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354 Die kurze Zeit der Avantgarde · Fotografische Aufbrüche um 1930
Sehens in Wien, gewidmet ist.23 Der aus Prag stam-
mende Fotograf lebt in den 1920er und 1930er Jahre
in Wien, zeitweise auch in Berlin. Wolfgang Born ist
von der Schau begeistert. In seiner Besprechung in der
Bühne hebt er ein Porträt der Schauspielerin Lux Ro-
denberg (Abb.
13) besonders hervor: „Die Augen spre-
chen, der Mund schweigt. Ein Kopf, den man nicht ver-
gißt. Die Finger halten die Schläfe, unter der es pocht.
Ohne alles Szenische atmet man die Atmosphäre des
dichterischen Theaters. Eine innere Handlung ist in
den engen Rahmen eines Bildraumes gepresst.“24
Auf der folgenden Doppelseite stellt Born zwei
sehr unterschiedliche Körperbilder, die Riethof in
der Neuen Galerie zeigt, einander gegenüber: einen
Arbeiter mit entblößtem Oberkörper und einen stark angeschnittenen Frauenakt (Abb.
14). Born schreibt
dazu: „Kontraste. Die Bilder links und rechts – zwei
nackte Menschenkörper: Der arbeitende Mann,
alle Muskeln gespannt, die Tänzerin, gelöst und
schwingend. Im Rhythmus entsprechen sich beide
Figuren – dadurch wird der Gegensatz um so ein-
dringlicher. Schatten und Licht stehen im Dienst der
Komposition. Es spielt sich eine stumme Szene ab,
deren dramatische Spannung durch die Konzentra-
tion auf das Wesentliche erreicht wird. Zwei Welten
prallen aufeinander. Die Wirklichkeit geht unmit-
telbar ins Kunstwerk ein, ohne daß dadurch etwas
Naturalistisches entsteht. – Die Photographie wirkt
als Überraschung. Man sieht das Gewohnte neu. Die
Kamera hat Menschenaugen bekommen.“25 Riethofs
Erfolg in der „Neuen Galerie“ setzt sich wenig später
in der Wiener FiFo fort. Er ist mit insgesamt 36 ge-
zeigten Bildern der Star der Ausstellung. Von keinem
anderen Lichtbildner werden annähernd so viele Ar-
beiten gezeigt.
Anregungen
und Vorbilder aus dem Ausland
Das Beispiel der FiFo zeigt, dass um 1930 zwar
ein verstärktes Interesse an der modernen Fotografie
vorhanden ist, allerdings kommen die Anregungen
und Einflüsse oft aus dem Ausland. Wien ist Ende der
1920er Jahre keine Hochburg der Avantgarde (eher
im Gegenteil), aber unter der sozialdemokratischen
Stadtregierung etabliert sich dennoch ein offenes,
neugieriges kulturelles Klima. Ende der 1920er Jahre
werden alle möglichen progressiven Kulturprojekte
importiert. Rezipiert wird etwa die Kunst-, Theater-
und Fotoszene der jungen revolutionären Sowjetuni-
on. Im März 1928 – zehn Jahre nach der russischen
Revolution – wird in den Räumen des Wiener Hagen-
bundes eine sowjetrussische Ausstellung gezeigt.
Die Ausstellung kommt auf Initiative der „Österrei-
chischen Gesellschaft zur Förderung der geistigen
und wirtschaftlichen Beziehungen mit der UdSSR“
zustande. Präsentiert wird dabei ein – durchaus pro-
pagandistischer – Überblick über die Leistungen des
jungen Staates: Zu sehen sind innovative Theater-
inszenierungen ebenso wie moderne Plakatgestal-
tungen und grafische Arbeiten. Ebenfalls zwischen
Abb.
9 Stützpfeiler der neuen
Augartenbrücke in Wien. Die
Bühne, Zweites Augustheft
1931, S.
29. Foto: Otto Skall.
Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus.
Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus.
- Subtitle
- Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
- Author
- Anton Holzer
- Publisher
- Primus Verlag
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-86312-073-3
- Size
- 23.0 x 29.0 cm
- Pages
- 498
- Keywords
- Fotojournalismus, Pressefotografie, Fotografie, Fotografiegeschichte, Mediengeschichte, Kulturgeschichte, Populärkultur, Österreich
- Category
- Medien
Table of contents
- Auf den Spuren der rasenden Reporter Vorwort 7
- Neue illustrierte Welt Einleitung 10
- Bilder, Nachrichten, Sensationen Die Zeitungsstadt Wien um 1900 22
- Die Jagd nach Sensationen Pioniere der Pressefotografie 36
- Fotos statt Zeichnungen Das Entstehen einer fotografischen Öffentlichkeit 51
- Bild und Text Die Rhetorik der Zeitungsseiten 59
- Redaktion, Druck, Vertrieb Wie eine illustrierte Zeitschrift entsteht 70
- Im Rampenlicht Der Kaiser im Blick der Fotografen 77
- Als die Männer fliegen lernten Die ersten Wiener Flugschauen 91
- Mit der Kamera bewaffnet Fotografie und Propaganda im Ersten Weltkrieg 105
- Theater der Macht Parlament und Politik in Bildern 117
- Kampf um die Straße Demonstrationen, Kundgebungen und Massenpolitik 134
- Im Schatten der Konzerne Politische Illustrierte in der Zwischenkriegszeit 145
- Bilder für alle Die Welt der Magazine und Revuen 170
- Bilder als Propaganda Die illustrierte Regierungspresse nach 1934 194
- Erzählende Bilder Die moderne Fotoreportage in der Zwischenkriegszeit 203
- Handel mit Bildern Die Rolle der Fotoagenturen 234
- Politische Bilder Die Kultur der Arbeiterfotografie 248
- Amerika, ein Traum Wolkenkratzer und Tiller Girls 263
- Bubikopf und Zigarette Bilder der „Neuen Frau“ 277
- Experiment und Bewegung Tanzschritte in eine neue Zeit 286
- Wenn die Hüllen fallen Erotik, Sexualität und Nacktfotografie in der Zwischenkriegszeit 296
- Schöne neue Warenwelt Reklame und Mode in der Fotografie 304
- Dramatische Nähe Sport und Fotografie 317
- Frauen hinter der Kamera Die neuen Fotografinnen 331
- Die kurze Zeit der Avantgarde Fotografische Aufbrüche um 1930 344
- Landschaft, Berge, Brauchtum Heimatfotografie in den 1930er Jahren 363
- Fotografisches Feuilleton „Der Sonntag”: ein vergessenes Forum moderner Reportagefotografie 378
- Demagogie in Bildern Hitler in Österreich 1938 411
- Den Krieg vor Augen Nationalsozialistische Medienpolitik und Ästhetik 419
- Eine andere Kulturgeschichte Schluss 437
- Anhang