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Kapitel
An einem Sonntagnachmittag, an dem Erna auch mich eingeladen hatte,
überredete ich Arnold, nicht im Wagen zu seiner Frau zu fahren, sondern mit
mir zu Fuß hinauszugehen.
Es war ein warmer Sonntag, nach langer Zeit ein warmer Sonntag. Das
Volk, »die gute Sache«, vor der Erna sich abschloß, wanderte in Scharen
hinaus. Es war Spätsommer, eine letzte goldene Heiterkeit lag auf den
Straßen. Die Bäume, die an den Rändern standen, ließen gelbe Blätter fallen.
»Ich bin dir dankbar«, sagte Arnold, »daß du mich bewogen hast, mit dir zu
gehen. Seit einigen Jahren bin ich nicht mehr so ruhig gewandert. Erinnerst
du dich noch an unsere Ausflüge mit meinem Vater?«
»Ja«, sagte ich, »ich erinnere mich an sie, als wären sie gestern gewesen.
Dein Vater trug einen hellgrauen, steifen Hut mit einem noch heller getönten,
gerippten, außerordentlich breiten Band. Es bedeckte fast den halben Hut.«
»Ein echter Habig!« zitierte Arnold.
»Ja, ein echter Habig. Auch einen Stock mit echtem Elfenbeingriff hatte
dein Vater. Der Griff war einige Male abgefallen, er hatte ein lockeres
Gewinde. Dein Vater legte Papier zwischen den Stock und den Griff, damit er
besser halte. Wir gingen ins Krapfenwaldl, standen vor der Sobieski-Kirche,
und dein Vater sagte: ›Dieser Sobieski wird gewaltig überschätzt. Die Wiener
wären auch so mit den Türken fertig geworden.‹ – Der König Sobieski war
ihm nicht sympathisch. Schließlich war er ein Patriot, ohne daß er es zugeben
wollte – es sei denn im Krieg.«
»Gestern habe ich einen Brief von meinem Vater bekommen«, sagte
Arnold. »Lies ihn!«
Ich las: »Mein innig geliebter Sohn« – blätterte um, und der altgewohnte
Schluß war wieder da: »Ohne besondere Wichtigkeiten Dein Dich liebender
Vater.« Der alte Zipper teilte seinem Sohn mit, daß er gesund sei und jede
Woche dreimal ins Kino gehe. Dank seinen alten Verbindungen habe er
Freikarten, die nur an Sonn- und Feiertagen nicht gültig seien. Nicht er – so
schrieb der alte Zipper –, aber eigentlich die Mutter würde sich einmal freuen,
wenn ihre berühmte Schwiegertochter einen Gruß schicken würde. »Ich
kenne ihre Handschrift noch nicht«, schrieb der alte Zipper. Aber wenn er
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Buch Zipper und sein Vater"
Zipper und sein Vater
- Titel
- Zipper und sein Vater
- Autor
- Joseph Roth
- Datum
- 1928
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 112
- Schlagwörter
- Roman, Geschichte, Österreich, Wien
- Kategorien
- Weiteres Belletristik
Inhaltsverzeichnis
- Kapitel 1 5
- Kapitel 2 8
- Kapitel 3 13
- Kapitel 4 18
- Kapitel 5 22
- Kapitel 6 25
- Kapitel 7 28
- Kapitel 8 36
- Kapitel 9 42
- Kapitel 10 45
- Kapitel 11 54
- Kapitel 12 62
- Kapitel 13 68
- Kapitel 14 74
- Kapitel 15 77
- Kapitel 16 83
- Kapitel 17 88
- Kapitel 18 94
- Kapitel 19 97
- Kapitel 20 101
- Kapitel 21 104
- Brief des Autors an Arnold Zipper 110