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281Moderne
Sportlerinnen
geschürzt, gleich bemalt und mit bunten Steinen
geziert, war ästhetisch vollkommen – aber erschre-
ckend durch die unpersönliche Wiederholung durch
die gleich süßen Gesichter. Und plötzlich wandelt sich
aus Überdruß der Geschmack. Das Girl stirbt an sei-
ner Langeweile, und den Thron der Frauenschönheit
besteigt die geistige Frau. (...) Das vergeistigte Frau-
engesicht fängt an, heute als das schönste zu gelten.
Merkwürdigerweise ist es gerade Amerika, die Hei-
mat des Girls, das sich am schnellsten zur intellektu-
ellen Schönheit bekennt, so sehr, daß man drüben im
Film schon Spezialistinnen für diesen neuen intellek-
tuellen Erfolgstyp der Frau sucht und ausbildet.“8 Der
Beitrag in der Dame trägt den bezeichnenden Titel
„Vom Puppengesicht zum Charakterkopf“. Natürlich
ist dieser geraffte Rückblick auf das idealisierte Frau-
enimage der 1920er Jahre eine suggestiv formulierte
Aufstiegs- und Besserungsgeschichte. Natürlich ist
das Frauenbild der 1920er Jahre, das den Sex-Appeal
der Bubikopf-Frau mit der „intellektuellen Schönheit“
verbindet, in dieser Deutung der Gipfel der Entwick-
lung, sozusagen der letzte modische Schrei.
Wenn Ende der 1920er Jahre, Anfang der 1930er
Jahre am einen Ende der Skala moderner Frauen-
bilder das anonyme Revue-Girl steht, das bloße Kör-
perlichkeit ausstrahlt, ist am anderen Ende jener
Frauentyp anzutreffen, dessen Attraktivität in seiner
intellektuellen Ausstrahlung liegt. Kaum eine andere
österreichische Schauspielerin entspricht dem Bild
der zerbrechlich-schönen, attraktiven und zugleich
unnahbaren Diva mehr als Elisabeth Bergner. Sie hat
ihre Karriere bereits während des Ersten Weltkrieges
begonnen und spielt zunächst vor allem auf den Wie-
ner und Berliner Bühnen. Zum Star wird sie ab Mitte
der 1920er Jahre vor der Filmkamera. Häufig spielt
sie launisch-kapriziöse, kindlich-hysterische Frauen-
rollen, die sie mit großem Einfühlungsvermögen und
Souveränität verkörpert. Elisabeth Bergner, so heißt
es anlässlich eines Wiener Auftritts im Jahr 1926 in
der Modernen Welt, ist „die erste Schauspielerin, die
Hysterie mit Kindlichkeit verbindet – und ist diese Mi-
schung nicht der Typ der Großstadtfrau von heute?“9
Je bekannter Elisabeth Bergner wird, desto mehr
kultiviert sie ihre Unnahbarkeit. „Ich ließ von mir
keine Großaufnahmen machen“, behauptet sie in einem Gespräch 1929.10 Zugleich aber trägt die Fo-
tografie viel dazu bei, sie zum Star zu machen. In
den Porträts, die ab Mitte der 1920er Jahre vor allem
in Wiener und Berliner Ateliers entstehen, tauchen
die Züge dieser Rollen immer wieder auf, auch dann,
wenn sie sich nicht in Bühnenszenen ablichten lässt.
Die beiden Wiener Fotografinnen Trude Geiringer
und Dora Horovitz fotografieren Elisabeth Bergner
besonders häufig – im Atelier, auf der Bühne, aber
auch im Freien (Abb.
5). In ihren Aufnahmen tritt
uns eine scheue, aber ausdrucksstarke Schauspie-
lerin entgegen, die den direkten Blick in die Kame-
ra meidet, oft ihren Kopf gesenkt hält, von der aber
nichtsdestotrotz – oder gerade deswegen – eine starke
Anziehungskraft ausgeht.
Moderne Sportlerinnen
Um 1925 häufen sich in Österreich die Berichte
über den neuen Kurzhaarschnitt der Frauen, der von
Anfang an mehr bedeutet als ein modisches Detail.
Der Bubikopf wird, als Erkennungszeichen der „Neu-
en Frau“, zu einem universellen Code, der alle mög-
lichen Neuerungen im Verhältnis der Geschlechter
charakterisiert. Er begegnet uns im Theater, im Kino,
in der Mode, aber – und das ist eine wichtige Brücke
zur einfachen Bevölkerung – in modifizierter Form
auch im Sport. Als im September 1926 in Wien ein
großes Frauensportfest stattfindet, ziert erstmals eine
Frau den Umschlag des Illustrierten Sportblatts – die
Leichtathletin Gretl Mainx. Sie ist keine entrückte
Bühnendiva, eher ihr Gegenteil: eine Frau, die sich
durch Kraft, Ausdauer und Geschicklichkeit auszeich-
net. Der weibliche Sportstar gleicht der „Neuen Frau“
in mancher Hinsicht. Die junge, selbstbewusste, sie-
gessichere Sportlerin hat die androgyne Anmutung
der „Neuen Frau“ übernommen. Auch sie huldigt
dem modernen Kurzhaarschnitt. Auch sie tritt in der
bisherigen Männerdomäne Sport selbstbewusst auf.
Die anmutige Sportlerin wird als die wahre Erbin der
„Neuen Frau“ präsentiert.
Die sportliche Frau, so die These des Illustrierten
Sportblatts, ist die Frau der Zukunft (Abb.
6): „Es ist
noch gar nicht so lange her, daß man vor dem bloßen
Worte Frauenathletik ein gelindes Grauen empfand.
Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus.
Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus.
- Subtitle
- Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
- Author
- Anton Holzer
- Publisher
- Primus Verlag
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-86312-073-3
- Size
- 23.0 x 29.0 cm
- Pages
- 498
- Keywords
- Fotojournalismus, Pressefotografie, Fotografie, Fotografiegeschichte, Mediengeschichte, Kulturgeschichte, Populärkultur, Österreich
- Category
- Medien
Table of contents
- Auf den Spuren der rasenden Reporter Vorwort 7
- Neue illustrierte Welt Einleitung 10
- Bilder, Nachrichten, Sensationen Die Zeitungsstadt Wien um 1900 22
- Die Jagd nach Sensationen Pioniere der Pressefotografie 36
- Fotos statt Zeichnungen Das Entstehen einer fotografischen Öffentlichkeit 51
- Bild und Text Die Rhetorik der Zeitungsseiten 59
- Redaktion, Druck, Vertrieb Wie eine illustrierte Zeitschrift entsteht 70
- Im Rampenlicht Der Kaiser im Blick der Fotografen 77
- Als die Männer fliegen lernten Die ersten Wiener Flugschauen 91
- Mit der Kamera bewaffnet Fotografie und Propaganda im Ersten Weltkrieg 105
- Theater der Macht Parlament und Politik in Bildern 117
- Kampf um die Straße Demonstrationen, Kundgebungen und Massenpolitik 134
- Im Schatten der Konzerne Politische Illustrierte in der Zwischenkriegszeit 145
- Bilder für alle Die Welt der Magazine und Revuen 170
- Bilder als Propaganda Die illustrierte Regierungspresse nach 1934 194
- Erzählende Bilder Die moderne Fotoreportage in der Zwischenkriegszeit 203
- Handel mit Bildern Die Rolle der Fotoagenturen 234
- Politische Bilder Die Kultur der Arbeiterfotografie 248
- Amerika, ein Traum Wolkenkratzer und Tiller Girls 263
- Bubikopf und Zigarette Bilder der „Neuen Frau“ 277
- Experiment und Bewegung Tanzschritte in eine neue Zeit 286
- Wenn die Hüllen fallen Erotik, Sexualität und Nacktfotografie in der Zwischenkriegszeit 296
- Schöne neue Warenwelt Reklame und Mode in der Fotografie 304
- Dramatische Nähe Sport und Fotografie 317
- Frauen hinter der Kamera Die neuen Fotografinnen 331
- Die kurze Zeit der Avantgarde Fotografische Aufbrüche um 1930 344
- Landschaft, Berge, Brauchtum Heimatfotografie in den 1930er Jahren 363
- Fotografisches Feuilleton „Der Sonntag”: ein vergessenes Forum moderner Reportagefotografie 378
- Demagogie in Bildern Hitler in Österreich 1938 411
- Den Krieg vor Augen Nationalsozialistische Medienpolitik und Ästhetik 419
- Eine andere Kulturgeschichte Schluss 437
- Anhang