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2451938:
Verfolgte und Profiteure
1930er Jahren zahlreiche Gesellschaftsreportagen
für den Deutschen Verlag (ehemals Ullstein) macht.
Schostal verkauft aber auch die Bilder der Reisefoto-
grafin Alice Schalek, des Schweizer Porträt- und Rei-
sefotografen Martin Imboden und Aufnahmen des aus
Meran stammenden und seit 1927 in Berlin lebenden
Reportage-, Mode- und Werbefotografen Heinz von
Perckhammer.
Während Schostal mit den aktuellen Nachrichten-
bildern, die die Agentur von Keystone bezieht, nur
in Österreich präsent ist, reichen die geschäftlichen
Kontakte im Bereich der künstlerischen Genrefo-
tografie weit darüber hinaus. Schostal versorgt vor
allem französische und deutsche Kultur-, Gesell-
schafts- und Modezeitschriften, die Bilder werden
aber auch in Skandinavien, Osteuropa und teilwei-
se im englischsprachigen Überseeraum (Australien
und USA) verkauft. Schwerpunkte des Angebots
sind Modeaufnahmen, angeboten werden aber auch
Tanzfotos, Landschafts- und Reisebilder, Porträts und
Genrefotos (etwa Humor, Tiere, Wissenschaft, Skurri-
les etc.). Wie sehr sich dieser Geschäftszweig von der
Vermarktung von Nachrichtenbildern unterscheidet,
zeigt sich auch daran, dass Erstere der Presse ohne
Nennung des Fotografennamens angeboten werden,
während dieser bei Letzteren gleichberechtigt neben
dem Namen der Agentur steht (z. B. „Yva-Schostal“).
1938: Verfolgte und Profiteure
Die Errichtung des nationalsozialistischen Re-
gimes in Österreich verändert den Handel mit fo-
tografischen Bildern mit einem Schlag. Jüdische
Fotoagenturen werden enteignet und ihre Betriebe
teilweise aufgelöst. Die Agenturbesitzer und -mitar-
beiter jüdischer Herkunft werden verhaftet oder es
gelingt ihnen zu fliehen. Innerhalb weniger Wochen
wird das Netz an Zulieferern für die illustrierte Pres-
se von Grund auf neu geordnet. Dazu kommt, dass die
großen reichsdeutschen Agenturen nun verstärkt den
Wiener Markt beliefern. All das führt dazu, dass sich
das Bildmaterial, das ab 1938 in den Zeitungen und
Zeitschriften erscheint, deutlich verändert.
Den Inhabern der beiden wichtigsten Fotoagentu-
ren Willinger und Schostal gelingt die Flucht. Wil- helm Willinger wird im März 1938 kurzzeitig inhaf-
tiert. Im Frühjahr 1939 wird ihm und seiner zweiten
Frau die Ausreise gestattet. Es gelingt ihm, einen Teil
seiner Möbel und sogar die Fotoausrüstung mit ins
Exil nach Shanghai zu nehmen. Das umfangreiche
Fotoarchiv der Agentur muss er in Wien zurücklas-
sen. Von der Sammlung fehlt bis heute jede Spur.45
1940 eröffnet Willinger ein Fotoatelier in Shanghai.
Er stirbt 1943. Nach seinem Tod wird der Betrieb von
seiner Frau weitergeführt.46
Im März 1938 flüchtet Robert Schostal zusammen
mit seiner Mutter über Italien nach Frankreich. Nach
kurzer Zeit reisen sie in die USA weiter. 1939, nach
der Kriegserklärung Frankreichs, folgt ihnen der Bru-
der Walter, der die Pariser Filiale des Unternehmens
geführt hatte. In New York gelingt den beiden Brü-
dern, unter dem Namen „Shostal Inc.“ (später „Shostal
Associates“) wieder eine Fotoagentur zu gründen.47
Das umfassende Archiv der Wiener Agentur muss
Robert Schostal zurücklassen, der Betrieb wird, wie
unzählige andere von Juden geführte Unternehmen
auch, enteignet. Seit Juni 1938 wird die Fotoagentur
Schostal unter demselben Namen kommissarisch
von Friedrich Gondosch weitergeführt. Im Septem-
ber 1941 kauft dieser den Betrieb um eine geringe
Summe, ab jetzt firmiert das Unternehmen unter dem
Namen „Wien-Bild“.48
Oberflächlich betrachtet, führt die „arisierte“ Fo-
toagentur die Geschäfte einfach weiter. Eine Reihe
von Fotografen, mit denen Robert Schostal schon seit
Jahren zusammenarbeitet, etwa Imre von Santho,
Hedda Walther, Heinz von Perckhammer oder Paul
Wolff, liefern weiterhin Bilder an die Agentur. Auch
Olga und Adorján Wlassics, die Inhaber des Wiener
Ateliers Manassé, die Schostal schon seit Langem
vertritt und die seit 1936 in Berlin das Atelier WOG
führen49, werden nach 1938 weiter von der Agentur
vertreten. Das große Firmenarchiv wird weiterhin
kommerziell genutzt. Aber bei genauerem Hinsehen
wird deutlich, dass der Betrieb binnen kürzester Zeit
vollkommen umgestaltet wird.50 Zunächst wird al-
len Fotografen jüdischer Herkunft gekündigt, auch
ihre Archivaufnahmen werden nicht weiter verkauft.
Sodann werden zahlreiche neue Fotografen unter
Vertrag genommen, in der Regel sind es solche, die Abb.
6 „Schatten im Schnee“.
Die Aufnahme ist
aus zwei
Bildern zusammengesetzt. Sie
stammen von
Harald Lechenperg
und
dem deutschen Fotografen
Paul Wolff,
den die Agentur
Schostal vertritt.
Wiener Magazin,
Heft 1, Januar 1937, S.
39.
Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus.
Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus.
- Subtitle
- Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
- Author
- Anton Holzer
- Publisher
- Primus Verlag
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-86312-073-3
- Size
- 23.0 x 29.0 cm
- Pages
- 498
- Keywords
- Fotojournalismus, Pressefotografie, Fotografie, Fotografiegeschichte, Mediengeschichte, Kulturgeschichte, Populärkultur, Österreich
- Category
- Medien
Table of contents
- Auf den Spuren der rasenden Reporter Vorwort 7
- Neue illustrierte Welt Einleitung 10
- Bilder, Nachrichten, Sensationen Die Zeitungsstadt Wien um 1900 22
- Die Jagd nach Sensationen Pioniere der Pressefotografie 36
- Fotos statt Zeichnungen Das Entstehen einer fotografischen Öffentlichkeit 51
- Bild und Text Die Rhetorik der Zeitungsseiten 59
- Redaktion, Druck, Vertrieb Wie eine illustrierte Zeitschrift entsteht 70
- Im Rampenlicht Der Kaiser im Blick der Fotografen 77
- Als die Männer fliegen lernten Die ersten Wiener Flugschauen 91
- Mit der Kamera bewaffnet Fotografie und Propaganda im Ersten Weltkrieg 105
- Theater der Macht Parlament und Politik in Bildern 117
- Kampf um die Straße Demonstrationen, Kundgebungen und Massenpolitik 134
- Im Schatten der Konzerne Politische Illustrierte in der Zwischenkriegszeit 145
- Bilder für alle Die Welt der Magazine und Revuen 170
- Bilder als Propaganda Die illustrierte Regierungspresse nach 1934 194
- Erzählende Bilder Die moderne Fotoreportage in der Zwischenkriegszeit 203
- Handel mit Bildern Die Rolle der Fotoagenturen 234
- Politische Bilder Die Kultur der Arbeiterfotografie 248
- Amerika, ein Traum Wolkenkratzer und Tiller Girls 263
- Bubikopf und Zigarette Bilder der „Neuen Frau“ 277
- Experiment und Bewegung Tanzschritte in eine neue Zeit 286
- Wenn die Hüllen fallen Erotik, Sexualität und Nacktfotografie in der Zwischenkriegszeit 296
- Schöne neue Warenwelt Reklame und Mode in der Fotografie 304
- Dramatische Nähe Sport und Fotografie 317
- Frauen hinter der Kamera Die neuen Fotografinnen 331
- Die kurze Zeit der Avantgarde Fotografische Aufbrüche um 1930 344
- Landschaft, Berge, Brauchtum Heimatfotografie in den 1930er Jahren 363
- Fotografisches Feuilleton „Der Sonntag”: ein vergessenes Forum moderner Reportagefotografie 378
- Demagogie in Bildern Hitler in Österreich 1938 411
- Den Krieg vor Augen Nationalsozialistische Medienpolitik und Ästhetik 419
- Eine andere Kulturgeschichte Schluss 437
- Anhang