur, Österreich
- Category
- Medien
Table of contents
- Auf den Spuren der rasenden Reporter Vorwort 7
- Neue illustrierte Welt Einleitung 10
- Bilder, Nachrichten, Sensationen Die Zeitungsstadt Wien um 1900 22
- Die Jagd nach Sensationen Pioniere der Pressefotografie 36
- Fotos statt Zeichnungen Das Entstehen einer fotografischen Öffentlichkeit 51
- Bild und Text Die Rhetorik der Zeitungsseiten 59
- Redaktion, Druck, Vertrieb Wie eine illustrierte Zeitschrift entsteht 70
- Im Rampenlicht Der Kaiser im Blick der Fotografen 77
- Als die Männer fliegen lernten Die ersten Wiener Flugschauen 91
- Mit der Kamera bewaffnet Fotografie und Propaganda im Ersten Weltkrieg 105
- Theater der Macht Parlament und Politik in Bildern 117
- Kampf um die Straße Demonstrationen, Kundgebungen und Massenpolitik 134
- Im Schatten der Konzerne Politische Illustrierte in der Zwischenkriegszeit 145
- Bilder für alle Die Welt der Magazine und Revuen 170
- Bilder als Propaganda Die illustrierte Regierungspresse nach 1934 194
- Erzählende Bilder Die moderne Fotoreportage in der Zwischenkriegszeit 203
- Handel mit Bildern Die Rolle der Fotoagenturen 234
- Politische Bilder Die Kultur der Arbeiterfotografie 248
- Amerika, ein Traum Wolkenkratzer und Tiller Girls 263
- Bubikopf und Zigarette Bilder der „Neuen Frau“ 277
- Experiment und Bewegung Tanzschritte in eine neue Zeit 286
- Wenn die Hüllen fallen Erotik, Sexualität und Nacktfotografie in der Zwischenkriegszeit 296
- Schöne neue Warenwelt Reklame und Mode in der Fotografie 304
- Dramatische Nähe Sport und Fotografie 317
- Frauen hinter der Kamera Die neuen Fotografinnen 331
- Die kurze Zeit der Avantgarde Fotografische Aufbrüche um 1930 344
- Landschaft, Berge, Brauchtum Heimatfotografie in den 1930er Jahren 363
- Fotografisches Feuilleton „Der Sonntag”: ein vergessenes Forum moderner Reportagefotografie 378
- Demagogie in Bildern Hitler in Österreich 1938 411
- Den Krieg vor Augen Nationalsozialistische Medienpolitik und Ästhetik 419
- Eine andere Kulturgeschichte Schluss 437
- Anhang