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407Linke
und Liberale: Die Kreise des Sonntag
entgegen. Das Gesicht ist durch eine Gasmaske ver-
deckt. Es ist unverkennbar, dass Oplatka hier das The-
ma der italienischen Jugendlichen mit Gasmaske, die
er im Jahr zuvor fotografiert hat, aufgreift. Es scheint
so, als habe er die Gasmaske sogar aus dem damals
im Sonntag publizierten Italienfoto ausgeschnitten
(vgl. Abb. 23, Mitte) und – gespiegelt – für die Antik-
riegsmontage verwendet. Eine ganz ähnliche Antik-
riegsszene, die ebenfalls eine Plastik mit Gasmasken
versieht, ist am 11. Februar 1931 in der französischen
Illustrierten VU erschienen.65 Oplatka hat dieses Ti-
telblatt mit Sicherheit gekannt, genau zu dieser Zeit
hat er in der VU-Redaktion gearbeitet. Möglicherweise
hat er die französische Montage damals sogar selbst
hergestellt. Die Ähnlichkeiten beider Inszenierungen
gehen so weit, dass Oplatka im Sonntag sogar den
Titel „La Prochaine Guerre“ übernimmt. Auf Deutsch
heißt die Antikriegsnummer wortgleich „Der nächste
Krieg.“
Im Innenteil wird die kriegskritische Haltung fort-
gesetzt und auf den Ersten Weltkrieg bezogen, den
historischen Anlass des Heftes. Unter dem Titel „Das
Ende des Liedes“ findet sich eine Zusammenstellung
von Kriegsaufnahmen, die die Grausamkeit und die
Gewalt des ersten industriellen Massenkrieges zei-
gen (Abb. 25). Auch hier schlüpft der Pazifismus in
das Gewand eines unbestimmten Humanismus. Poli-
tiker, Regierungen, Kriegstreiber und Profiteure des
Militarismus werden nicht konkret benannt, schon
gar nicht einheimische. Dass eine der Aufnahmen
Gewalttaten österreichischer Militärs zeigt, die zwi-
schen 1914 und 1918 an Zivilisten an der Ostfront be-
gangen wurden, mögen die Leser zwar erahnen, aber
offen ausgesprochen wird es nicht.66
Auch wenn sich der Sonntag innenpolitischer
Kommentare oder gar Kritik enthält, unterscheidet
er sich doch deutlich von den meisten anderen illus-
trierten Zeitungen und Zeitschriften, die in diesen
Jahren immer stärker ins Fahrwasser der diktatori-
schen Regierungspolitik geraten. Die Zeitung greift
Themen auf, etwa in ihren Alltags- und Sozialrepor-
tagen, die in anderen Medien kaum oder nur am Ran-
de vorkommen. Vor allem aber hebt sich der Sonntag
durch seine nicht nationalistische, weltoffene, neu-
gierige und nicht zuletzt offen pazifistische Grund- haltung vom Mainstream ab. Um die politische und
gesellschaftliche Positionierung der Zeitung besser
fassen zu können, ist es sinnvoll, den Blick über die
gedruckten Seiten hinaus zu richten und auch das
soziale, gesellschaftliche und kulturelle Netzwerk, in
dem Hans Oplatka agiert, kurz zu beleuchten. Man
kann, wenn man diese Freundschaften und Kontakte
und die damit einhergehenden Interessen und The- Abb. 25 „Das Ende vom Lied“.
Der Sonntag, 29.
Juni 1935,
S.
8. Fotos: Archiv, Zusammen-
stellung vermutlich
durch Hans
Oplatka.
Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus.
Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus.
- Subtitle
- Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
- Author
- Anton Holzer
- Publisher
- Primus Verlag
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-86312-073-3
- Size
- 23.0 x 29.0 cm
- Pages
- 498
- Keywords
- Fotojournalismus, Pressefotografie, Fotografie, Fotografiegeschichte, Mediengeschichte, Kulturgeschichte, Populärkultur, Österreich
- Category
- Medien
Table of contents
- Auf den Spuren der rasenden Reporter Vorwort 7
- Neue illustrierte Welt Einleitung 10
- Bilder, Nachrichten, Sensationen Die Zeitungsstadt Wien um 1900 22
- Die Jagd nach Sensationen Pioniere der Pressefotografie 36
- Fotos statt Zeichnungen Das Entstehen einer fotografischen Öffentlichkeit 51
- Bild und Text Die Rhetorik der Zeitungsseiten 59
- Redaktion, Druck, Vertrieb Wie eine illustrierte Zeitschrift entsteht 70
- Im Rampenlicht Der Kaiser im Blick der Fotografen 77
- Als die Männer fliegen lernten Die ersten Wiener Flugschauen 91
- Mit der Kamera bewaffnet Fotografie und Propaganda im Ersten Weltkrieg 105
- Theater der Macht Parlament und Politik in Bildern 117
- Kampf um die Straße Demonstrationen, Kundgebungen und Massenpolitik 134
- Im Schatten der Konzerne Politische Illustrierte in der Zwischenkriegszeit 145
- Bilder für alle Die Welt der Magazine und Revuen 170
- Bilder als Propaganda Die illustrierte Regierungspresse nach 1934 194
- Erzählende Bilder Die moderne Fotoreportage in der Zwischenkriegszeit 203
- Handel mit Bildern Die Rolle der Fotoagenturen 234
- Politische Bilder Die Kultur der Arbeiterfotografie 248
- Amerika, ein Traum Wolkenkratzer und Tiller Girls 263
- Bubikopf und Zigarette Bilder der „Neuen Frau“ 277
- Experiment und Bewegung Tanzschritte in eine neue Zeit 286
- Wenn die Hüllen fallen Erotik, Sexualität und Nacktfotografie in der Zwischenkriegszeit 296
- Schöne neue Warenwelt Reklame und Mode in der Fotografie 304
- Dramatische Nähe Sport und Fotografie 317
- Frauen hinter der Kamera Die neuen Fotografinnen 331
- Die kurze Zeit der Avantgarde Fotografische Aufbrüche um 1930 344
- Landschaft, Berge, Brauchtum Heimatfotografie in den 1930er Jahren 363
- Fotografisches Feuilleton „Der Sonntag”: ein vergessenes Forum moderner Reportagefotografie 378
- Demagogie in Bildern Hitler in Österreich 1938 411
- Den Krieg vor Augen Nationalsozialistische Medienpolitik und Ästhetik 419
- Eine andere Kulturgeschichte Schluss 437
- Anhang