Page - 37 - in Zipper und sein Vater
Image of the Page - 37 -
Text of the Page - 37 -
Heldenhaftigkeit in Koketterie zu verwandeln. Denn die Eitelkeit war in jenen
Tagen – nicht zum ersten Male im Lauf der Jahrtausende – stärker als die
Disziplin und sorglos vor dem Tod. Arnold trug zum Beispiel, was
Infanterieoffizieren verboten war, eine MĂĽtze ohne Schild schief auf dem
Kopf. Er war nicht kindisch genug, um mit seiner militärischen Existenz und
seinem Offiziersgrad zufrieden zu sein; und den Charakter selbstgefälliger
Keckheit verlieh er seiner Kleidung nicht deshalb, weil er sich mit der
Uniform freute. Aber er gehörte zu jenen Männern – ich konnte es später bei
vielen bemerken –, die einer Mode erliegen, wie Menschen mit empfindlichen
Atmungsorganen einer Influenza.
Ich weiĂź, daĂź mir Arnold Zipper erst auffiel, als ich ihn nach dem Krieg
traf.
Obwohl ich ihn nur ein halbes Jahr nicht gesehen hatte, schien er mir doch
in der Zivilkleidung so verwandelt, daĂź ich glaubte, ihn nach langen Jahren
wieder getroffen zu haben. Er trug einen dunkelblauen Anzug aus billigem,
gefärbtem Militärstoff. Es war einer von den Anzügen, die man in armen
Vierteln auf Stangen vor kleinen Läden hängen sieht, die, wenn man sie
angezogen hat, den menschlichen Körper abzuschrecken scheinen, so daß er
sich selbst vor ihnen zurĂĽckzieht und zwischen sich und dem Stoff, der ihn
bekleiden sollte, der ihn aber nur umhüllt, einen luftleeren Raum läßt. Hinter
den Bewegungen, die Arnold Zipper in diesem Anzug machte, ahnte ich die
ursprünglichen, feineren und gelenkigeren Bewegungen des nackten Körpers.
Es war, als kämen der Ärmel und die Hose dem Arm und dem Bein um den
Bruchteil einer Sekunde nach. So entstand eine kaum bemerkbare
Unbeholfenheit im Gehaben Zippers – vielleicht verursachte sie es eigentlich,
daĂź ich Arnold jetzt genauer zu beobachten begann.
Ein blau-weiĂź gestreifter weicher Kragen, den Arnold zu einem Hemd von
der gleichen Farbe, aber einem andern Muster trug, wahrscheinlich in der
Hoffnung, daĂź die auffallenden Farben die Verschiedenheit der Zeichnung
vergessen machen, lenkte vielleicht erst meine Aufmerksamkeit auf das
frauenhafte GrĂĽbchen in seinem Kinn, das mich manchmal an seine Mutter
erinnerte und das ihm den Ausdruck eines genuĂźfreudigen Menschen und
eines gutherzigen verlieh. Auffallend waren seine kleinen weißen Zähne, die
Zähne eines Nagetiers, die Arnolds Angesicht heiter machten, beinahe
ĂĽbermĂĽtig, wenn er sprach. Hielt er den Mund geschlossen, so war sein
Gesicht dĂĽster. Seine Stirn war rein und groĂź, sie wirkte unschuldig und
unbeschrieben. Seine Augen hatten einen federleichten Blick, der von den
Zielen abglitt, wie ein Korkpfropfen, abgeschossen aus einer Knabenflinte.
Mit diesen Blicken sah Arnold die Welt. Er kannte ihre Flächen, ihre Glätte
und ihre Rauheit, ihre Buntheit und ihre Eintönigkeit. Manchmal wirkte seine
37
back to the
book Zipper und sein Vater"
Zipper und sein Vater
- Title
- Zipper und sein Vater
- Author
- Joseph Roth
- Date
- 1928
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 112
- Keywords
- Roman, Geschichte, Ă–sterreich, Wien
- Categories
- Weiteres Belletristik
Table of contents
- Kapitel 1 5
- Kapitel 2 8
- Kapitel 3 13
- Kapitel 4 18
- Kapitel 5 22
- Kapitel 6 25
- Kapitel 7 28
- Kapitel 8 36
- Kapitel 9 42
- Kapitel 10 45
- Kapitel 11 54
- Kapitel 12 62
- Kapitel 13 68
- Kapitel 14 74
- Kapitel 15 77
- Kapitel 16 83
- Kapitel 17 88
- Kapitel 18 94
- Kapitel 19 97
- Kapitel 20 101
- Kapitel 21 104
- Brief des Autors an Arnold Zipper 110