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78 Im Rampenlicht · Der Kaiser im Blick der Fotografen
Neue Kaiserbilder
Es ist gewiss kein Zufall, dass der Kaiser gerade
an der Wende zum 20. Jahrhundert in das aufhellende
Licht der Wissenschaft tritt. In diesen Jahren bemühen
sich verschiedene Disziplinen darum, das Innenleben
des Menschen Schritt für Schritt zu entschleiern.
Man will hinter die Kulissen sowohl seines emotiona-
len wie auch seines physischen Wesens blicken. Sig-
mund Freud durchleuchtet um 1900 mit den Mitteln
der Psychoanalyse die menschliche Seele. Zugleich
tritt die Naturwissenschaft an, den Körper des Men-
schen Stück für Stück zu entzaubern. Mit dem Bild
der durchleuchteten Hand wird nun sogar der Körper
des Kaisers wissenschaftlich analysiert. Dieser zeigt
sich souverän und gelassen. Er signalisiert Interesse
und Aufgeschlossenheit gegenüber den neuesten Ent-
wicklungen der Technik. Der Kaiser tritt mit diesem
Bild aber nicht nur ins Licht der Wissenschaft, son-
dern mehr noch in jenes der Öffentlichkeit. Um 1900
zeichnet sich ein Strategiewechsel Seiner Majestät in
Sachen Öffentlichkeitsarbeit ab. Bis Mitte der 1890er
Jahre sind fast alle Kaiserbilder sorgsam inszenierte
Auftragsarbeiten. In der Öffentlichkeit erscheinen sie
meist als Lithografien gedruckt oder in gezeichneter
Form. Auch die frühen Kaiserfotos folgen lange Zeit
diesem Modell der inszenierten Darstellung.
Jahrzehntelang ist es ein Privileg für die Fotogra-
fen, den Kaiser und seine Familie ablichten zu dür-
fen. Immerhin verspricht der illustre Protagonist
gute Geschäfte, etwa durch die Vervielfältigung und
den Verkauf der Bilder. Aber noch wichtiger ist der
Glanz des Monarchen, der ein wenig auf den Foto-
grafen und sein Atelier ausstrahlt. Und so ist es
kaum verwunderlich, dass das Gedränge unter den
Lichtbildnern, von Seiner Majestät in den Kreis der
auserwählten Fotografen aufgenommen zu werden,
erheblich ist. Besonders gefragt ist der Titel „k. u. k.
Hofphotograph“, der allerdings nicht allzu schwer zu
bekommen ist. Ein etablierter Fotograf, der die Nähe
des Kaiserhauses sucht, gelegentlich ein wenig anti-
chambriert und dem Hof ab und zu kostenlos ein
Konvolut ausgewählter Lichtbilder zukommen lässt,
hat gute Chancen, früher oder später in den Genuss
dieser Auszeichnung zu gelangen. Die ersten Fotografen, die den Kaiser ablichten,
arbeiten fast ausschließlich im Atelier. Zu dieser al-
ten Garde gehören Ludwig Angerer (der den Kaiser
bereits in den 1850er Jahren fotografiert), das Atelier
Adèle, Rudolf Krziwanek, Josef Löwy, Carl Pietzner,
Arthur Floeck, Fritz Luckhardt und andere.
Ab Mitte der 1890er Jahre ändert sich die Situa-
tion. Den etablierten Kaiserfotografen erwächst nun
Konkurrenz. Zwar erscheinen auch weiterhin die altbe-
kannten Atelieraufnahmen in der Presse. Häufiger als
früher zeigt sich Franz Joseph nun aber in populären,
volksnahen Kostümen (Abb. 2). Repräsentative fotogra-
fische Herrscherbilder entstehen nun gelegentlich im
Freien. Anlässlich des 70. Geburtstags des Kaisers lich-
tet der bekannte Wiener Atelierfotograf Charles Scolik
diesen in Uniform auf dem Pferd sitzend ab (Abb. 3).
Majestätisch thront der Kaiser auf dem edlen Ross.
Hinter ihm erstreckt sich eine weite Landschaft. Das
Bild erscheint am 16. August 1900, also zwei Tage vor
dem Kaisergeburtstag, auf einer ganzen Seite im Inte-
ressanten Blatt.3 Im Bildtext wird der Ort des Gesche-
hens präzise angegeben. „Die neueste Aufnahme des
Kaisers im Brucker Lager Ende Juni 1900.“ Gemeint
ist das k. u. k. Militärlager in Bruck an der Leitha. Bei
genauerer Betrachtung wird deutlich, dass die Land-
schaft im Hintergrund zu Gänze gezeichnet ist. Gut
möglich, dass auch die Aufnahme des Monarchen auf
dem Pferd in Wien und nicht in Bruck entstand.
Abb. 2 Kaiser Franz Joseph als
Jäger.
Die Aufnahme entsteht
im März 1910 und wird anläss-
lich der Wiener Jagdausstellung
„auf
allerhöchsten Befehl“ in
der Schau ausgestellt. Das
interessante Blatt, 12.
Mai 1910,
S.
5.
Foto: Hans Makart.
Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus.
Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus.
- Subtitle
- Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
- Author
- Anton Holzer
- Publisher
- Primus Verlag
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-86312-073-3
- Size
- 23.0 x 29.0 cm
- Pages
- 498
- Keywords
- Fotojournalismus, Pressefotografie, Fotografie, Fotografiegeschichte, Mediengeschichte, Kulturgeschichte, Populärkultur, Österreich
- Category
- Medien
Table of contents
- Auf den Spuren der rasenden Reporter Vorwort 7
- Neue illustrierte Welt Einleitung 10
- Bilder, Nachrichten, Sensationen Die Zeitungsstadt Wien um 1900 22
- Die Jagd nach Sensationen Pioniere der Pressefotografie 36
- Fotos statt Zeichnungen Das Entstehen einer fotografischen Öffentlichkeit 51
- Bild und Text Die Rhetorik der Zeitungsseiten 59
- Redaktion, Druck, Vertrieb Wie eine illustrierte Zeitschrift entsteht 70
- Im Rampenlicht Der Kaiser im Blick der Fotografen 77
- Als die Männer fliegen lernten Die ersten Wiener Flugschauen 91
- Mit der Kamera bewaffnet Fotografie und Propaganda im Ersten Weltkrieg 105
- Theater der Macht Parlament und Politik in Bildern 117
- Kampf um die Straße Demonstrationen, Kundgebungen und Massenpolitik 134
- Im Schatten der Konzerne Politische Illustrierte in der Zwischenkriegszeit 145
- Bilder für alle Die Welt der Magazine und Revuen 170
- Bilder als Propaganda Die illustrierte Regierungspresse nach 1934 194
- Erzählende Bilder Die moderne Fotoreportage in der Zwischenkriegszeit 203
- Handel mit Bildern Die Rolle der Fotoagenturen 234
- Politische Bilder Die Kultur der Arbeiterfotografie 248
- Amerika, ein Traum Wolkenkratzer und Tiller Girls 263
- Bubikopf und Zigarette Bilder der „Neuen Frau“ 277
- Experiment und Bewegung Tanzschritte in eine neue Zeit 286
- Wenn die Hüllen fallen Erotik, Sexualität und Nacktfotografie in der Zwischenkriegszeit 296
- Schöne neue Warenwelt Reklame und Mode in der Fotografie 304
- Dramatische Nähe Sport und Fotografie 317
- Frauen hinter der Kamera Die neuen Fotografinnen 331
- Die kurze Zeit der Avantgarde Fotografische Aufbrüche um 1930 344
- Landschaft, Berge, Brauchtum Heimatfotografie in den 1930er Jahren 363
- Fotografisches Feuilleton „Der Sonntag”: ein vergessenes Forum moderner Reportagefotografie 378
- Demagogie in Bildern Hitler in Österreich 1938 411
- Den Krieg vor Augen Nationalsozialistische Medienpolitik und Ästhetik 419
- Eine andere Kulturgeschichte Schluss 437
- Anhang