Martin, hl.#
Martinus (316/317 - 397) wurde als Sohn eines römischen Tribunen in Sabaria (Szombathely / Steinamanger, Ungarn) geboren. Schon als Fünfzehnjähriger Soldat in der kaiserlichen Armee, ließ er sich sich mit 18 Jahren taufen. Zeitweise zog sich Martinus als Einsiedler zurück. 371 rief ihn das Volk zum Bischof von Tours (Frankreich) aus. Um 375 gründete er in der Nähe das Kloster Marmoutier als kulturelles Zentrum und zur Ausbildung von Missionaren. Selbst reiste er predigend durch Frankreich und Deutschland. Am 8. November 397 starb Martinus auf einer Pastoralreise in der Nähe von Tours.
Bekannt ist die Legende, dass er das Bischofsamt nicht annehmen wollte und schnatternde Gänse sein Versteck verrieten. Ein beliebtes Motiv der abendländischen Kunst ist die Szene der Mantelteilung: Als Soldat teilt Martin seinen Mantel (Cappa) mit einem Bettler, der sich in einer Vision als Jesus zu erkennen gibt. Von der Cappa, die als Reliquie am Hof der fränkischen Könige in einem eigenen Raum aufbewahrt wurde, leiten sich die Bezeichnungen Kapelle und Kaplan ab.
Martinus wurde als erster Nicht-Märtyrer (Confessor) in die römische Liturgie aufgenommen. Das Heiligengedächtnis wird seit dem 5. Jahrhundert am 11. November (Depositio) begangen. „Martin, Bischof von Tours“ steht als gebotener Gedenktag im Generalkalender.
Darstellungen zeigen ihn als römischen Soldaten zu Pferd, der seinen Mantel mit einem Bettler teilt, als Bischof mit Schwert und Gans.
Martinus ist der Patron verschiedener Diözesen, u.a. Eisenstadt und Landespatron des Burgenlandes, Patron Frankreichs; der Bettler, Bürstenbinder, Gänse, Gärtner, Gefangenen, Gerber, Gürtler, Handschuhmacher, Haustiere, Hirten, Hoteliers, Hufschmiede, Hutmacher, Lederhändler, Müller, Pferde, Reisenden, Schneider, Soldaten, Tuchhändler, Weber; für die Fruchtbarkeit der Felder; gegen Hautkrankheiten.
Einst wurde Martini als Gegenstück zum Faschingdienstag bzw. Aschermittwoch mit zahlreichen Bräuchen, wie Festessen (Heringsschmaus - Martinigans) und Alkoholgenuss (Fastentrunk - Weintaufe). Diese Tage bildeten die Schwelle zu einer Bußzeit (Fastenzeit - Advent). Der 11.11. bot vor der "geschlossenen Zeit" die letzte Chance, den Herbstfasching auszukosten, die Martinigans war der letzte Festbraten vor Weihnachten. Es trifft sich gut, dass um diese Zeit der Sturm zum Wein und der Heurige zum Alten wird. So können die Restaurants zur "Weintaufe" mit prominenten Paten einladen. Martiniwein ließ die Stadt Wien um 1770 den Handwerkern, die in ihrem Dienst standen, zukommen. Geistliche segneten die Martinsminne.
Zu den Kinderbräuchen zählen der Martiniumzug mit Laternen und Martinikipferl. Heischegänge der Jugendlichen, die bis ins 16. Jahrhundert zurückgehen, wurden mit Martin Luther in Zusammenhang gebracht. Kinder und Jugendliche hatten Sprüche und Lieder dargeboten, den Spendern gedankt, Geizige aber verspottetet. Papier- und Kürbis (!)- laternen und Fackeln wurden mitgetragen. Den Lichtbrauch erklären neuere Forschungen (Dietz Rüdiger Moser, 1983) mit dem Zusammenhang des Brauches und der Perikopenlesung. Am Tag des hl. Martin war demnach die Schriftlesung Lk 11, 33-36 "Vom Licht und vom Auge" vorgeschrieben - die sprichwörtliche Mahnung, dass man sein Licht nicht unter den Scheffel stellen soll. In Predigtsammlungen finden sich keine Belege für einen Laternenumzug. Hinweise auf solche Kinderfeste gibt es erst in Predigten nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil. Um 1900 war Martini in den Städten Deutschlands eine wilde Nacht, daher bemühten sich die Bürger um Pädagogisierung. Sie organisierten wohl geordnete Laternen-Umzüge mit dem Reiter St. Martin an der Spitze, dem Martinslied und einem Brauchgebäck (doppelte Kipferl, auch im Burgenland), das nach dem Vorbild des Heiligen zum Teilen einlädt.
Bei den Erwachsenen erfreuen sich Feste wie Martinigansl-Essen und Weintaufe in jüngster Zeit zunehmender Beliebtheit. 2023 haben laut einer Umfrage der Wirtschaftskammer Wien vier von fünf WienerInnen ein Martinigansl gegessen. Für jeden dritten Gastronomen ist die Ganslzeit die wichtigste Zeit im Jahr. Mehr als die Hälfte der Gäste findet einen Preis von 30 bis 35 Euro für ein klassisches Martinigansl angebracht. Die Biovariante zwischen 45 und 50 Euro ist für knapp ein Drittel akzeptabel. Die Revitalisierung des Martinilobens erfolgte nach dem Weinskandal von 1985. Damals starteten die Winzer rund um den Neusiedlersee die Initiative „Genuss und Kulinarik“. In 35 Jahren hat sich der Brauch der Kellerbesuche mit Weinverkostung im ganzen Bundesland zur Touristenattraktion entwickelt.
Quellen:
Alle heiligen Zeiten. Lieder und Texte im Jahreskreis. Atzenbrugg 2010. S. 218f.
Bautz: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon Herzberg 1993. Bd. V/Sp. 949-955 (ISBN 3-88309-043-3)
Alois Döring: Rheinische Feste durch das Jahr. Köln 2006
Norbert Frank, Karl Kaus, Martin Krenn, Helga Maria Wolf, Hans Peter Zelfel: Heiliger Martin. Geschichte, Kult, Patronanz. Eisenstadt 2014
Hiltgart L. Keller: Reclams Lexikon der Heiligen und der biblischen Gestalten. Stuttgart 1970. S. 368
Michael Prosser-Schell (Hg.): Szenische Gestaltungen christlicher Feste. Beiträge aus dem Karpatenbecken und aus Deutschland. Münster - New York - München - Berlin 2011
Otto Wimmer, Hartmann Melzer: Lexikon der Namen und Heiligen (Bearb. Josef Gelmi). Innsbruck 1988. S. 566f.
Helga Maria Wolf: Österreichische Feste & Bräuche im Jahreskreis. St. Pölten 2003. S.170
Ganslsaison als Umsatzbringer - wien.ORF.at, publiziert 27.11.2024
Bilder:
Martinikipferl, Eisenstadt (Burgenland). Foto: Helga Maria Wolf, 2000
Buffet zu Martini, bei Ikebana International Vienna, Foto: Doris Wolf, 2010
Siehe auch:
Essay Der Asket als Weinpatron
Martinitag in: Verschwundene BräucheDas Buch der untergegangenen RitualeHelga Maria WolfBrandstätter VerlagWien2015