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6Kapitel
Der Postsekretär Wandl zog in den Salon. Man ließ alles dort stehen, wie es
gestanden war. Man öffnete, wie sonst nur vor Ostern, wenn Zippers Bruder
aus Brasilien kommen sollte, die Tür vom Flur zum Salon. Das Klavier blieb.
Wenn der Postsekretär Wandl nicht zu Hause war, durfte Arnold üben. Er war
ein gutmütiger Mann, der Sekretär Wandl. Er zahlte, ohne daß man es
gefordert hätte, einen anständigen Preis. Die Frau Zipper bezahlte das
Lexikon, Darwin, Schiller, Haeckel und den Greißler für drei Monate. Es gab
wieder Emmentaler, jeden Abend, Salami und Bier. Wie vor vielen Jahren
ging Zipper wieder am Nachmittag ins Kaffeehaus.
Es war ein lärmendes Kaffeehaus, wo die meisten Gäste Karten spielten.
Der Rauch der Zigaretten und Zigarren stand kalt über ihren Köpfen, kalt,
schwer und fest, in Knäueln, Klumpen und Blöcken. Die Männer saßen in
Hemdärmeln, die Kellner standen hinter ihnen, sahen zu, wie sie spielten.
Man mischte Karten mit zauberhafter Geschwindigkeit. Man warf sie auf die
Tische, sie klatschten auf, als wären sie ins Wasser gefallen. Die Spieler riefen
einander harte Worte zu, eine rätselhafte Art fremder Zauberflüche, es sah
aus, als stritten sie heftig, indessen sie lachten. Kreide lief kreischend über
trockene Täfelchen. Nasse Schwämmchen lagen auf Schalen,
merkwürdige Tiere. Vom anderen Ende des Saales kam ein leises Klappern
von Billardkugeln herüber.
Der Raum war halb dunkel. Es war das Dämmerlicht einer Grotte, eines
Verschwörerhauses, eines Freimaurersaals. Er erregte meine Phantasie. Trat
man aus dem Kaffeehaus in das helle Sonnenlicht, so war es, als wäre man
mitten aus einem Traum geweckt worden. Saß man drinnen, so hatte die Zeit
aufgehört. Über der Kasse hing zwar eine Uhr, sie tickte sogar, wurde jeden
Abend vom Oberkellner Franz aufgezogen, aber sie hatte keine Zeiger. Was
konnte schrecklicher sein als diese Uhr? Sie ging und ging, in ihrem
verborgenen Innern lief die Zeit ihren regelmäßigen Lauf, aber man sah es
nicht. Man wußte nur, daß Stunden schwinden, aber wie viele, das wußte man
nicht. Die Menschen, die dort saßen, sahen trotzdem jedesmal auf die Uhr, sie
bildeten sich wahrscheinlich ein, jetzt wüßten sie die Stunde. Das Ticken, das
sie hörten, beruhigte sie offenbar.
Dort saß Zipper und spielte Sechsundsechzig, jeden Nachmittag, von drei
bis sechs Uhr. Er spielte und verlor. Er verlor keine großen Summen, aber er
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Buch Zipper und sein Vater"
Zipper und sein Vater
- Titel
- Zipper und sein Vater
- Autor
- Joseph Roth
- Datum
- 1928
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 112
- Schlagwörter
- Roman, Geschichte, Österreich, Wien
- Kategorien
- Weiteres Belletristik
Inhaltsverzeichnis
- Kapitel 1 5
- Kapitel 2 8
- Kapitel 3 13
- Kapitel 4 18
- Kapitel 5 22
- Kapitel 6 25
- Kapitel 7 28
- Kapitel 8 36
- Kapitel 9 42
- Kapitel 10 45
- Kapitel 11 54
- Kapitel 12 62
- Kapitel 13 68
- Kapitel 14 74
- Kapitel 15 77
- Kapitel 16 83
- Kapitel 17 88
- Kapitel 18 94
- Kapitel 19 97
- Kapitel 20 101
- Kapitel 21 104
- Brief des Autors an Arnold Zipper 110