Page - 90 - in Zipper und sein Vater
Image of the Page - 90 -
Text of the Page - 90 -
Wir kamen an, Arnold hatte gerade gegessen. Er packte. Seine Koffer
standen auf Stühlen, seine bunten Krawatten hingen über den Lehnen, eine
Art mondäner Leichen. Es war fast kein Platz zum Sitzen.
Arnold war keineswegs so überrascht, wie der Alte erwartet haben mochte.
Er trug und wälzte ganz andere Gedanken im Kopf. Er dachte an seine Frau.
»Setz dich!« sagte er nach einer flüchtigen Umarmung zu seinem Vater, ohne
zu merken, daß man sich nirgends setzen konnte. »Was willst du essen?«
fragte er beinahe grob. »Zwei Eier im Glas, halbweich, mit Stundenglas
gekocht, nicht, wie deine Mutter es macht!« erwiderte der alte Zipper, immer
noch aufgeräumt und ohne zu merken, daß er zu ungelegener Zeit gekommen
war.
Erst als der Kaffee kam, hatte Arnold seine Koffer gepackt. Er war ruhiger
geworden, offenbar weil er, wie so manche, dem heilvollen Irrtum erlag, daß
gepackte Koffer schon eine zurückgelegte Reise garantieren.
Sie saßen einander gegenüber, der Alte und der Junge. Zum erstenmal
saßen sie so einander gegenüber, nicht in ihrem Hause, nicht unter den
gewohnten Möbeln, nicht in der Nähe der Mutter. Nichts mehr als Vater und
Sohn. Wie ein Exempel der Geschichte, dachte ich. Vertreter zweier
Generationen einer und derselben Rasse. Jeder hat die Aufgabe, seine Zeit zu
repräsentieren.
»Deine Frau ist natürlich weggefahren!« begann der Alte in dem Ton, in
dem er zu Hause immer gesagt hatte: »Der Tee ist natürlich lauwarm!«
»Sie hat leider einen Unfall erlitten, und ich bin auf dem Sprung, zu ihr zu
fahren«, erwiderte Arnold. »Ich mag nicht, daß du in diesem Ton von ihr
sprichst.«
»Ich habe es nicht bös gemeint. Was für ein Unfall übrigens?«
»Ich weiß es noch nicht, ich fahre ja erst hin.«
»Nun«, begann der Alte, »ein Unfall ist für eine Künstlerin nur eine
Reklame. Man sagt, daß Sarah Bernhardt, seitdem man ihr ein Bein amputiert
hat, das Doppelte verdient.«
»Um Gottes willen!« schrie Arnold.
»Ich sag ja nicht, daß man deiner Frau ein Bein amputieren wird. Sie wird
auch nicht ein Drittel von dem verdienen, was die Sarah Bernhardt verdient.«
»Wer spricht denn unter solchen Umständen vom Geld?«
»Ich habe dir oft aushelfen müssen, mein Sohn, seitdem du mit ihr
verheiratet bist. Und du weißt, daß meine Geschäfte nicht die besten sind.
Mein Prozeß kostet mir schon ein schönes Geld. Jetzt habe ich noch diese
90
back to the
book Zipper und sein Vater"
Zipper und sein Vater
- Title
- Zipper und sein Vater
- Author
- Joseph Roth
- Date
- 1928
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 112
- Keywords
- Roman, Geschichte, Österreich, Wien
- Categories
- Weiteres Belletristik
Table of contents
- Kapitel 1 5
- Kapitel 2 8
- Kapitel 3 13
- Kapitel 4 18
- Kapitel 5 22
- Kapitel 6 25
- Kapitel 7 28
- Kapitel 8 36
- Kapitel 9 42
- Kapitel 10 45
- Kapitel 11 54
- Kapitel 12 62
- Kapitel 13 68
- Kapitel 14 74
- Kapitel 15 77
- Kapitel 16 83
- Kapitel 17 88
- Kapitel 18 94
- Kapitel 19 97
- Kapitel 20 101
- Kapitel 21 104
- Brief des Autors an Arnold Zipper 110