Page - 237 - in Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus. - Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
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237Ein
neuer Fotomarkt entsteht
be, die oft nur einige wenige oder gar keine angestell-
ten Mitarbeiter haben. Das ändert sich auch in den
Jahren nach dem Krieg nicht. Ein Gutteil der Ende
der 1920er, Anfang der 1930er Jahre neu gegründeten
Agenturen sind in diesen Jahren Ein-Mann-Betriebe.
Aber auch die Karrieremuster unterscheiden sich
grundlegend von der Geschäftsentwicklung Willin-
gers. In seinem Fall führt der Weg vom klassischen
Atelierfotografen über den ergänzenden Agenturbe-
trieb bis hin zur marktbeherrschenden Fotoagentur.
Die Gründungs- und Unternehmensgeschichte der
meisten Agenturen verläuft anders: Sie werden nicht
von Atelier-, sondern von Pressefotografen gegrün-
det. Viele von ihnen betreiben ihre Agenturtätigkeit
zunächst nebenbei und arbeiten weiterhin als aktive
Fotografen. Gelegentlich schließen sich solche Einzel-
kämpfer zu wechselnden Vertriebskooperationen zu-
sammen.15 Viele dieser Kleinunternehmen existieren
oft nur wenige Jahre lang.
Ab Mitte der 1920er Jahre verändert sich das Pres-
sebildgeschäft grundlegend. Der Bedarf an Bildern
steigt rasant an, bedingt vor allem durch Zeitungs-
und Magazinneugründungen, aber auch durch Auf-
lagensteigerungen und die deutliche Ausweitung der
Fotoberichterstattung. Es kommt zu einer starken
Internationalisierung des Handels mit Bildern und
in der Folge auch zu einer Internationalisierung der
Berichterstattung. Zwar lassen sich die Ansätze eines
übernationalen Handels mit Fotografien bereits bis
zur Jahrhundertwende zurückverfolgen, aber erst ab
den 1920er Jahren werden Fotos zur täglichen Han-
delsware, die in großer Zahl über nationale Grenzen
hinweg ge- und verkauft werden.16 Einen wichtigen
Einschnitt in dieser Entwicklung bildet das Ende des
Ersten Weltkriegs. Die nationale Abschottung, eine
Folge der nationalen Aufrüstung und der Zensur-
politik zwischen 1914 und 1918, wird nun aufgeho-
ben, der Handel mit Fotografien über die nationalen
Grenzen hinweg kommt wieder in Schwung. Bereits
1919, im ersten Nachkriegsjahr, tauchen in den öster-
reichischen Illustrierten wieder verstärkt Bilder in-
ternational tätiger Fotoagenturen auf, ab Mitte der
1920er Jahre sind deutsche, amerikanische und engli-
sche Agenturen in Wien allgegenwärtig. Der Großteil
der Aufnahmen aus Übersee sind Genrebilder, Mode- oder Filmfotos, also Aufnahmen, die auch Wochen
später – so lange dauert der Seeweg – gedruckt wer-
den können. Aktuelle Nachrichtenbilder aus Übersee
hingegen sind in der Zwischenkriegszeit die absolu-
te Ausnahme. Als im Juli 1929 eine Aufnahme vom
legendären Boxkampf Max Schmelings in New York
per Funk nach Europa übertragen und wenige Tage
später gedruckt wird (Abb.
2), gleicht das einer Sen-
sation.17 Immerhin hatte das Match erst wenige Tage
zuvor, am 28. Juni, stattgefunden. Das undeutliche,
gestreifte Bild zeigt deutliche Spuren seiner aufwen-
digen Übermittlung.
Neben den großen deutschen Fotoagenturen18 wie
Atlantic, Sennecke, Photothek Römer & Bernstein, Abb.
2 Sensationelles Funkbild
aus New York, 1929.
In einem
legendären Boxkampf besiegt
der Deutsche
Max Schmeling
den Spanier Paolino Uzcudun
im
New Yorker Yankee-Stadion
vor 40
000 Zuschauern in
der 15.
Runde nach
Punkten.
Wenige
Tage später erscheint
die Aufnahme
im Interessanten
Blatt, 4.
Juli
1929, Titelseite.
Foto: The New York Times.
Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus.
Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus.
- Subtitle
- Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
- Author
- Anton Holzer
- Publisher
- Primus Verlag
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-86312-073-3
- Size
- 23.0 x 29.0 cm
- Pages
- 498
- Keywords
- Fotojournalismus, Pressefotografie, Fotografie, Fotografiegeschichte, Mediengeschichte, Kulturgeschichte, Populärkultur, Österreich
- Category
- Medien
Table of contents
- Auf den Spuren der rasenden Reporter Vorwort 7
- Neue illustrierte Welt Einleitung 10
- Bilder, Nachrichten, Sensationen Die Zeitungsstadt Wien um 1900 22
- Die Jagd nach Sensationen Pioniere der Pressefotografie 36
- Fotos statt Zeichnungen Das Entstehen einer fotografischen Öffentlichkeit 51
- Bild und Text Die Rhetorik der Zeitungsseiten 59
- Redaktion, Druck, Vertrieb Wie eine illustrierte Zeitschrift entsteht 70
- Im Rampenlicht Der Kaiser im Blick der Fotografen 77
- Als die Männer fliegen lernten Die ersten Wiener Flugschauen 91
- Mit der Kamera bewaffnet Fotografie und Propaganda im Ersten Weltkrieg 105
- Theater der Macht Parlament und Politik in Bildern 117
- Kampf um die Straße Demonstrationen, Kundgebungen und Massenpolitik 134
- Im Schatten der Konzerne Politische Illustrierte in der Zwischenkriegszeit 145
- Bilder für alle Die Welt der Magazine und Revuen 170
- Bilder als Propaganda Die illustrierte Regierungspresse nach 1934 194
- Erzählende Bilder Die moderne Fotoreportage in der Zwischenkriegszeit 203
- Handel mit Bildern Die Rolle der Fotoagenturen 234
- Politische Bilder Die Kultur der Arbeiterfotografie 248
- Amerika, ein Traum Wolkenkratzer und Tiller Girls 263
- Bubikopf und Zigarette Bilder der „Neuen Frau“ 277
- Experiment und Bewegung Tanzschritte in eine neue Zeit 286
- Wenn die Hüllen fallen Erotik, Sexualität und Nacktfotografie in der Zwischenkriegszeit 296
- Schöne neue Warenwelt Reklame und Mode in der Fotografie 304
- Dramatische Nähe Sport und Fotografie 317
- Frauen hinter der Kamera Die neuen Fotografinnen 331
- Die kurze Zeit der Avantgarde Fotografische Aufbrüche um 1930 344
- Landschaft, Berge, Brauchtum Heimatfotografie in den 1930er Jahren 363
- Fotografisches Feuilleton „Der Sonntag”: ein vergessenes Forum moderner Reportagefotografie 378
- Demagogie in Bildern Hitler in Österreich 1938 411
- Den Krieg vor Augen Nationalsozialistische Medienpolitik und Ästhetik 419
- Eine andere Kulturgeschichte Schluss 437
- Anhang