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18
Kapitel
Am nächsten Vormittag fand Zippers Prozeß statt. Und obwohl dieser Prozeß
nur eine unbedeutende Episode im Leben der beiden Zippers bedeutete und in
dem Bericht, den ich eben verfasse, kein wichtiges Detail werden kann, darf
ich es mir doch nicht versagen, so viel von der Gerichtsverhandlung
mitzuteilen, als ich selbst zu wissen glaube. Denn ich war nicht während der
ganzen anwesend. Auch hatte ich weder Zeit noch Lust, mich, wie die
Juristen sagen, in die Materie des Prozesses zu versenken. Ich weiß im
allgemeinen nur, daß der alte Zipper selbstverständlich im Unrecht war und
daß er es aus Leichtsinn und Freude an unangenehmen Geschäften auf den
Prozeß hatte ankommen lassen. Es handelte sich um Aufträge auf
Papierlieferungen nach Deutschland: so viel im allgemeinen. Aber der
Gegenstand der Verhandlung kümmerte mich ja weniger als seine
Hauptperson.
Ich kam in den Gerichtssaal, nachdem die Verhandlung schon zwei Stunden
gedauert hatte. Es waren nur sehr wenige Zuhörer da. Der alte Zipper
bemerkte mich sofort. Er saß neben seinem Verteidiger, und obwohl dieser die
gewohnte Robe des Gerichtsmenschen trug, erschien der alte Zipper weitaus
feierlicher und gewissermaßen juristischer. Er trug einen schwarzen Anzug,
ein Zylinder lag vor ihm auf der Bank, er blätterte in den Papieren einer
Aktentasche, trank jedesmal einen Schluck Wasser und blickte von Zeit zu
Zeit in den Zuhörerraum, obwohl so wenige Leute ihm zusahen. Er sah mich
sofort, als ich eintrat, winkte mir leutselig mit der Hand und wies mir auf der
ersten Bank einen Platz an. Er lächelte mir zu. Er spielte mit einem Bleistift,
schnitzte ihn und verursachte ein schwirrendes, regelmäßiges Geräusch, das
den Richter veranlaßte, einen Augenblick innezuhalten, obwohl er gerade
dabei war, einen sehr langen und wichtig klingenden Satz auszusprechen. Es
schien, daß niemand im Saal etwas Merkwürdiges am alten Zipper zu
bemerken hatte. Vielmehr waren alle von seiner Würde eingenommen.
Wahrscheinlich glaubten sie, die ihn nicht so gut kannten wie ich, er folge mit
geschärfter Gewissenhaftigkeit dem Gang der Handlung und er sei
seines Rechtes so gewiß, daß er nur noch mit einer großen und dem Kläger
ungünstigen Überraschung in seiner Aktentasche bis zum Schluß warten
wolle. Sooft der Anwalt Zippers etwas sagte, horchte der Alte auf, um einen
Augenblick später verneinend den Kopf zu schütteln. Ja, dieser sonderbare
Angeklagte ging so weit, daß er sich vor den Blicken seines Verteidigers mit
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Buch Zipper und sein Vater"
Zipper und sein Vater
- Titel
- Zipper und sein Vater
- Autor
- Joseph Roth
- Datum
- 1928
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 112
- Schlagwörter
- Roman, Geschichte, Österreich, Wien
- Kategorien
- Weiteres Belletristik
Inhaltsverzeichnis
- Kapitel 1 5
- Kapitel 2 8
- Kapitel 3 13
- Kapitel 4 18
- Kapitel 5 22
- Kapitel 6 25
- Kapitel 7 28
- Kapitel 8 36
- Kapitel 9 42
- Kapitel 10 45
- Kapitel 11 54
- Kapitel 12 62
- Kapitel 13 68
- Kapitel 14 74
- Kapitel 15 77
- Kapitel 16 83
- Kapitel 17 88
- Kapitel 18 94
- Kapitel 19 97
- Kapitel 20 101
- Kapitel 21 104
- Brief des Autors an Arnold Zipper 110