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Zipper und sein Vater
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Er brachte sie in eine kleine Gesellschaft von Literaten. Sie war zu klug, um selbst etwas Gescheites zu sagen – was sie bestimmt gekonnt hĂ€tte –, deshalb schwieg sie. Aber zu sehr mit sich selbst beschĂ€ftigt, um andern zuzuhören, und in der Angst, zu verraten, daß sie nur an sich denke, spielte sie eine meisterhafte stumme Szene, wĂ€hrend der jeder Zuschauer geschworen hĂ€tte, daß ihr unermĂŒdliches, nervöses Gehirn an den SĂ€tzen arbeite, die gesprochen wurden. Ich erinnerte mich an Ă€hnliche Szenen, die ich selbst gespielt hatte, in der Schule, wo mir daran gelegen war, die Achtung des erklĂ€renden Lehrers zu gewinnen, zugleich aber keine Zeit fĂŒr das Zuhören zu verschwenden. Ich mußte an wichtigere Dinge denken, nĂ€mlich an diejenigen, die mich selbst angingen. Zu der Meisterschaft, die FrĂ€ulein Erna besaß, hatte ich es freilich nie gebracht. Denn sie konnte nicht nur sich selbst hingegeben sein, wĂ€hrend es so aussah, als wĂ€re sie dem GesprĂ€ch hingegeben! Nein! In einem ganz bestimmten Augenblick, in dem sie fĂŒhlte, daß sie nicht lĂ€nger schweigen dĂŒrfe, um nicht erkannt zu werden, gelang es ihr, dem GesprĂ€ch durch einen einzigen Satz eine neue Wendung zu geben. Jetzt hatte sie es dazu gebracht, daß alle eine Viertelstunde die Frage diskutierten, die sie aufgeworfen hatte. Eine kostbare Viertelstunde fĂŒr sie: denn eine Viertelstunde, in der sie wieder an sich denken konnte. Es waren einige MĂ€nner am Tisch, die sie eben kennengelernt hatte. Nach einer geraumen Zeit, als wir mĂŒde von den fruchtlosen und anstrengenden GesprĂ€chen, die uns FrĂ€ulein Erna aufgegeben hatte, anfingen, Scherze zu machen und menschlich zu sein, nannte sie alle bei Namen. Sie hatte sich die Namen gemerkt. Sie hielt es nicht mehr der MĂŒhe wert, die Anrede Herr zu gebrauchen. Sie behandelte uns bereits wie ihre Kollegen, die jungen Schauspieler. Sie heuchelte eine Kameradschaft, weil es die leichteste Art war, herzlich zu erscheinen, freimĂŒtig, redlich und einfach. Sie gab sich burschikos – was jeden ĂŒberzeugen mußte, daß sie aufrichtig sei. Sie benahm sich wie ein Junge. Daraus schloß man, daß sie bequem zu behandeln wĂ€re. Sie war aufgerĂ€umt. Das erweckte den Glauben an ihr Temperament. Sie ließ sich einen groben Witz gefallen, sie rief ihn sogar hervor – und sie schien erhaben ĂŒber alle Vorurteile. Sie zollte Schauspielerinnen, von denen man sprach, eine scheinbar aufrichtige Anerkennung; und wir hielten sie fĂŒr neidlos. Sie machte sich lustig ĂŒber das Theaterspielen. Deshalb glaubte man, sie hĂ€tte keinen Ehrgeiz. Sie ließ die Meinung eines jeden gelten. Deshalb meinte man, sie wĂ€re gerecht. Sie fragte sogar den und jenen nach seiner Meinung; und der und jener fĂŒhlte sich geschmeichelt. Wenn sie sprach, wurde sie schön. Eine braune Röte kam in ihr Gesicht, ein goldener Glanz in ihre braunen Augen, sie bewegte den kleinen Kopf mit so kunstvoller Heftigkeit, daß ihre Haare in geregelter Wirre in ihre Stirn fielen und an ihrer Heiterkeit teilnahmen. So fand sie oft Gelegenheit, ihre empfindliche Hand, 64
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Zipper und sein Vater
Title
Zipper und sein Vater
Author
Joseph Roth
Date
1928
Language
German
License
PD
Size
21.0 x 29.7 cm
Pages
112
Keywords
Roman, Geschichte, Österreich, Wien
Categories
Weiteres Belletristik

Table of contents

  1. Kapitel 1 5
  2. Kapitel 2 8
  3. Kapitel 3 13
  4. Kapitel 4 18
  5. Kapitel 5 22
  6. Kapitel 6 25
  7. Kapitel 7 28
  8. Kapitel 8 36
  9. Kapitel 9 42
  10. Kapitel 10 45
  11. Kapitel 11 54
  12. Kapitel 12 62
  13. Kapitel 13 68
  14. Kapitel 14 74
  15. Kapitel 15 77
  16. Kapitel 16 83
  17. Kapitel 17 88
  18. Kapitel 18 94
  19. Kapitel 19 97
  20. Kapitel 20 101
  21. Kapitel 21 104
  22. Brief des Autors an Arnold Zipper 110
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