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Zipper und sein Vater
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Page - 76 - in Zipper und sein Vater

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(vorausgesetzt, daß sie nur halb soviel von Frauen verstünden wie vom Theater) – erkennen, daß es einen unerklärlichen Widerspruch gab zwischen der Sprödigkeit, mit der sie jeden Augenblick zu zerbrechen drohte, und der schlangenhaften, gespannten, fast muskulösen Elastizität, mit der sie ihren Körper, ihre Arme, ihren Hals bewegte. Sie schlug die Augen im Dialog auf wie im Gebet. Aber es mußte doch schließlich auffallen, daß dieser Blick, der ewig zum Himmel gewandt war, auch wenn es im Text hieß: »Ein Glas Wasser, bitte!«, aus einer großen Gleichgültigkeit kam, aus der Seele eines Menschen, der den Himmel mit einem Gartenzaun verwechseln konnte. Man mußte doch hören, daß die Gabe, immer flehen zu können, die Fähigkeit des Betens ausschloß! Man mußte schließlich erkennen, daß diese Eleganz, die die Gattinnen der Fleischermeister betörte, aus einer Art didaktischer Überlegung kam und nicht zwecklos war wie das Spiel selbst, sondern es unterstützen und den Zuschauer belehren sollte. Arnold saß, obwohl wir nahe genug der Bühne waren, mit dem Opernglas da, es schien eine natürliche Fortsetzung seiner Augen zu sein. »Sie ist nicht zufrieden«, sagte er mir, »wenn ich sie ohne Glas betrachte. Sie sagt, mein nacktes Auge könnte ihr Unglück bringen. Ich sehe nicht durchs Opernglas, um sie besser zu beobachten, sondern um ihr nicht mein Gesicht zu zeigen.« Ich aber ahnte, ja, ich glaubte es zu wissen, daß Erna nicht das Auge fürchtete; daß es ihr daran lag, von Arnold deutlich gesehen zu werden, deutlich und unerreichbar, und seine Phantasie zu entzünden durch eine vorgetäuschte Nähe, die auf Distanz nicht zu verzichten brauchte. Auch erkannte ich wohl an Arnold, daß er litt, indem er so nahe sah, was ihm zu halten nicht möglich war. Warum aber plagte sie ihn? Ich fand keine Antwort, ich finde sie auch heute nicht. Ich glaube, daß Erna von der Qual Arnolds lebte, daß sie den Schmerz des Liebenden brauchte wie andere Frauen den Liebenden allein. Es ist nicht wahr, daß es Frauen gibt, die zwecklos quälen. Sie brauchen die Qual des andern wie ein Heil- oder wie ein Schönheitsmittel. Auch glaube ich, daß die abergläubischen Methoden, deren sich Schauspielerinnen so gerne bedienen, nicht aus einer reinen Furcht kommen, sondern einen vernünftigen Grund haben und einen überlegten Zweck verhüllen, wie es der Aberglaube Ernas tat. 76
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Zipper und sein Vater
Title
Zipper und sein Vater
Author
Joseph Roth
Date
1928
Language
German
License
PD
Size
21.0 x 29.7 cm
Pages
112
Keywords
Roman, Geschichte, Österreich, Wien
Categories
Weiteres Belletristik

Table of contents

  1. Kapitel 1 5
  2. Kapitel 2 8
  3. Kapitel 3 13
  4. Kapitel 4 18
  5. Kapitel 5 22
  6. Kapitel 6 25
  7. Kapitel 7 28
  8. Kapitel 8 36
  9. Kapitel 9 42
  10. Kapitel 10 45
  11. Kapitel 11 54
  12. Kapitel 12 62
  13. Kapitel 13 68
  14. Kapitel 14 74
  15. Kapitel 15 77
  16. Kapitel 16 83
  17. Kapitel 17 88
  18. Kapitel 18 94
  19. Kapitel 19 97
  20. Kapitel 20 101
  21. Kapitel 21 104
  22. Brief des Autors an Arnold Zipper 110
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