Thema Autismus#
(Eine Informationsfibel von Daniela Janisch)#
von Martin KruscheIn welcher Zeit, welcher Ära sind wir angelangt? Welche Stimmungen hüllen uns ein? Was herrscht in der Gesellschaft vor und woran wäre zu arbeiten? Das sind Überlegungen, die mich auf verschiedene Themen bringen. So auch auf dieses, das mit einem sehr populären Begriff überschrieben ist, worauf uns freilich allerhand Klischees den Blick verstellen: Autismus.
„Ich habe das Glück, sprechen zu können. Das ist aber nicht immer so.“ Dieser Satz hätte von mir kommen können, hat aber eine ganz andere Quelle. Wenn ich viel unter Menschen bin, manchmal einfach zu viel, kann dieser Punkt kommen, da habe ich keine Worte mehr in mir, die sich aussprechen ließen. Dann will ich in die Stille, denn mir ist nach Schweigen.
Ich hatte mich jüngst im Verlagshaus der Edition Keiper kurz mit Daniela Janisch unterhalten. Sie hat über ein Pflegekind Erfahrung im Zusammensein mit autistischen Menschen. Nein, das ist keine „Rain Man-Sache“ a la Dustin Hofmann, sondern weit komplexer.
So ein Thema beschäftigt mich, weil vieles, was in unserer Gesellschaft als abweichendes Verhalten oder gar Krankheit bezeichnet wird, vor allem eine Problemlösungsstrategie ist, damit ein Mensch mit seinem Leben zurechtkommt. Genau das verbindet uns ja. Ich begegne manchmal Menschen, die ihren Alltag nicht den Konventionen gemäß leben können. Deshalb käme ich aber nicht auf die Idee, sie nach einer Krankheit zu befragen oder sie als Kranke zu markieren.
Außerdem erkenne ich allerhand Parallelen zwischen mir und Menschen, die um Halt ringen. Dabei kann ich auf der sicheren Seite stehen, weil ich steigenden Belastungen weit länger standzuhalten vermag als empfindlichere Menschen. Meine Mutmaßung besagt dies. Als ich im Werden gewesen bin, sagte die Evolution grinsend zur Natur: „Machen wir den Kerl sehr belastbar. Das wird lustig.“
Ein Janisch-Zitat als Beispiel: „Small Talk fällt mir schwer. Ich verstehe nicht, was es bringen soll, sich über belanglose Dinge zu unterhalten, die weder dich noch mich wirklich interessieren.“ So hat sie es in ihrer Fibel „Ich bin Autsist:in“ notiert.
Glauben Sie mir, wenn man mich mit Small Talk in eine Ecke treibt, bekomme ich sehr unzivilisierte Gedanken, die ich allerdings ganz gut kontrollieren kann. Wer freilich von einer Autismus-Spektrum-Störung betroffen ist, hat noch ganz andere Schmerzzonen, in denen ich mich nicht bewähren muß.
Aber wir leben in einer Zeit, da staune ich nur so, wie schnell und schlampig in meiner Umgebung menschliches Verhalten manchmal als deviant oder sogar „krank“ bezeichnet wird. Unter meinen Leuten scheuen sich auch viele nicht, Fernbefunde abzugeben. Und das mit Kompetenzen, die vermutlich per Vorabend-TV und Soap Operas erworben wurden.
Die Lektüre der Autismus-Fibel von Janisch läßt allerdings staunen, mit welchen Beeinträchtigungen ein Mensch geschlagen sein kann. Manches davon, und da finden sich ja allerhand Besonderheiten, ließe sich in einer Gemeinschaft völlig problemlos unterbringen, wenn man es nicht als Devianz hervorheben möchte, sondern einfach als eine individuelle Ausdrucksform versteht, auf die man eingehen kann.
Da ist für mich Autismus nun ein möglicher Anlaß für diese simple Überlegung: „Was uns trennt, wissen wir schnell. Aber was teilen wir?“ Sie können diese Überlegung in viele Lebensbereiche mitnehmen. (Ich hab sie während der letzten Jahre auf allerhand wütende, sogar radikale Leute angewandt.)
Klar, daß Menschen mit Handicaps dort Entgegenkommen und Unterstützung brauchen, wo sie an ihre Grenzen gelangen. Aber das gilt eigentlich für uns alle und für manche unter uns eben öfter als für andere. (Weshalb sollte das ein Problem sein?)
Dabei gibt es, wie auch diese Fibel verdeutlicht, Poblemlagen, die ich in ihrer Tiefe nicht unbedingt erkennen kann. Was ich dann allenfalls verhaltensoriginell finde oder sogar brüskierend, ärgerlich, mag Ursachen haben, über die ein Mensch eventuell nicht bestimmen kann, die sich auch nicht loswerden lassen. Ich nehme an, vieles davon kann in einem achtsamen Umgang miteinander ohne weiteres Platz finden.
Das gelingt besser, wenn ich weiß, womit ich es zu tun habe. Diese kleine Publikation ist auf jeden Fall anregend, auch wenn man mit dem Thema im Alltag überhaupt nichts zu tun hat. Eine feine Notiz zum Thema Conditio humana.
- Daniela Janisch: „Ich bin Autist:in”
(Informationsfibel für Betroffene und Nicht-Betroffene)
Edition Keiper, Graz
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