Page - 20 - in Zipper und sein Vater
Image of the Page - 20 -
Text of the Page - 20 -
traurig, wie ein Gärtner, der kraftlosen Samen gesät und dem der Sommer und
der Herbst ohne Gabe vorbeiziehn. Er gab immer weniger auf seine Haltung
acht. Verschiedene Methoden, eleganter zu erscheinen, als er in Wirklichkeit
sein konnte, behielt er noch bei. Er trug weiĂźe Krawatten zu einem schwarzen
Anzug. Er sah einem Herrenreiter ähnlich, einem Lakaien, einem Fischer am
Sonntag, einem Kapitän, der nach langen Jahren zum erstenmal wieder festen
Boden betritt, einem Manager in einem Zirkus, weiĂź Gott noch wem. Als ihm
die Haare auszugehen begannen, erfand und mischte er allerhand Salben, sie
zu bewahren. Durch eine Verbindung von Terpentin, Chinin, Schwefel und
Salz gelang es ihm, ein Haarmittel herzustellen, das er selbst mit Erfolg
verwendete und dessen Geheimnis er einem Friseur verkaufte – um den Preis
eines Gratisabonnements fĂĽr zwei Jahre, Haarschneiden einmal im Monat
inbegriffen. Denn es ging dem alten Zipper keineswegs um einen Verdienst,
sondern um die Möglichkeit, sich sogar in puncto Rasieren und
Haarschneiden von andern Männern zu unterscheiden, die ihren Barbier mit
barer MĂĽnze bezahlten.
Es war sein Ehrgeiz, »Protektionen« zu haben. Meist gelang es ihm, die
Gunst derjenigen Persönlichkeiten zu gewinnen, die man überhaupt im Leben
nicht braucht. Da er sich aber einbildete, man mĂĽsse Freundlichkeit erhalten,
verlor er viel Zeit – die ihm allerdings immer zur Verfügung stand. Er kannte
die Rayoninspektoren der Polizei, einige Männer von der Feuerwehr, er hatte
seine Beziehungen auf den verschiedensten Bahnhöfen, er grüßte Zollbeamte,
Magistratssekretäre, Gerichtsadjunkten, Männer, die Steuern
einkassierten, Sollizitatoren, Notare. Ja, auch den Henker kannte er. Er rĂĽhmte
sich seiner Fähigkeit, Hinrichtungen beiwohnen zu können, ließ es aber
niemals darauf ankommen – ich vermute, daß ihn sein weiches Herz nicht
gehen ließ. Doch gelang es ihm immer, bei Unglücksfällen, Bränden,
Volksversammlungen, Verhaftungen, Demonstrationen, UmzĂĽgen, offiziellen
Feiern und andern Gelegenheiten dort durchzukommen, wo es verboten war.
Er, der sich aus dem Kaiser nichts machte und abfällige Witze über ihn sogar
im Kaffeehaus vorbrachte, marschierte am Vorabend des kaiserlichen
Geburtstages an der Seite der Fackelträger und der Veteranenmusik.
Wenn eine hohe Persönlichkeit begraben wurde, hinderte ihn seine
Ungläubigkeit nicht, in einer Reihe mit den nächsten Leidtragenden in der
Kirche zu sitzen. Jeden Sommer, wenn der Kaiser nach Ischl fuhr, befand sich
der alte Zipper unter Generälen, Bürgermeistern und fast neben dem
Stationschef – den er kannte – auf dem Bahnsteig. Längst nachdem er wegen
starker Krampfadern von der Teilnahme an Manövern befreit war, ging er in
die Dörfer, in denen sie stattfanden. Alle Bewegungen der Truppen kannte er.
Dank einer Beziehung zu einem Portier des Parlaments, saĂź er, wenn es tagte,
neben der Journalistenloge. Bedeutenden Prozessen wohnte er bei,
20
back to the
book Zipper und sein Vater"
Zipper und sein Vater
- Title
- Zipper und sein Vater
- Author
- Joseph Roth
- Date
- 1928
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 112
- Keywords
- Roman, Geschichte, Ă–sterreich, Wien
- Categories
- Weiteres Belletristik
Table of contents
- Kapitel 1 5
- Kapitel 2 8
- Kapitel 3 13
- Kapitel 4 18
- Kapitel 5 22
- Kapitel 6 25
- Kapitel 7 28
- Kapitel 8 36
- Kapitel 9 42
- Kapitel 10 45
- Kapitel 11 54
- Kapitel 12 62
- Kapitel 13 68
- Kapitel 14 74
- Kapitel 15 77
- Kapitel 16 83
- Kapitel 17 88
- Kapitel 18 94
- Kapitel 19 97
- Kapitel 20 101
- Kapitel 21 104
- Brief des Autors an Arnold Zipper 110