Seite - 28 - in Zipper und sein Vater
Bild der Seite - 28 -
Text der Seite - 28 -
7Kapitel
Nach dem Abitur – Zipper hatte es wegen der alphabetischen Reihenfolge erst
am letzten Tag abgelegt – hielt der alte Zipper seinem Sohn eine kleine
Privatrede:
»Ich selbst habe nie studiert, wie du weißt. Ich bin dennoch ein Mann
geworden. Ich hätte aber studiert, wenn nicht die ungünstigen Umstände mich
daran gehindert hätten. Ich kann dir nicht so viel geben, daß du wie ein
reicher junger Mann lebst. Aber zu essen wirst du haben, und studieren kannst
du, was dir gefällt. Ich rate dir, Jura zu studieren. Mach auf jeden Fall den
Doktor. Ich selbst gebe nichts auf Titel und äußere Ehren. Aber die Welt ist
noch nicht so fortgeschritten.«
Arnold Zipper wurde also Jurist. Ich studierte Philosophie. Aber wir kamen
immer noch einige Male in der Woche zusammen. Wie bisher aß ich oft bei
den Zippers. Des Alten Sympathie blieb mir gesichert. Nichts ereignete sich
im Hause Zipper, was ich nicht einen Tag später erfahren hätte.
Eines Sonntags, es war ein heißer Sommertag, wurde der Thronfolger in
Sarajevo erschossen.
Die Frau Zipper war untröstlich. Man hätte glauben können, ihr Bruder sei
erschossen worden. Herr Zipper dagegen hatte hier eine glänzende
Gelegenheit, seine rebellische Gesinnung zu beweisen. Während seine Frau,
das Taschentuch vor einem Auge, das Lorgnon vor dem andern, in der
Zeitung die Details las, sagte Zipper:
»Man soll von den Toten nur Gutes sprechen. Der Thronfolger war ein
Hund. Aber vielleicht wäre er gar nicht so böse gewesen ohne seine Frau. Vor
zwei Jahren bestellt sie bei Weinhorn einen Anzug auf Maß für ihren jüngeren
Sohn. Der Zuschneider selbst fährt hinaus, einmal, zweimal, zehnmal. Dann
ist der Anzug fertig, der Zuschneider bringt ihn persönlich, da sagt die
Sophie: ›Sie müssen ihn zurücknehmen, ich kann Ihnen nicht helfen, ich habe
ausdrücklich kurze Hosen bestellt, ich hasse die langen Hosen bei Kindern!‹
Und nichts! Nicht einen roten Kreuzer Trinkgeld! So sind diese Leute! Die
Serben müssen ersticken im eigenen Fett. Die ungarischen Magnaten haben
Angst, ihre Schweine werden billiger werden. Alles zusammen ein Gesindel!
Als ich bei den Vierundachtzigern war, kam er einmal zu den Manövern. Ein
Hund! Die Bosheit strahlte ihm aus den Augen!«
28
zurück zum
Buch Zipper und sein Vater"
Zipper und sein Vater
- Titel
- Zipper und sein Vater
- Autor
- Joseph Roth
- Datum
- 1928
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 112
- Schlagwörter
- Roman, Geschichte, Österreich, Wien
- Kategorien
- Weiteres Belletristik
Inhaltsverzeichnis
- Kapitel 1 5
- Kapitel 2 8
- Kapitel 3 13
- Kapitel 4 18
- Kapitel 5 22
- Kapitel 6 25
- Kapitel 7 28
- Kapitel 8 36
- Kapitel 9 42
- Kapitel 10 45
- Kapitel 11 54
- Kapitel 12 62
- Kapitel 13 68
- Kapitel 14 74
- Kapitel 15 77
- Kapitel 16 83
- Kapitel 17 88
- Kapitel 18 94
- Kapitel 19 97
- Kapitel 20 101
- Kapitel 21 104
- Brief des Autors an Arnold Zipper 110