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Zipper und sein Vater
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14 Kapitel Ich fühlte niemals den Wunsch, Erna, die immer noch und gleichsam provisorisch am Theater spielte, auf der Bühne zu sehn. Ich könnte eher sagen, daß ich das Bedürfnis hatte, sie nicht in den Rollen zu beobachten, die ihr der Beruf zuteilte, sondern in den anderen, die sie sich selbst ausgesucht hatte und die sie am Tag besser spielte als die offiziellen am Abend und auf der Bühne. Zu einer natürlichen Geringschätzung des Theaters, von der ich glaube, daß sie mir angeboren ist, gesellte sich im Fall Erna die Furcht, ich könnte die Klarheit verlieren, mit der ich sie sah und durchschaute, die Furcht, daß ich, durch das Spiel der beruflichen Komödiantin verwirrt, dem der privaten verfallen müßte. Dieser Vorgang ist nicht selten. Er scheint mir, daß die Schauspieler und besonders die Schauspielerinnen sich einer moralischen Beurteilung entziehen, indem sie sich einer künstlerischen aussetzen, und daß sie, sooft ihnen jemand verfällt, in Liebe, Ergebenheit und Verehrung, sie ihre Eroberung nicht mit den ehrlichen, sozusagen primären Mitteln der Frau gemacht haben, sondern sie der Milde zu verdanken haben, mit der man zum Beispiel ihrer billigen Koketterie begegnet, in Anbetracht ihrer beruflichen Notwendigkeit, in manchen Augenblicken billig zu werden, um wirksam zu sein. Deshalb verzeihen wir eine Geschmacklosigkeit einer Frau von der Bühne eher als einer andern. Mancher Schauspielerin sehen wir, sogar wenn wir Moralisten sind, eine moralische Unzulänglichkeit nach. Und all das nicht etwa aus »Achtung vor der Kunst«, sondern aus einem unbewußten Respekt vor der Anstrengung, die es erfordern muß, sowohl der Menge zu gefallen als auch einen einzelnen nicht abzustoßen. Gegen Erna war ich voreingenommen. Aber weil ich wußte, daß jede Art von Urteilen, also auch Vorurteile mehr oder weniger gerecht sein können, und weil ich an die Gerechtigkeit meines Vorurteils glaubte, hielt ich es, trotz meiner Neugier und meiner Teilnahme an allem, was meinen Freund Arnold betraf, nicht mehr für nötig, mir über die Bühnenkünstlerin Erna ein Urteil zu bilden, das vielleicht günstiger ausgefallen wäre. Dennoch konnte ich eines Tages der Forderung Arnolds nicht widerstehen. Ich ging mit ihm ins Theater. Ich sah Erna in einer Rolle, in der sie dem Publikum gefiel. Es war ein gleichgültiges Stück, dessen Namen und Autor, ja, dessen Inhalt ich vergessen habe. Erna spielte die sogenannte unverstandene Frau eines braven philiströsen Mannes. Mich reizte schon der schamlose Vorwurf dieses Stückes. Denn abgesehen von der Billigkeit der Schablonen: unverstandene Frau und philiströser Mann, die meinen Geschmack langweilten, war mir der Eindruck, den die 74
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Zipper und sein Vater
Titel
Zipper und sein Vater
Autor
Joseph Roth
Datum
1928
Sprache
deutsch
Lizenz
PD
Abmessungen
21.0 x 29.7 cm
Seiten
112
Schlagwörter
Roman, Geschichte, Österreich, Wien
Kategorien
Weiteres Belletristik

Inhaltsverzeichnis

  1. Kapitel 1 5
  2. Kapitel 2 8
  3. Kapitel 3 13
  4. Kapitel 4 18
  5. Kapitel 5 22
  6. Kapitel 6 25
  7. Kapitel 7 28
  8. Kapitel 8 36
  9. Kapitel 9 42
  10. Kapitel 10 45
  11. Kapitel 11 54
  12. Kapitel 12 62
  13. Kapitel 13 68
  14. Kapitel 14 74
  15. Kapitel 15 77
  16. Kapitel 16 83
  17. Kapitel 17 88
  18. Kapitel 18 94
  19. Kapitel 19 97
  20. Kapitel 20 101
  21. Kapitel 21 104
  22. Brief des Autors an Arnold Zipper 110
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