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Dachausbauten gefährden die Substanz (Essay)#

Text und Bilder von

Hasso Hohmann

Freundlicherweise zur Verfügung gestellt von

ISG Magazin Heft 1 / 1995 (Internationales Städteforum Graz)


Abb. 1 - Kaltdach eines Gebäudes älterer Prägung - hier liegt die Isolierung gegen Regenwasser in den Dachschrägen, gegen Wärmeverlust über der Decke zum Geschoß unterhalb
Abb. 1 - Kaltdach eines Gebäudes älterer Prägung - hier liegt die Isolierung gegen Regenwasser in den Dachschrägen, gegen Wärmeverlust über der Decke zum Geschoß unterhalb

Dachausbauten sind häufig programmierte Zerstörungen der betroffenen Dachkonstruktionen.

Dies ist eine Tatsache, die sich nahezu überall beweist, wo nach 40 oder 50 Jahren ein älterer Dachausbau erneuert wird. Letztes prominentes Beispiel für dieses Phänomen ist die Erneuerung des Dachausbaues in einem Teil des Grazer Priesterseminars. Genau bei dem Teil des in der Renaissance errichteten Gebäudekomplexes, der ausgebaut war, mußte der Dachstuhl erneuert werden, weil die Einbauten aus den 50er Jahren die Holzkonstruktionen durch Fäulnis und Abstickung in den Anschlußbereichen bereits unbrauchbar gemacht hatten und die statische Tragfähigkeit teilweise bereits bedrohlich herabgesetzt war.

In vielen Dörfern und Städten ist der Blick auf die „5. Fassade des Hauses", auf das Dach, von großem Reiz. In Graz beispielsweise gehört der Blick vom Schloßberg auf die Dachlandschaft des historischen Zentrums zu den besonderen touristischen Attraktionen.

Abb. 2 - Ausgebautes Dach mit hinterlüfteter Isolierung gegen Regen und Wärmedämmung parallel zueinander in den Dachschrägen.
Abb. 2 - Ausgebautes Dach mit hinterlüfteter Isolierung gegen Regen und Wärmedämmung parallel zueinander in den Dachschrägen.

Derartige Dachlandschaften werden durch Dachausbauten grundlegend verändert - auch dann, wenn es nur einfache Lösungen mit konventionellen Gaupen sind. Die meisten älteren Dächer sind als Kaltdächer konzipiert, bei denen der gesamte Dachraum frei und unverbaut blieb (Abb. 1). Hierbei gibt es eine klare Trennung zwischen Feuchtigkeitsisolierung und Wärme-Isolierung. Die Feuchtigkeitsisolierung liegt in den Dachschrägen und besteht aus der Dachhaut - bei älteren Bauten meist aus einer Ziegeldeckung. Die Wärme-Isolierung liegt im Boden des Dachraumes und besteht in der Regel aus Schutt oder Schlacke, also einem relativ porösen, leichten Material, das sich unter einer Sauberkeitsschicht befindet, meist einer Lage relativ dünner Ziegel, die zusammen mit der Dämmschicht auch einen guten Brandschutz ergibt.

Solange die hölzerne Dachkonstruktion eine dichte Dachhaut trägt, kein Wurmbefall auftritt und kein Feuer die Konstruktion erreicht, ist sie nahezu unbegrenzt haltbar. Sobald allerdings ein Dachboden ausgebaut wird, reduziert sich die Lebenserwartung des Dachstuhles drastisch, was sich nahezu bei allen Zweitausbauten bestätigt.

Abb. 3 - Glas-Giebelgaupe.
Abb. 3 - Glas-Giebelgaupe.

Dieses Phänomen hat oft sogar mehrere Ursachen:

• So sind es vor allem die Anschlußprobleme der in die Dachschräge verlegten Wärme-Isolierung an die Holzkonstruktion, wo es zu Verschiebungen der Kondensationszone kommt (Abb. 2). Hierdurch ergeben sich häufig Fäulnis und Abstickung beim Holz.

• Bei Sanitärräumen im Dachgeschoßverursachen schon geringfügige Undichtheiten bei Zu- und Ableitungsrohren durch unkontrollierte, langandauernde Durchfeuchtung ebenfalls Fäulnis an den Holzteilen.

• Schäden an der Dachdeckung, durch die beim offenen Kaltdach Wasser in den Dachraum gelangt, führen primär zu einer Durchfeuchtung des Bodenaufbaues, von wo das eingedrungene Wasser bei geringen Mengen wieder verdunstet, ohne Schäden an der Holzkonstruktion zu hinterlassen.

Auch beim hölzernen Dachstuhl kommt es bei solchen kleineren Undichtheiten der Dachhaut zu Durchfeuchtungen, die allerdings relativ schnell abtrocknen.

Abb. 4 - Öffnungswinkel zur Lichtquelle bei be¬decktem Wetter vom Fenster im Erdgeschoß hzir. vom Dachgeschoß aus gesehen.
Abb. 4 - Öffnungswinkel zur Lichtquelle bei be¬decktem Wetter vom Fenster im Erdgeschoß hzir. vom Dachgeschoß aus gesehen.

Bei Dachausbauten - auch bei solchen mit einer „Hinterlüftung" - funktioniert dieses Abtrocknen in der Regel zu langsam, da Wespennester, aber auch die Winternester von Mäusen, Eichhörnchen und Mardern sowie Spinnweben starke Lüftungsbremsen darstellen. Hinzu kommen die vielen „Auswechselungen" bei Sparren, die fast immer unsachgemäß oder gar nicht an das Hinterlüftungssystem angeschlossen sind. Ungenauigkeiten bei der Abdeckung der Wärmedämmung mit dünner Bitumenpappe führen überdies leicht zum Eindringen von Wasser aus undichten Stellen der Dachhaut oder durch Treibschnee im Winter.

• Eine weitere Gefahr für die Dachstühle stellen die Elektroinstallationen für den Dachausbau dar. Die Leitungen werden gewöhnlich innerhalb der Wärmeisolierung oder überhaupt gleich frei im Restraum des Dachstuhles entlang der Holzkonstruktion geführt. Vor allem Marder zerbeißen gerne derarti¬ge Leitungen, selbst dann, wenn sie - wie heute vorgeschrieben - in Leerrohren verlegt werden. Bei Fehlerstellen der Leerrohre oder bei freiliegenden Elektrokabeln ist das Zerbeißen sehr oft - vor allem bei Häusern in kleineren Gemeinden oder bei solchen in den Randbereichen von größeren Städten - zu beobachten. Hierdurch ist im Winter eine latente Kurzschlußgefahr gegeben. Diese kann, wie in etlichen Fällen nachweisbar, einen Dachstuhlbrand auslösen.

Abb. 5 - Das untere Dacbflächenfenster führt bei hohen „Kniestöcken' zu gestalterischen und technischen Problemen; bei dem oberen kann der Bewohner nur den Himmel sehen, was wenig geschätzt wird.
Abb. 5 - Das untere Dacbflächenfenster führt bei hohen „Kniestöcken" zu gestalterischen und technischen Problemen; bei dem oberen kann der Bewohner nur den Himmel sehen, was wenig geschätzt wird.

• Die „Auswechselungen" für Belichtungsöffnungen in der Dachhaut führen außerdem auch zu einer Reduzierung der alten originalen Dachsubstanz und zu einer deutlichen statischen Schwächung der Konstruktion. Glücklicherweise sind die meisten alten Dachstühle überdimensioniert.

In Österreich werden Dachausbauten aus öffentlicher Hand gefördert. Hier handelt es sich also in vielen Fällen um eine Art programmierte Zerstörung von Dachstühlen, die mit Steuergeldern subventioniert wird.

• Zu starre Belichtungsregel: Bei den Berechnungen der ausreichenden Belichtung von Dachräumen werden die belichtenden Fensterglasflächen ins Verhältnis zur Innenraum-Fußbodenfläche gesetzt; dieses Verhältnis muß in Österreich mindestens 1:10 betragen. In vielen Bauämtern werden bei Dachgaupen auch die Glasflächen von Fenstern in den seitlichen Gaupenwangen hinzugerechnet. Sind die Dachflächen der Gaupen ebenfalls in Glas ausgeführt, so werden auch diese hinzugerechnet(Abb. 3). Oft ist die Summe der Belichtungsflächen dann doppelt so groß wie die eigentliche Öffnung in der Dachfläche. Durch dieses eigentlich sinnlose Addieren ist es vielfach möglich, die 1:10 Regel zu umgehen und zugleich die Gaupen und ihre Zahl relativ klein und - bei entsprechender Detailkonstruktion - optisch leicht und transparent erscheinen zu lassen.

Abb. 6 - Dacheinschnittfür eine Dachterrasse.
Abb. 6 - Dacheinschnittfür eine Dachterrasse.

Bei Verwendung herkömmlicher Gaupenformen hingegen kommt es durch die 1:10 Belichtungsregel zu Gaupengrößen, die als überdimensioniert empfunden werden. Dabei ist wohl vor allem die generalisierende Belichtungsregel in Frage zu stellen. In einer engen Straße mit geschlossener, viergeschossiger Blockrandverbauung kommt durch Fenster im Erdgeschoß oft weniger als ein Viertel des Lichtes, das durch gleich große Glasflächen bei Dachflächenfenstern gelangt (Abb. 4). Die 1:10 Regel führt somit zu einer in dieser Größenordnung unnötigen Zerstörung der Dachkonstruktionen und zu einer vermeidbaren optischen Störung der Dachzonen. Sie gehört dringend revidiert.

Man könnte beispielsweise versuchen, den Öffnungswinkel vom jeweiligen Fenster zum natürlichen Licht bei bedecktem Wetter - zur Kontur der von der jeweiligen Stelle aus erkennbaren Verbauung, ohne Berücksichtigung des reflektierten Lichtes - zum Maßfaktor für eine neue Belichtungsregel machen. Auch eine sich an der Verbauungsdichte orientierende Belichtungsregel, bei der eventuell nach Stockwerkshöhe eine zweite Staffelung erfolgen könnte, scheint denkbar.

Zu große Dachflächenfenster sind nicht allein ein optisches Problem. Im Winter sind die Fensterflächen Zonen mit erhöhter Wärmeabsorption. Dies läßt sich durch erhöhtes Heizen zwar regeln, belastet aber die Geldtasche und die Umwelt durch zusätzlichen Energieverbrauch.

Abb. 7 - Eine Quasiaufstockung, bei der neue Bandgaupen nur jeweils einen feinen Streifenparallel zu den Ortgängen an den zwei Giebeln alibihalber belassen.
Abb. 7 - Eine Quasiaufstockung, bei der neue Bandgaupen nur jeweils einen feinen Streifenparallel zu den Ortgängen an den zwei Giebeln alibihalber belassen.

Im Sommer kommt es hingegen zum typischen Treibhauseffekt. Die kurzwellige Lichtenergie geht nahezu ungehindert durch das Glas und wird im Innenraum in langwellige Wärmeenergie umgewandelt, die nicht wieder zurückkann. Je größer die Dachflächenfenster sind, desto stärker ist dieser Effekt. Selbst Außenjalousien heizen sich an heißen Tagen so stark auf, daß Wärmestrahlung an der Unterseite entsteht, die ebenfalls das Glas durchdringen kann und sich erst im Rauminneren in langwellige Wärmeenergie umwandelt. In dieser Hinsicht sind Gaupen mit einem undurchsichtigen wärmeisolierten Gaupendach günstiger.

Ein Problemfaktor entsteht bei Dachausbauten oft durch „Kniestöcke", durch welche die Dachkonstruktion nicht auf Dachbodenniveau, sondern erhöht beginnt (Abb. 5). Hierdurch rutschen entweder die Belichtungsöffnungen zu weit hinunter zur Traufe, wo sie die Gesamtgestalt eines Bauwerkes stören und zugleich haustechnische Probleme durch Wasserrückstau bei Schnee mit sich bringen oder sie werden höher angeordnet, wodurch es im Inneren zu Problemen kommt. Dann sind die Fenster zu hoch angeordnet, sodaß man nur noch auf Zehenspitzen stehend oder von einem Schemel aus horizontal hinaussehen kann.

Großformatige Dacheinschnitte (Abb. 6), aber auch überdimensionale Gaupen, die meist einer barackenartigen Quasi-Aufstockung gleichkommen (Abb. 7), bei der häufig nur ein schmaler Dachstreifen neben dem Ortgang alibihalber erhalten bleibt, sind weitere Faktoren zur Zerstörung der Dachlandschaft.

Aus all diesen Gründen wird dringend empfohlen, die Förderung von Dachausbauten zu überdenken. Die Belichtungsregel muß dort, wo sie zu starr ist ebenfalls geändert werden. Darüberhinaus sind entsprechende Regelungen zu finden, die den kommerzialisierten Maximalausbau von Dächern eindämmen helfen.