Seite - 13 - in Zipper und sein Vater
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3Kapitel
Wenn ich heute an den alten Zipper zurückdenke, so wundere ich mich
darüber, daß ich damals seine große Trauer nicht bemerkt habe. Ihm selbst
kam sie nie zum Bewußtsein. Er hatte etwas von einem traurigen Clown.
Aber ich fand ihn lustig, wie Kinder einen Clown immer lustig finden. Der
alte Zipper mit seinem dünnen, hellen, teefarbenen Schifferbart, der sein
breites, rundes Gesicht einfaßte und gleichsam ein überflüssiger Luxus war,
wie ein Rahmen um ein gleichgültiges Bild, der alte Zipper mit seinen
braunen, gutmütigen, immer todernsten Augen, der alte Zipper mit seinem
ewigen runden steifen Hut, den er aufsetzte, wenn er zum offenen Fenster
ging, wenn er sich nur einen Schritt vom Haus entfernte, um eine Zeitung zu
kaufen, der alte Zipper mit seinem schwarzen Stock aus »echtem Mahagoni«,
dieser alte Zipper verbreitet heute, sooft ich ihn in meine Erinnerung
zurückrufe, eine große Schwermut. Er macht mich traurig, jetzt, in diesen
Stunden, da ich von ihm erzähle. Er hatte viel Kummer in seinem Leben und
wahrscheinlich keinen Schmerz. Aber eben deshalb ist er so traurig, traurig
wie ein aufgeräumtes Zimmer, traurig wie eine Sonnenuhr im Schatten,
traurig wie ein ausrangierter Waggon auf einem rostigen Gleis.
Es gab dennoch einen Menschen, dem er, der Sanfte, der Harmlose, großes
Leid zufügte, sicherlich ohne es zu wissen. Es gab nämlich noch Frau Zipper.
Sie paßten nicht zueinander, nein, sie paßten nicht zueinander. Aber, wie es
so ist, man dachte niemals daran, daß sie zueinander nicht paßten. Es geht uns
gewöhnlich so, wenn wir ältere Ehepaare betrachten. Sie stellen ein Fait
accompli dar, es ist nicht mehr an ihrer Gemeinsamkeit zu zweifeln. Sie
haben schon Kinder, große Kinder. Nichts mehr ist übriggeblieben von den
Widerständen, die sie in der ersten Zeit ihrer Ehe gegeneinander zu Felde
geführt haben wie Waffen. Beide haben ihre Schärfen abgewetzt, ihre
Munition verbraucht. Sie sind zwei alte Feinde, die aus Mangel an
Kampfmitteln einen Waffenstillstand schließen, der aussieht wie ein Bündnis.
Und man weiß nichts mehr von ihrer alten Feindschaft.
Aber in den Augenblicken, die wir fremde Beobachter nicht kennen,
gebrauchen sie noch gegeneinander die übriggebliebenen Reste der Waffen,
oder sie verwenden andere Geräte, Geräte des Friedens, zum häuslichen
Kampf. Sie haben noch aus der Zeit, als ihre Feindschaft jung gewesen,
verschiedene Mittel des Hasses, die sich nicht abnützen: ein Lächeln, das
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Buch Zipper und sein Vater"
Zipper und sein Vater
- Titel
- Zipper und sein Vater
- Autor
- Joseph Roth
- Datum
- 1928
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 112
- Schlagwörter
- Roman, Geschichte, Österreich, Wien
- Kategorien
- Weiteres Belletristik
Inhaltsverzeichnis
- Kapitel 1 5
- Kapitel 2 8
- Kapitel 3 13
- Kapitel 4 18
- Kapitel 5 22
- Kapitel 6 25
- Kapitel 7 28
- Kapitel 8 36
- Kapitel 9 42
- Kapitel 10 45
- Kapitel 11 54
- Kapitel 12 62
- Kapitel 13 68
- Kapitel 14 74
- Kapitel 15 77
- Kapitel 16 83
- Kapitel 17 88
- Kapitel 18 94
- Kapitel 19 97
- Kapitel 20 101
- Kapitel 21 104
- Brief des Autors an Arnold Zipper 110