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Kapitel
Am selben Abend noch sah ich den Dämonischen im nächtlichen Klub. Er
erzählte, daß Erna vom Pferde gestürzt sei und sich verletzt habe. Er hätte
zurück müssen, weil sein Geld zu Ende gegangen sei, die Aufnahmen noch
immer nicht begonnen hätten, kein Mensch von der Direktion sich hätte
blicken lassen. Infolgedessen habe Erna um ihren Mann telegraphiert.
Es erwies sich, daß Erna schwer krank war. Sie wurde in ein Sanatorium
nach Berlin gebracht.
Das war Arnolds schönste Zeit. Denn er durfte bei ihr die ganze Nacht über
bleiben, er wohnte im Sanatorium.
Bei Tag empfing sie die Besuche, die einer Künstlerin gebühren, wenn sie
einen Unfall erlitten hat. Sie erhielt sämtliche Genugtuungen, die in solchen
Fällen in Betracht kommen. Sie erfuhr den ganzen Umfang der
Wertschätzung, den man ihr zollte. Nichts Angenehmeres, als eine Art von
Nachrufen zu lesen und zu wissen, daß man am Leben bleibt.
Man verschob die Aufnahmen. In manchen Berichten über Feste und Bälle
stand es, daß man sie »vermißte«. Oh, süße Einrichtung eines
blumengeschmückten Krankenlagers! Glückliche Folge eines schweren
Unfalls! Aufgesucht- und Vermißtwerden in einem!
Man mußte sie operieren. Es stellte sich heraus, daß sie eine längere Zeit
hinken würde.
Allmählich verschwand ihr Name aus den Blättern. Der Film wurde ohne
sie gedreht. Ihre Stellvertreterin hatte gute Kritiken. Die Vorschüsse schränkte
man ein. Sie verließ das Sanatorium. Arnold zog in ihre Villa.
Sie verkaufte das Automobil. Sie entließ den Gärtner. Die Freundinnen
zogen aus. Das Grammophon nur blieb im Hause. Die Besuche wurden
selten. Es schien, daß die jungen Zippers nur von Arnolds Einkünften lebten.
Sie verkauften das Haus und zogen in die Stadt und mieteten eine
Wohnung. Zuerst war es eine große Wohnung in einem Vorderhaus. Dann
erfuhr Arnold, daß eine ebenso große Wohnung, aber um die Hälfte billiger,
in einem Hinterhaus zu vermieten wäre. Und sie zogen in ein Hinterhaus.
Man passierte, ehe man zu ihnen gelangte, einen langen Flur, einen
geräumigen Hof, in dem Hühner gackerten. Der Portier hielt die Fenster
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Buch Zipper und sein Vater"
Zipper und sein Vater
- Titel
- Zipper und sein Vater
- Autor
- Joseph Roth
- Datum
- 1928
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 112
- Schlagwörter
- Roman, Geschichte, Österreich, Wien
- Kategorien
- Weiteres Belletristik
Inhaltsverzeichnis
- Kapitel 1 5
- Kapitel 2 8
- Kapitel 3 13
- Kapitel 4 18
- Kapitel 5 22
- Kapitel 6 25
- Kapitel 7 28
- Kapitel 8 36
- Kapitel 9 42
- Kapitel 10 45
- Kapitel 11 54
- Kapitel 12 62
- Kapitel 13 68
- Kapitel 14 74
- Kapitel 15 77
- Kapitel 16 83
- Kapitel 17 88
- Kapitel 18 94
- Kapitel 19 97
- Kapitel 20 101
- Kapitel 21 104
- Brief des Autors an Arnold Zipper 110