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110 Mit der Kamera bewaffnet · Fotografie und Propaganda im Ersten Weltkrieg
Ortschaften oder Städten im Hinterland der Front
haben. Die Kriegsberichterstatter stehen in enger
Abhängigkeit zum Militär, sie nutzen dessen Ein-
richtungen und Fahrzeuge und sind auf die Nach-
richtenflüsse angewiesen, die dort zusammenlaufen.
Umgekehrt aber kommen sie auch in den Genuss
von zahlreichen Privilegien und Vergünstigungen.
Ein Foto, das im Januar 1915 veröffentlicht wird,
zeigt sehr deutlich die Symbiose zwischen Kriegs-
berichterstattung und Militär (Abb. 6). Zu sehen ist
ein Wagen, der vor dem Eingang des Armeehaupt-
quartiers steht. Auf dem Rücksitz (mit einem Kreuz
markiert) hat der Kriegsfotograf Julius von Jelfy Platz
genommen, der v. a. für ungarische Blätter berichtet.
Im Bildtext heißt es: „Unser Kriegskorrespondent von
Jelfy (x) verläßt nach einem Empfang beim Armee-
kommandanten G.(eneral) d. K.(avallerie) Dankl das Armeehauptquartier in ... (Russisch-Polen).“18 Der
Ort des Armeekommandos ist in der Zeitung aus Si-
cherheitsgründen bewusst nicht genannt. Das Bild ist
ein wichtiges Dokument. Es gibt nämlich kaum Auf-
nahmen von Kriegsfotografen während ihrer Arbeit.
Interessant ist das Foto aber auch deshalb, weil es
die Rolle des Kriegsberichterstatters veranschaulicht.
Dieser geht selbstbewusst im Armeekommando ein
und aus und verkehrt auf Augenhöhe mit den höchs-
ten Offizieren. Auch die Tatsache, dass ihm ein teures
Automobil zur Verfügung gestellt wird, unterstreicht
seine privilegierte Position.
Als Hauptlieferant für aktuelle Kriegsbilder fun-
giert das k. u. k. Kriegspressequartier (KPQ). Es
nimmt Pressefotografen etablierter Blätter und ande-
re Berufsfotografen in seinen Dienst und beauftragt
sie mit Fotoexkursionen ins unmittelbare Frontgebiet.
Viele von ihnen haben bereits vor dem Krieg für die il-
lustrierte Presse gearbeitet. Den Kriegsfotografen des
KPQ ist es erlaubt, weiterhin für ihre früheren Auf-
traggeber – die illustrierten Zeitungen – zu arbeiten.
Zu den wichtigsten Fotografen des KPQ zählen:19
Johann Bálint, der vorwiegend für die ungarische Zei-
tung Pesti Napló (Pester Tagblatt) arbeitet. Rudolf Ba-
logh ist für die ungarische Wochenzeitung Vasárnapi
Újság (Sonntagsblatt), aber auch für österreichische
und deutsche Blätter tätig. Der Wiener Fotograf Fried-
rich Bittner arbeitet u. a. für die Wiener Illustrierte Zei-
tung.20 Karl Dittera, aus Nagyszeben (Hermannstadt,
heute: Sibiu) stammend, arbeitet vor und während
des Krieges für die bekannte in Budapest erscheinen-
de Zeitung Az Est (Der Abend). Alexander Exax ist der
Jüngste unter den österreichischen Kriegsfotografen.
Er beginnt im August 1914 für die Fotoagentur „Kilo-
phot“ zu arbeiten. Hugo Ritter von Eywo ist Fotograf
und als „Kino-Operateur“ (Kameramann) auf mehre-
ren Kriegsschauplätzen im Einsatz, ebenso Heinrich
Findeis. Eduard Frankl betreibt vor dem Krieg ein gut
gehendes Unternehmen für Pressefotografie in Ber-
lin-Friedenau und ist seit 1915 Mitglied im KPQ. Der
aus Temeswar (Timis¸oara) stammende Aladár Hehs
tritt Anfang 1916 in das KPQ ein. Der Pressefotograf
Julius von Jelfy fotografiert für den Budapester Pho-
to-Riport (Photo-Report) und ist v. a. an der Ostfront
tätig. Auch Rudolf (Rezsö) Kaulich fotografiert über-
Abb. 5 „Der Photograph im
Schützengraben“. Die
Realität
sieht anders aus: Meist werden
die Schlachtfelder erst nach
den
Kämpfen fotografiert.
Österreichs Illustrierte Zeitung,
14.
Oktober 1917, Titelseite.
Foto: Bild- und Filmamt (BUFA).
Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus.
Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus.
- Subtitle
- Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
- Author
- Anton Holzer
- Publisher
- Primus Verlag
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-86312-073-3
- Size
- 23.0 x 29.0 cm
- Pages
- 498
- Keywords
- Fotojournalismus, Pressefotografie, Fotografie, Fotografiegeschichte, Mediengeschichte, Kulturgeschichte, Populärkultur, Österreich
- Category
- Medien
Table of contents
- Auf den Spuren der rasenden Reporter Vorwort 7
- Neue illustrierte Welt Einleitung 10
- Bilder, Nachrichten, Sensationen Die Zeitungsstadt Wien um 1900 22
- Die Jagd nach Sensationen Pioniere der Pressefotografie 36
- Fotos statt Zeichnungen Das Entstehen einer fotografischen Öffentlichkeit 51
- Bild und Text Die Rhetorik der Zeitungsseiten 59
- Redaktion, Druck, Vertrieb Wie eine illustrierte Zeitschrift entsteht 70
- Im Rampenlicht Der Kaiser im Blick der Fotografen 77
- Als die Männer fliegen lernten Die ersten Wiener Flugschauen 91
- Mit der Kamera bewaffnet Fotografie und Propaganda im Ersten Weltkrieg 105
- Theater der Macht Parlament und Politik in Bildern 117
- Kampf um die Straße Demonstrationen, Kundgebungen und Massenpolitik 134
- Im Schatten der Konzerne Politische Illustrierte in der Zwischenkriegszeit 145
- Bilder für alle Die Welt der Magazine und Revuen 170
- Bilder als Propaganda Die illustrierte Regierungspresse nach 1934 194
- Erzählende Bilder Die moderne Fotoreportage in der Zwischenkriegszeit 203
- Handel mit Bildern Die Rolle der Fotoagenturen 234
- Politische Bilder Die Kultur der Arbeiterfotografie 248
- Amerika, ein Traum Wolkenkratzer und Tiller Girls 263
- Bubikopf und Zigarette Bilder der „Neuen Frau“ 277
- Experiment und Bewegung Tanzschritte in eine neue Zeit 286
- Wenn die Hüllen fallen Erotik, Sexualität und Nacktfotografie in der Zwischenkriegszeit 296
- Schöne neue Warenwelt Reklame und Mode in der Fotografie 304
- Dramatische Nähe Sport und Fotografie 317
- Frauen hinter der Kamera Die neuen Fotografinnen 331
- Die kurze Zeit der Avantgarde Fotografische Aufbrüche um 1930 344
- Landschaft, Berge, Brauchtum Heimatfotografie in den 1930er Jahren 363
- Fotografisches Feuilleton „Der Sonntag”: ein vergessenes Forum moderner Reportagefotografie 378
- Demagogie in Bildern Hitler in Österreich 1938 411
- Den Krieg vor Augen Nationalsozialistische Medienpolitik und Ästhetik 419
- Eine andere Kulturgeschichte Schluss 437
- Anhang