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305Professionalisierung
der Werbung
neu ist diese Entwicklung freilich nicht. Denn bereits
seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert hat sich der
großstädtische Raum grundlegend verändert. Die Re-
klame beginnt schon um die Jahrhundertwende, die
Straße zu erobern (Abb.
1). Die Werbeflächen werden
von Jahr zu Jahr ausgeweitet, die Strategien der Wer-
bung werden findiger und subtiler. Die Firma Odol
etwa beginnt nach der Jahrhundertwende als eine der
ersten, ihr Mundwasser mithilfe aggressiver Werbe-
feldzüge im öffentlichen Raum zu vermarkten. Sie
bucht großformatige Anzeigen auf Häuserwänden,
setzt aber bereits früh auch auf „bewegte“ Anzei-
gen: etwa auf Tramwaywagen und auf von Pferden
gezogenen Omnibussen. Parallel dazu werden rasch
wechselnde großformatige Anzeigen in der Presse
geschaltet, in denen die Fotos schöner junger Frauen
die Marke anpreisen.
Im ersten Jahrzehnt des neuen Jahrhunderts wird
die Debatte um die „richtige“ Reklame zu einem wich-
tigen Thema der öffentlichen Auseinandersetzung.
1909 schreibt der österreichische Philosoph, Pädago-
ge und Schriftsteller Ludwig Erik Tesar: „Die Anzeige
muss wiederholtes Ansehen erlauben, ohne langwei-
lig zu werden oder abstoßend zu wirken.“4 Er fordert
die „sinnbildende Einkleidung“, die „Ornamentarisie-
rungen des Angezeigten“. Aber er wehrt sich noch
vehement gegen den illustrierenden Einsatz von
Fotografien in der Werbung: „Gänzlich zu verwerfen
sind Anzeigen mit wiedergegebenen Lichtbildern von
Hüten und Stiefeln, Hosenträgern und anderem. Der
Wert der Photographie liegt nicht nach der künstle-
rischen Seite, sondern in der genauen Wiedergabe
irgendwelchen Originals – und zwar nach Form und
Gestalt, weniger nach Räumlichkeit und noch weni-
ger nach Farbe und Licht. Wenn daher beispielsweise
eine Firma zum Beweise der Güte ihrer Koffer einen
solchen im Lichtbilde vorführt, der die ganzen Stra-
pazen des südafrikanischen Krieges mitgemacht hat,
so liegt dem ein ganz bestimmter Zweck zugrunde,
der aber bei den früher erwähnten Inseraten völlig
fehlt. So kann der Käufer über einen Hut nur durch
persönliche Prüfung und durch Anprobe, nicht aber
durch dessen Abbildung urteilen. Übrigens würde
auch das Kofferinserat bei häufiger Wiederholung
geschmacklos werden.“5 Tesar hat offenbar die verwirrende Bleiwüste sei-
tenlanger Kleinanzeigen vor Augen, wenn er – durch-
aus im Einklang mit manchen Vorstellungen von
Secession und Jugendstil – eine künstlerische Erneu-
erung der Werbung einfordert. Jahrelang bedeutete
Anzeigenwerbung nichts anderes als die endlose
Aneinanderreihung von kurzen Textkästen mit ein-
fachen oder gar keinen Illustrationen. Angeboten
werden auf diesen Reklameseiten allerlei Wunder-
mittel, Rezepturen und Alltagsprodukte (Abb.
2):
Lederhosen, billige Bettfedern, Haarwuchsmittel,
Haarentfernungsmittel, „Gummiprodukte“ für den
Herrn, pornografische Artikel (als „Pariser Photos“
bzw. „Curiosa“ bezeichnet), Magen- und Hustensäfte,
Bücher und Briefmarken, Werkzeuge und Grabstei-
ne, Wäsche und Korsetts, Nervenmittel, Harmonikas,
Grammophone und vieles andere mehr.
Professionalisierung der Werbung
Erst nach und nach tauchen größere, aufwendiger
gestaltete Anzeigen auf. Die großen Wiener Mode-
häuser etwa schalten vereinzelt ganzseitige, grafisch
anspruchsvollere Werbeseiten (Abb.
3). Nur bei teu-
ren Produkten greifen die inserierenden Firmen auf
grafische Produktdarstellungen und später auch auf
(namentlich nicht gekennzeichnete) Fotografien zu-
rück. Das betrifft etwa Luxuswaren wie Automobile,
Motorräder, Grammophone. Aber zunehmend auch
Parfums und exquisite Hygieneartikel werden in fo-
tografisch illustrierten Inseraten angepriesen.
Parallel zur gestalterischen Verbesserung der Wer-
bung entwickelt sich kurz vor dem Ersten Weltkrieg
ein neuer Geschäftszweig im Bereich der Gestaltung
von Anzeigen. Die anspruchsvolleren Arbeiten wer-
den nicht mehr ausschließlich den Annoncen-Expe-
ditionen oder Anzeigen-Gesellschaften wie etwa der
auf diesem Gebiet führenden Firma Lehmann über-
tragen, sondern eigenen Grafikbüros. Im Juli 1914
gibt beispielsweise der Grafiker Hermann Mandl in
der Graphischen Revue die Eröffnung eines „Reklame-
Büros“ bekannt (Abb.
4). „Ich erlaube mir hiemit die
höfliche Mitteilung, dass ich mit heutigem in Wien
IV, Wiedner Hauptstraße 1, ein Reklame-Büro für
Schaufenster-, Straßen- und Zeitungsreklame eröff-
Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus.
Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus.
- Subtitle
- Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
- Author
- Anton Holzer
- Publisher
- Primus Verlag
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-86312-073-3
- Size
- 23.0 x 29.0 cm
- Pages
- 498
- Keywords
- Fotojournalismus, Pressefotografie, Fotografie, Fotografiegeschichte, Mediengeschichte, Kulturgeschichte, Populärkultur, Österreich
- Category
- Medien
Table of contents
- Auf den Spuren der rasenden Reporter Vorwort 7
- Neue illustrierte Welt Einleitung 10
- Bilder, Nachrichten, Sensationen Die Zeitungsstadt Wien um 1900 22
- Die Jagd nach Sensationen Pioniere der Pressefotografie 36
- Fotos statt Zeichnungen Das Entstehen einer fotografischen Öffentlichkeit 51
- Bild und Text Die Rhetorik der Zeitungsseiten 59
- Redaktion, Druck, Vertrieb Wie eine illustrierte Zeitschrift entsteht 70
- Im Rampenlicht Der Kaiser im Blick der Fotografen 77
- Als die Männer fliegen lernten Die ersten Wiener Flugschauen 91
- Mit der Kamera bewaffnet Fotografie und Propaganda im Ersten Weltkrieg 105
- Theater der Macht Parlament und Politik in Bildern 117
- Kampf um die Straße Demonstrationen, Kundgebungen und Massenpolitik 134
- Im Schatten der Konzerne Politische Illustrierte in der Zwischenkriegszeit 145
- Bilder für alle Die Welt der Magazine und Revuen 170
- Bilder als Propaganda Die illustrierte Regierungspresse nach 1934 194
- Erzählende Bilder Die moderne Fotoreportage in der Zwischenkriegszeit 203
- Handel mit Bildern Die Rolle der Fotoagenturen 234
- Politische Bilder Die Kultur der Arbeiterfotografie 248
- Amerika, ein Traum Wolkenkratzer und Tiller Girls 263
- Bubikopf und Zigarette Bilder der „Neuen Frau“ 277
- Experiment und Bewegung Tanzschritte in eine neue Zeit 286
- Wenn die Hüllen fallen Erotik, Sexualität und Nacktfotografie in der Zwischenkriegszeit 296
- Schöne neue Warenwelt Reklame und Mode in der Fotografie 304
- Dramatische Nähe Sport und Fotografie 317
- Frauen hinter der Kamera Die neuen Fotografinnen 331
- Die kurze Zeit der Avantgarde Fotografische Aufbrüche um 1930 344
- Landschaft, Berge, Brauchtum Heimatfotografie in den 1930er Jahren 363
- Fotografisches Feuilleton „Der Sonntag”: ein vergessenes Forum moderner Reportagefotografie 378
- Demagogie in Bildern Hitler in Österreich 1938 411
- Den Krieg vor Augen Nationalsozialistische Medienpolitik und Ästhetik 419
- Eine andere Kulturgeschichte Schluss 437
- Anhang