Seite - 8 - in Zipper und sein Vater
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2Kapitel
Die Familie Zipper wohnte in dem Viertel der kleinen Bürger, in dem die
Wohnungen aus zu engen Zimmern bestehen, dünne Wände haben und
nutzlosen Zierat enthalten.
Es gab einen außerordentlich noblen Raum in der Wohnung Zippers. Er lag
hinter dem Schlafzimmer. Man hätte ihn auch vom Flur aus erreichen können.
Dort aber war die Tür geschlossen. Sie öffnete sich nur einmal im Jahr, zu
Ostern, wenn des alten Zippers Bruder aus Brasilien zu Besuch kam. Für uns,
den jungen Zipper und mich, war das vornehme Zimmer, das man Salon
nannte, am Sonntagnachmittag zugänglich, wenn wir versprachen, uns ruhig
zu verhalten und »nichts zu zerbrechen«. Denn viel Zerbrechliches war dort
angesammelt. Ich erinnere mich an ein gläsernes blaßblaues Tintenfaß mit
silbernem Deckel, ein kleines Streusandfäßchen von gleicher Farbe und einen
Federhalter aus blauem Glas. Es war eine Garnitur. Sie stand in der Mitte der
rubinroten schweren Trinkgläser auf der Kommode, der silbernen Becher und
der neusilbernen Obstbestecke. In den Gläsern, die immer ein wenig verstaubt
waren, lagen Perlmutterknöpfe und Kinderringe aus weichem Silber,
Krawattenhalter und hölzerne Nadeletuis, Agraffen, mit gläsernen Brillanten
besetzt, schwarzer, biegsamer und klebriger Flitter, der jedesmal von dem
schwarzen Prachtkleid der Frau Zipper abfiel und den sie sammelte, um ihn
gelegentlich wieder anzunähen.
Immer lag der Salon im Halbdunkel. Schwere, rote Vorhänge gestatteten
der Sonne nur einen spärlichen Zutritt, kaum daß es einem Strahl manchmal
gelang, sich einen schmalen Weg zu bahnen und eine dünne silberne
Staubsäule vom Fenster zum runden Tisch zu ziehen. Mottenkugeln rochen
scharf aus den ewig geschlossenen Schränken. Eine dumpfe Feuchtigkeit
gemahnte an herbstliche Felder, Allerseelen, Weihrauch in kühlen Kapellen.
An der Wand hingen Porträts von den Großeltern und Eltern der Frau Zipper.
Der alte Zipper besaß keine Bilder von seinen Ahnen. Denn er stammte aus
einer Familie, die »einfach« war und die sich nie hatte porträtieren lassen. Er
selbst aber schien der Ahnherr eines respektvollen Geschlechtes werden zu
wollen. Er ließ sich oft photographieren und alle seine Bilder vergrößern. Er
hängte sie an die Wände des Salons. Da sah man Herrn Zipper mit Hut und
Stock, auf einer Gartenbank, Jasmin im Hintergrund. Dort: am Schreibtisch,
in einem dicken Buch lesend. Rechts hing das Bild, das Herrn Zipper in der
Uniform eines Feldwebels – eines Rechnungsfeldwebels – der Infanterie
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Buch Zipper und sein Vater"
Zipper und sein Vater
- Titel
- Zipper und sein Vater
- Autor
- Joseph Roth
- Datum
- 1928
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 112
- Schlagwörter
- Roman, Geschichte, Österreich, Wien
- Kategorien
- Weiteres Belletristik
Inhaltsverzeichnis
- Kapitel 1 5
- Kapitel 2 8
- Kapitel 3 13
- Kapitel 4 18
- Kapitel 5 22
- Kapitel 6 25
- Kapitel 7 28
- Kapitel 8 36
- Kapitel 9 42
- Kapitel 10 45
- Kapitel 11 54
- Kapitel 12 62
- Kapitel 13 68
- Kapitel 14 74
- Kapitel 15 77
- Kapitel 16 83
- Kapitel 17 88
- Kapitel 18 94
- Kapitel 19 97
- Kapitel 20 101
- Kapitel 21 104
- Brief des Autors an Arnold Zipper 110