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Karl Haar mit seinem Panhard & Levassor X47
Karl Haar mit seinem Panhard & Levassor X47

Markierungen#

(Ein Jahrhundert durchmessen)#

von Martin Krusche#

Karl Haar hat eine Leidenschaft für Automobile aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, nein, ich sollte präzisieren: aus dem ersten Viertel. Er ist diesen Fahrzeugen auch handwerklich gewachsen. In einem umfassenden Sinn. Nun bekam ich Post von ihm: „Habe mir zum 60. Geburtstag selbst ein Packerl geschenkt.“ In diesem Packerl ein Panhard & Levassor X47, Baujahr 1926, angetrieben von einer Technologie, die längst Geschichte ist. Ein Knight Schiebermotor.

Was bedeutet das? Haar: „Die Schieber sind jeweils zwei Rohre, die sich im Zylinder auf und abwärts bewegen und Einlass und Auslass über Schlitze steuern. Eine Kurbelwelle bewegt die Pleuel mit Kolben wie bei einem ventilgesteuerten Motor. Die Nebenwelle (wie Nockenwelle) bewegt die Schieberhülsen (zwei Rohre), die auch kleine Pleuel haben, auf und ab.“

An diesem Automobil sind also die hundert Jahre demnächst rund. Haar: „Die Karosserie ist innen im Originalzustand. Tapezierung und Holzverkleidungen sind original. Außen zum Großteil noch original. Chassis und Motor sind überarbeitet.“ Ohne Frage rollendes Kulturgut.

Das ist ein Kontext, den ich meist erläutern muß, weil Technologiegeschichte als Teil unserer Kulturgeschichte nur geringe Popularität hat, während Polemik allemal regiert, wenn Technologiesprünge spürbar werden; wie aktuelle beim Thema Verbrenner versus Elektriker. Aber ich greife vor.

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Dieses erste 2023er Quartal hat also seine speziellen Momente. Einer davon war das Wiedersehen mit Heinz und Lisl-Mesicek anläßlich einer Sonderschau zur Historie des 911er Porsche. Das ergab die Gelegenheit für spannende Gespräche. Andrerseits eben diese Arbeit von Karl Haar, der mit den Mesiceks gemeinsam hat, daß er an Klassikern selbst schraubt, wo andere schrauben lassen.

Originale#

Ich gehe mit ähnlichen Emotionen hier in eine Ausstellung von Kunstwerken, da in eine Ausstellung von bemerkenswerten Automobilen. Sammlungen machen für mich nachvollziehbar, wie wir gelernt haben die Welt zu sehen und welche Prozesse uns auf die Höhe der Zeit getragen haben. Wer meine Neigung teilt, kennt außerdem den Reiz alter Artefakte, wenn man also nicht bloß Illustrationen zu sehen bekommt, sondern die Originale aus der Zeit.

Das hängt freilich mit einer bestimmten Wißbegier zusammen, die einen bewegt, größere Zeitfenster zu erkunden. Ich werde dabei immer wieder von ganz verschiedenen Genres stark angezogen und gehe dann temporär tiefer hinein. Momentan bin ich vom Fokus Mobilitätsgeschichte stark in die Nische Quantenphysik hinübergerutscht.

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Der Zusammenhang? Was höre ich alles an Gezeter über allgemeine Technologiefragen im Zusammenhang „Verbrenner versus Elektriker“? Freilich traue ich dem marktschreierischen PR-Sprech unterschiedlicher Interessensgruppen keine fünf Meter weit. Ich muß selber schlauer werden. Auch im Grundsätzlichen. Woher kommt denn der elektrische Strom? Was ist elektrischer Strom überhaupt? Elementarteilchen. Felder. Quantenmechanik. Ich wußte bisher viel zu wenig darüber.

Und die Automobile? Ich denke vor allem an markante Punkte der letzten rund 150 Jahre. Da hat sich seit dem Durchsetzen des Niederrades („Safety“) die Technologie- und Mobilitätsgeschichte in Sprüngen vollzogen. Rund um 1900 zeichnete sich ab, daß wohlhabende Leute nicht mehr ausschließlich von Fachkräften chauffiert würden, also einen Fahrer angestellt hatten, sondern zur „Selbstfahrerei“ tendierten. Das führte zum Begriff „Herrenfahrer“, während selbstfahrende Frauen zwar schon unterwegs, aber begrifflich nicht erfaßt waren.

Veränderungen#

Ein plausibles Bonmot besagt: „Das einzige, was sich nie ändert: immer ändert sich alles.“ In den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts mußte man als Fahrer noch allerhand technisches Know how mitbringen, um unterwegs diversen Pannen gewachsen zu sein. Entsprechend gab es Handbücher für die Selbstfahrer. Wenn man die durchsieht, mag einem auffallen: der Benzinmotor hatte sich bald allgemein durchgesetzt, aber abschließend gab es in den Büchern noch einige Kapitel zu Elektrofahrzeugen und zu „Steamers“ = dampfgetriebene Vehikel.

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Citroen DS 19

Seit es pferdelose Wagen gibt, befassen sich Menschen mit der Optimierung von Motoren aller Art. Weshalb sollte das heute anders sein? Natürlich wird sich auch weiterhin vieles ändern. Aber ich schweife ab, wollte eigentlich etwas ganz anderes erzählen.

Ich hatte nämlich eine Weile überlegt, was denn wohl das markanteste Automobil des 20. Jahrhunderts sei, welches in sich technische und gestalterische Qualitäten vereinen würde, zugleich dafür stünde, seiner Zeit voraus zu sein; sozusagen eine Jahrhundert-Markierung.

Kann es bei der Vielfalt an Funktionen von Vehikeln überhaupt so eine Art des mehrere Genres übergreifenden Glanzpunktes geben? Mein Fazit war: Ja! Und die Antwort lautet: Citroen DS, genannt „Deesse“, die Göttin. Sehr wesentlich die Leistung von Konstrukteur André Lefèbvre und Designer Flaminio Bertoni. Im Jahr 1955 auf den Markt gebracht, rund 20 Jahre in Produktion.

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NSU Ro 80

Nun war ich neugierig, diese Frage mit Heinz und Lisl Mesicek zu erörtern, denn sie verfügen beide über profunde Kennerschaft bezüglich der gesamten Automobilgeschichte. Sie stimmten mir grundsätzlich zu, erweiterten das Bild aber um den NSU Ro 80.

Allerdings! Den hatte ich einfach übersehen. Für dessen technische Entwicklung war in leitender Position Ewald Praxl zuständig, das Design kam von Claus Luthe. Der NSU mit dem Wankelmotor kam 1967 auf den Markt und wurde ein Jahrzehnt lang produziert.

Beide, die Deesse und der Ro 80, trugen technische Innovationen und waren im Design wegweisend, standen formal in einem deutlichen Kontrast zu Flottenfahrzeugen ihrer Zeit. Dazu kam, daß ich mich mit den Mesiceks in „Familie Fehrs Oldtimer Museum“ in Wiener Neustadt getroffen hatte. Dort fand ich – wie bestellt - beide Fahrzeuge, passend zu unserem Gespräch, präsentiert.

Zugegeben, man muß all das nicht unbedingt wissen. Man muß auch nicht unbedingt wissen, wer Leonardo war. Oder Marie Curie. Oder Pablo Neruda. Es gibt ein Leben ohne Kenntnis unserer Kulturgeschichte. Das ist dann eben ein anderes Leben als unseres.


  • Die P&L-Fotos stammen von Karl Haar, die anderen von Martin Krusche
  • Funkenflug (Eine Erkundung) | Das Register