Web-Books
im Austria-Forum
Austria-Forum
Web-Books
Weiteres
Belletristik
Zipper und sein Vater
Seite - 64 -
  • Benutzer
  • Version
    • Vollversion
    • Textversion
  • Sprache
    • Deutsch
    • English - Englisch

Seite - 64 - in Zipper und sein Vater

Bild der Seite - 64 -

Bild der Seite - 64 - in Zipper und sein Vater

Text der Seite - 64 -

Er brachte sie in eine kleine Gesellschaft von Literaten. Sie war zu klug, um selbst etwas Gescheites zu sagen – was sie bestimmt gekonnt hätte –, deshalb schwieg sie. Aber zu sehr mit sich selbst beschäftigt, um andern zuzuhören, und in der Angst, zu verraten, daß sie nur an sich denke, spielte sie eine meisterhafte stumme Szene, während der jeder Zuschauer geschworen hätte, daß ihr unermüdliches, nervöses Gehirn an den Sätzen arbeite, die gesprochen wurden. Ich erinnerte mich an ähnliche Szenen, die ich selbst gespielt hatte, in der Schule, wo mir daran gelegen war, die Achtung des erklärenden Lehrers zu gewinnen, zugleich aber keine Zeit für das Zuhören zu verschwenden. Ich mußte an wichtigere Dinge denken, nämlich an diejenigen, die mich selbst angingen. Zu der Meisterschaft, die Fräulein Erna besaß, hatte ich es freilich nie gebracht. Denn sie konnte nicht nur sich selbst hingegeben sein, während es so aussah, als wäre sie dem Gespräch hingegeben! Nein! In einem ganz bestimmten Augenblick, in dem sie fühlte, daß sie nicht länger schweigen dürfe, um nicht erkannt zu werden, gelang es ihr, dem Gespräch durch einen einzigen Satz eine neue Wendung zu geben. Jetzt hatte sie es dazu gebracht, daß alle eine Viertelstunde die Frage diskutierten, die sie aufgeworfen hatte. Eine kostbare Viertelstunde für sie: denn eine Viertelstunde, in der sie wieder an sich denken konnte. Es waren einige Männer am Tisch, die sie eben kennengelernt hatte. Nach einer geraumen Zeit, als wir müde von den fruchtlosen und anstrengenden Gesprächen, die uns Fräulein Erna aufgegeben hatte, anfingen, Scherze zu machen und menschlich zu sein, nannte sie alle bei Namen. Sie hatte sich die Namen gemerkt. Sie hielt es nicht mehr der Mühe wert, die Anrede Herr zu gebrauchen. Sie behandelte uns bereits wie ihre Kollegen, die jungen Schauspieler. Sie heuchelte eine Kameradschaft, weil es die leichteste Art war, herzlich zu erscheinen, freimütig, redlich und einfach. Sie gab sich burschikos – was jeden überzeugen mußte, daß sie aufrichtig sei. Sie benahm sich wie ein Junge. Daraus schloß man, daß sie bequem zu behandeln wäre. Sie war aufgeräumt. Das erweckte den Glauben an ihr Temperament. Sie ließ sich einen groben Witz gefallen, sie rief ihn sogar hervor – und sie schien erhaben über alle Vorurteile. Sie zollte Schauspielerinnen, von denen man sprach, eine scheinbar aufrichtige Anerkennung; und wir hielten sie für neidlos. Sie machte sich lustig über das Theaterspielen. Deshalb glaubte man, sie hätte keinen Ehrgeiz. Sie ließ die Meinung eines jeden gelten. Deshalb meinte man, sie wäre gerecht. Sie fragte sogar den und jenen nach seiner Meinung; und der und jener fühlte sich geschmeichelt. Wenn sie sprach, wurde sie schön. Eine braune Röte kam in ihr Gesicht, ein goldener Glanz in ihre braunen Augen, sie bewegte den kleinen Kopf mit so kunstvoller Heftigkeit, daß ihre Haare in geregelter Wirre in ihre Stirn fielen und an ihrer Heiterkeit teilnahmen. So fand sie oft Gelegenheit, ihre empfindliche Hand, 64
zurück zum  Buch Zipper und sein Vater"
Zipper und sein Vater
Titel
Zipper und sein Vater
Autor
Joseph Roth
Datum
1928
Sprache
deutsch
Lizenz
PD
Abmessungen
21.0 x 29.7 cm
Seiten
112
Schlagwörter
Roman, Geschichte, Österreich, Wien
Kategorien
Weiteres Belletristik

Inhaltsverzeichnis

  1. Kapitel 1 5
  2. Kapitel 2 8
  3. Kapitel 3 13
  4. Kapitel 4 18
  5. Kapitel 5 22
  6. Kapitel 6 25
  7. Kapitel 7 28
  8. Kapitel 8 36
  9. Kapitel 9 42
  10. Kapitel 10 45
  11. Kapitel 11 54
  12. Kapitel 12 62
  13. Kapitel 13 68
  14. Kapitel 14 74
  15. Kapitel 15 77
  16. Kapitel 16 83
  17. Kapitel 17 88
  18. Kapitel 18 94
  19. Kapitel 19 97
  20. Kapitel 20 101
  21. Kapitel 21 104
  22. Brief des Autors an Arnold Zipper 110
Web-Books
Bibliothek
Datenschutz
Impressum
Austria-Forum
Austria-Forum
Web-Books
Zipper und sein Vater