Page - 31 - in Religion, Medien und die Corona-Pandemie - Paradoxien einer Krise
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zahl sehen und wurden gleichzeitig von einem Dharma-bhā
aka (ぬ⇂,
Dharma-Rezitator) über Termine für die Beichte informiert. Mithilfe die-
ser Gleichzeitigkeit der Handlung entsteht ein Gefühl von Verbundenheit,
das auf dem traditionellen Gedanken basiert, dass ein gemeinsames Gebet
mehr pu ya (ᘶ⍎, Verdienste) als ein einzelnes erzeugt.
Die Wirkung der Online-Rituale
Die Authentizität und Wirksamkeit digitaler Religionen werden manch-
mal von religiösen Autoritäten infrage gestellt, da jede:r Einzelne die eige-
ne religiöse Vorstellung im Internet darlegen und verbreiten könne. Bei
den oben erörterten Beispielen religiöser Rituale in der Pandemie wurde
keine solche Kritik geäußert, da beide Rituale von religiösen Institutionen,
nämlich von zwei staatlich anerkannten Heiligtümern, geleitet wurden.
Wie oben erwähnt, setzten die Tempel die tägliche Pūjā (Verehrungsar-
beit) fest.
Der Hauptort und das Zentrum des Rituals war immer die heilige Stätte
selbst. Wenn eine Teilnehmerin zum Beispiel an einem Ritual um acht
Uhr teilnehmen wollte, guckte sie sich nicht bis 07:59 lustige Memes auf
WeChat oder kleine Videos auf TikTok an, sondern bereitete sich auf das
Ritual vor. Sie zog sich ordentlich an oder trug sogar die Robe für Laien.
Sie zündete Räucherstäbchen an, legte Obst und Blumen vor den Statuen
der Buddhas und Bodhisattwas in ihrer Wohnung nieder.
Außerdem wurden Regelungen und Vorschri#en dieser digitalen Ritua-
le strikt nach dem Vorbild der O&ine-Rituale reproduziert. Anpassungen
an die Eigenscha#en der Medien, wie sie in manchen Buddhismus-orien-
tierten Apps zu finden sind, – wenn beispielsweise digitales Obst und Räu-
cherstäbchen vor eine projizierte buddhistische Statue hingelegt werden
können – fanden hier nicht statt. Die Tradition, die eine große Menge
Gläubige miteinander teilt, blieb unverändert. Bei den betrachteten Ritua-
len galten Medien im Wesentlichen lediglich als Hilfsmittel. Sie erzeugten
keine neue Form von Ritual, deren Merkmale stärker zur Online-Religion
gehören würden.
Bei den Tempeln zeigte sich eine Vorliebe für bestimmte Medien, näm-
lich für eine konventionelle Verwendung von Texten und Bildern sowie
eine vergleichsweise neuartige digitale Echtzeit-Übertragung. Diese Wahl
hing mit der vom jeweiligen Heiligtum eingenommenen Rolle in der Ge-
sellscha# zusammen: Der Jadebuddha-Tempel fungiert nicht nur als reli-
giöser Zufluchtsort für Menschen, sondern auch als berühmte Sehenswür-
digkeit in Shanghai. Diese chan-buddhistische religiöse Stätte ist damit be-
Leere Tempel, volle Livestreams in China
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https://doi.org/10.5771/9783748922216, am 10.02.2021, 12:13:48
Open Access - - https://www.nomos-elibrary.de/agb
Religion, Medien und die Corona-Pandemie
Paradoxien einer Krise
- Title
- Religion, Medien und die Corona-Pandemie
- Subtitle
- Paradoxien einer Krise
- Author
- Daria Pezzoli-Olgiati
- Editor
- Anna-Katharina Höpflinger
- Publisher
- Nomos Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-7489-2221-6
- Size
- 15.3 x 22.7 cm
- Pages
- 134
- Categories
- Coronavirus
- Medien
Table of contents
- Einführung 7
- Fahren auf Sicht im Nebel des notwendig Undeutlichen 11
- Wenn jetzt alles anders ist, wie ist es denn immer gewesen? 13
- «Wir sitzen zu Hause und draußen geht die Welt unter» 17
- Gemeinscha!en in Isolation 23
- Leere Tempel, volle Livestreams in China 27
- Digitale Au!ührungen des Ausnahmezustands 35
- Ambivalente Deutungen des Virus in Facebook-Communities 41
- Krise und Solidarität im öffentlichen Raum 49
- Solidarität zwischen Kirche und Suppenküche 51
- Leid und Hoffnung einer Nation im Grati 59
- Unterhaltung in der Pandemie 67
- Lieder zwischen Krisenbewältigung und Entertainment 69
- Witz und Religionskritik in Internet-Memes 77
- Der Tod als mediale Inszenierung 85
- Einsamer Abschied vor aller Welt 87
- Das Virus ist unsichtbar, der Tod ganz konkret 93
- Wirklichkeitsdeutung zwischen Fakten und Fake News 101
- Erlösung durch Kapitalismus 103
- Die Verschwörung(en) hinter der Pandemie 111
- Ausblicke ins Ungewisse 119
- Die Pandemie als Ritual – ein Gedankenspiel 121
- Prophetische Metaphern der postpandemischen Zeit 127
- Abbildungsverzeichnis 133