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Zipper und sein Vater
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»Oh, sehen Sie!« sprach P. weiter. »Sehen Sie dieses Gesicht! Dieses Gesicht hat zwanzigtausend Ohrfeigen bekommen. Es hat eine hündische Trauer. Es ist so traurig, weil es nicht erzählen kann, wie traurig es ist. Denken Sie an seinen Auftritt. Er kommt auf die Bühne, ahnungslos, er weiß nicht, daß im Parkett das Publikum sitzt. Er ist ein Trottel, er sieht aus wie einer, der nur Essen und Trinken nötig hat, um frohgelaunt zu sein. Er will ein Stück auf der Geige spielen. Aber sobald er spielen will, kommt ein anderer Clown, ein selbstbewußter, auch ein Narr, aber ein Narr mit Ambitionen, ein Narr, der bereits weiß, daß es ein Publikum gibt, einen Direktor, eine Gage. Dieser kluge Narr gibt unserm Arnold eine Ohrfeige. Arnold hatte gerade zwei Bogenstriche gemacht. Aber diese zwei Töne, die er noch hervorbringt, bevor es der andere merkt, sind so klar, so himmlisch, daß es jedem Zuhörer leid tut, daß Arnold nicht weiterspielt. Kennen Sie das? Natürlich. Sie haben es schon gesehen, und nun wissen Sie, daß Arnolds musikalisches Talent gerade noch dazu reicht, diese zwei Töne himmlisch zu spielen. Das ist der Roman!« »Ich sehe«, sagte ich, »nichts Romanhaftes darin. – Selbst wenn ich das Leben Arnolds schreiben würde, wäre es kein Roman in diesem Sinn. Ich muß Ihnen übrigens den Vorwurf machen, daß mir dieser Schluß ein bißchen gewollt vorkommt. Ich würde Arnold im Kaffeehaus Sologeiger bleiben lassen. Ich würde ihn auch nicht gesondert von seinem Vater behandeln können.« »Da haben Sie recht!« rief P. »Die Zippers gehören zusammen. Betrachten Sie diesen Vater. Er ist an Arnolds Unglück schuld, für den Fall, daß Arnold immer noch unglücklich ist. (Aber das wäre Nebensache.) Alle unsere Väter sind an unserem Unglück schuld. Das sind die Väter der Generation, die den Krieg gemacht hat. Sie haben ihre Uhrketten, ihre Eheringe für Eisen gegeben. Ach, was waren sie für Patrioten! Meinem Vater hat nichts so leid getan wie meine Krankheit, die mich gehindert hat, in den Krieg zu gehen. Erinnern Sie sich nur: wer hat im Sommer 1914 vor der serbischen Gesandtschaft protestiert: wir oder unsere Väter? Wer hat die Feinde – allerdings im Kasino – ›umzingelt‹? Am Nachmittag, beim Sechsundsechzig? Sie sind wie ein Ochs verladen worden, und Ihr Vater hat der Mutter gesagt: ›Eine jede Kugel trifft ja nicht.‹ Wenn Ihr Vater auch eingerückt ist, hat er höchstens eine Brücke bei Floridsdorf bewacht. Erinnern Sie sich nur: Sie kamen zurück, die unseligste aller Generationen der Neuzeit. Was war geschehen? Ihr Vater hat Zeit gehabt, neue Kinder zu zeugen, mit den Mädchen, die eigentlich für Sie bestimmt waren. Kaum waren Sie zu Hause, da saßen die Väter schon wieder dort, wo sie den Krieg angefangen hatten. Sie machten die Zeitungen, die öffentliche Meinung, die 107
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Zipper und sein Vater
Title
Zipper und sein Vater
Author
Joseph Roth
Date
1928
Language
German
License
PD
Size
21.0 x 29.7 cm
Pages
112
Keywords
Roman, Geschichte, Österreich, Wien
Categories
Weiteres Belletristik

Table of contents

  1. Kapitel 1 5
  2. Kapitel 2 8
  3. Kapitel 3 13
  4. Kapitel 4 18
  5. Kapitel 5 22
  6. Kapitel 6 25
  7. Kapitel 7 28
  8. Kapitel 8 36
  9. Kapitel 9 42
  10. Kapitel 10 45
  11. Kapitel 11 54
  12. Kapitel 12 62
  13. Kapitel 13 68
  14. Kapitel 14 74
  15. Kapitel 15 77
  16. Kapitel 16 83
  17. Kapitel 17 88
  18. Kapitel 18 94
  19. Kapitel 19 97
  20. Kapitel 20 101
  21. Kapitel 21 104
  22. Brief des Autors an Arnold Zipper 110
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