Der Grazer Dom und seine Bedeutung als Teil der Stadtkrone#
Von
Erik Hilzensauer
Diese alte Fotografie aus dem Fundus des Bundesdenkmalamtes zeigt den Duktus der Kirche. Es handelt sich um eine gestaffelte Hallenkirche spätgotischer Prägung, deren fast turmartiger Dachreiter aus der jesuitischen Periode stammt. Bemerkenswert ist jedoch, wie stark die Bürgergasse in diesem Bereich abfällt. Dies zeigt die erhöhte und damit herausragende Position des Domes. Die Bezeichnung „Krone" hat damit seine Berechtigung. Der Bau lag im Mittelalter über Graz, das zu diesem Zeitpunkt noch keine Stadt war, sondern nur ein kleiner Straßenmarkt. Dass dieser Ort einmal zur Landeshauptstadt und damit zum Mittelpunkt des späteren Herzogtums avancieren sollte, war zu dieser Zeit noch nicht klar, zumal die Landesfürsten mit Judenburg einen viel bedeutenderen und zentraler gelegenen Markt besaßen.
Auf der obenstehenden Skizze des späten 17. Jahrhunderts ist der ursprüngliche Bereich des heutigen Doms gut erkennbar. Dieser befand und befindet sich als Teil der Stadtkrone in der Mitte derselben. Allerdings nicht im Mittelalter, denn da lag er außerhalb der Sadt auf landesfürstlichen Territorium. 1174 wird die Kirche erstmals urkundlich als Ägydius-Kirche genannt und war zu diesem Zeitpunkt Eigenkirche des Markgrafen Ottokar IV. Eigenkirchen besaßen im Mittelalter Friedhöfe und ein solcher umgab auch dieses Gotteshaus. Der Friedhof war in früheren Zeiten allerdings nicht nur Ort der Bestattung, der Trauer und des Gedenkens, sondern auch der Lebensfreude. Dort wurde getanzt, gefeiert, Waren wurden in Verkaufsständen feilgeboten, sie waren Spielstätten und man ist dort auch zu Gericht gesessen. 1260 und 1275 geschah das auch auf dem Friedhof der Ägydius-Kirche, wie es so schön in Urkunden überliefert wurde: „apud Graetz in cymiterio sancti Egydii iudido". Damit war der Bereich um die Kirche nicht nur eine heilige Stätte sondern auch ein Rechtsraum und dieser befand sich außerhalb der Stadtmauern. Den Rest der ersten Stadtmauer sehen sie heute noch, wenn sie im Bereich des Autoparkplatzes des Priesterseminars bzw. des Pressclubs bis zum Geländer gehen und in die Reiche hinunterschauen. Wenn man ihrem Verlauf folgt und auch die Grundstücksgrenzen hierzu zurate zieht, dann sieht man, dass diese erste Ummauerung von Graz auf der Höhe des heutigen Hartlauer die Sporgasse kreuzte. In diesem Bereich dürfte sich auch das erste Stadttor befunden haben. Innerhalb der Befestigung befand sich der Einflussbereich des Magistrats. Bis zur Erweiterung der Stadtmauer im 14. Jahrhundert befand sich die Ägydius-Kirche, die ab 1254 die Funktion der Stadtpfarrkirche übernahm, außerhalb ihres eigentlichen Wirkungsbereichs und war von einer eigenen Mauer umgeben, wie man schön auf der farbigen Umzeichnung des Landplagenbildes erkennen kann, die im Besprechungszimmer in der Abteilung für Steiermark des Bundesdenkmalamtes hängt. Im Mittelalter erstreckt sich der Friedhof allerdings in den Bereich der heutigen Burg. Die Gräber, die man „unterhalb des Landeshauptmannes" im Keller des Karlstraktes der Burg gefunden hat, stammen noch von diesem größeren Friedhof des Mittelalters. Erst in den Jahren 1335 bis 1337 wird die Grazer Stadtmauer erweitert und nun befindet sich die Pfarrkirche innerhalb derselben. Damals kommt es auch zur Errichtung der zwei Stadttore, dem „Tor gegen die Grecz", dem späteren Burgtor, welches 1346 urkundlich zum ersten Mal genannt wird, sowie dem Inneren Paulustor, das 1355 erstmals urkundlich fassbar ist.
Das zuvor erwähnte Landplagenbild, das von Thomas von Villach um 1485 geschaffen wurde, zeigt als einzige Darstellung noch die romanische Ägydius-Pfarrkirche, der allerdings bereits gen Osten zu der spätgotische Chor angestellt wurde. Das Bild konserviert somit den Umbau der Kirche durch Erzherzog Friedrich V., den späteren Kaiser Friedrich III., ab dem Jahre 1438. Er arbeitet sich dabei von Osten, also vom Allerheiligsten, nach Westen vor, wo 1456 das wunderschöne Kielbogenportal mit seiner Devise und seinem Monogramm geschaffen wurde. Damit war das heutige Kirchenschiff fertiggestellt.
Die derzeit geplante Gesamtrestaurierung, ist nicht die erste, die der Dom erlebte. Bereits Ende der 20iger Jahren, also kurz nach seiner Ernennung zum Fürstbischof der Diözese Graz-Seckau, hat Ferdinand Stanislaus Pawlikowski mit der kompletten Sanierung der Domkirche begonnen, die schließlich in den 30iger Jahren vollendet wurde. Die obigen Bilder zeigen die Restauratoren-Gebrüder Eduard und Franz Winkler bei der damaligen Restaurierung. Im Zuge ihrer Tätigkeit deckten sie 1931 jenen spätgotischen Freskenrest auf, der einen Christophorus mit Herzogshut darstellt. Hierbei dürfte es sich um Kaiser Friedrich III. handeln. Sie demonstriert seinen Herrschaftsanspruch auf das Gotteshaus, das er ab 1438 erneuerte. Allerdings selbst für einen Kaiser des ausgehenden Mittelalters war es anmaßend, sich als Heiliger darzustellen. Interessant ist indes, dass er zeitgleich mit dem Bau seiner Stadtburg begann, die heute zusammen mit dem Dom zur Stadtkrone gehört.
Obwohl Friedrich III. unter chronischer Geldnot litt, begann er beide Monumentalbauten im Jahre 1438. Er drückt damit zugleich der Stadtkrone einen bleibenden Stempel auf. Er errichtete auch jenen „Brückenschlag" zwischen weltlicher und geistlicher Machtsphäre, der oben auf der Darstellung aus dem Jahre 1843 abgebildet ist und beide Baukomplexe verband. Er konnte damit ungesehen von seinem Palas, der 1853 abgebrochen wurde, zur Friedrichskapelle gelangen, die zugleich seine Privatkapelle darstellte. Später kopierten die Jesuiten seine Idee und verbanden über die Bürgergasse ihr Collegium mit der Kirche. Dieser zweite Gang schützte lange Zeit das Landplagenbild. Erst nach seinem Abbruch im Jahre 1831 war es dann wieder den Unbilden des Wetters ausgesetzt.
Der Herrschaftsanspruch Friedrich III. dokumentiert sich auch in seiner Devise „AEIOU", die er auch im Dom überall anbringen ließ. Was immer es wirklich bedeutet, ist es auf jeden Fall Nachweis für Friedrichs Wirken. Sozusagen wo es drauf ist, ist Friedrich „drin". Er ist damit auch in der Domkirche, in der er von 1438 bis 1464 seine Devise verewigte.
Das Bemerkenswerte für das Mittelalter ist, dass wir den ersten Baumeister des Doms kennen: Hans Niesenberger war bis 1450 in der Landeshauptstadt. Er begann mit dem Bau und unter ihm wurde noch der Chor vollendet. Das Landplagenbild gibt exakt die Bausituation wieder, in der sich der Neubau beim Weggang Niesenbergers befand. Dieser zog über Regensburg, Freiburg im Breisgau nach Mailand und beendete sein Leben 1493 in Basel. Es ist im 15. Jahrhundert eine Seltenheit, dass man das Werk einem Menschen zuschreiben kann, kennen wird doch meist nur die Baumeisterzeichen aus dieser Epoche, die wir jedoch keinen Namen zuordnen können. Die von ihm gotisierte Ägydius-Kirche war jedoch nicht der einzige Kirchenbau der Stadtkrone zu dieser Zeit. Südlich davon, an der Stelle des heutigen Mausoleums, befand sich die romanische Katharinenkirche, die 1614 für den Nachfolgebau abgetragen wurde. Ihre Steine dienten als Fundament für das Mausoleum. Als dritter und letzter Sakralbau existierte im Bereich des Friedhofs noch eine Michaelskapelle, die als Baptisterium oder Karner diente. Von ihr ist nichts mehr erhalten.
Während der Bauzeit der spätgotischen Ägydius-Pfarrkirche wurde der Bauherr immer mächtiger. 1440 wird er deutscher König und 1452 schließlich Kaiser des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation. Dementsprechend wird 1456 das westliche Hauptportal entsprechend prunkvoll gestaltet. Auf der linken, der Männerseite, lässt er die Wappen des Heiligen Römischen Reiches und des Hauses Österreich (Bindenschild) sowie ein Schriftband mit der Devise „AEIOU" anbringen, während sich rechts das Wappen von Portugal, aufgrund seiner Ehe mit Eleonore von Portugal aus dem Hause Avis, und jenes des Herzogtums Steier finden. Das rechte Spruchband zeigt die Jahreszahl „1456". Damit taucht die Devise letztlich auch an der Außenseite der Kirche auf, ein Herrschaftsanspruch, der sich auch bei den Präsentationsrecht diverser für die Machtposition des Kaisers wichtiger Pfarren auf, wie beispielsweise in Trofaiach, das ja die Eisenproduktionsorte Vordernberg und Innerberg betreute. Das waren wichtige Orte für die Waffenproduktion, weshalb er dort seine Leute hinsetzen möchte. Und er setzt sich durch und kann seine Kandidaten wirklich einsetzen. Ein Aufflackern kaiserlicher Macht in geistlichen Gefilden.
Im Franziszeischen Kataster sieht man noch beide Verbindungen des Doms mit der Burg und dem Priesterseminar. Zugleich ist es ein schönes Bild, der Dom als Mittelpunkt zwischen kirchlicher und weltlicher Macht.
Im Prinzip hat sich die Silhouette seit dem 16. Jahrhundert kaum verändert, da Vinzenz de Verda der spätgotischen Bettelordenskirche 1580/82 einen ersten Dachreiter aufsetzte, der allerdings verglichen zum heutigen turmartig gestaltet war. Zu dieser Zeit hatte sich bereits viel verändert im Land, das damals weitgehend protestantisch war. 1564 erhält Graz einen eigenen Hof, von dem aus Karl II Innerösterreich regiert, wodurch gleichzeitig die Kirche zur Hofkirche wird. Pfarrkirche blieb die Ägydius-Kirche noch bis 1573. Vier Jahre später wurde sie vom Landesfürsten den Jesuiten geschenkt und diese veranlassten nun die bauliche Umgestaltung durch Vinzenz de Verda. Sein Dachreiter hielt jedoch nur einige Jahrzehnte, dann war er baufällig. 1653 erbaute schließlich Gregor Pacher jenen Dachreiter, den wir heute noch bewundern können.
Interessant ist, dass man bei der Restaurierung in den 20- und 30-iger Jahren, noch etwas gemacht hat. Da die Ägydius-Kirche bis 1573 Stadtpfarrkirche blieb, war sie auch die wichtigste Grablege für bedeutende Grazer Bürger und Adelige. Das linke obige Bild wurde bewusst gewählt, da man lange Zeit den zweiten Baumeister hinter seiner Person vermutete, was inzwischen allerdings widerlegt ist. Aber hier sieht man gut, dass der Grabstein unter den genagelten Schuhen massiv gelitten hat. Deshalb wurden die Grabsteine bei der letzten Generalrestaurierung aus dem Fußboden entfernt und an der Außenseite der Domkirche aufgestellt. Dort befindet sich dieser Grabstein heute noch, mit Blick Richtung Burg. Auf dem rechten Bild die berühmten Brauttruhen von Paola Gonzaga und Leonhard von Görz, die von Schloss Bruck bei Lienz ihren Weg über Millstatt nach Graz gefunden haben. 1617 wurden sie von Jesuiten zu Reliquienschreinen umfunktioniert. Die Kirche hat somit im Inneren noch die jesuitische Prägung, während sie im Äußeren einen Bettelordenstypus aufweist.
Hier erkennt man, dass auch die jüngeren Bauten rund um die Domkirche im Focus des Denkmalamtes verblieben. Auf dem linken Bild sieht man die Erneuerung der Treppe im Jahre 1970. Diese wurde nach dem Abbruch des Übergangs zum Priesterseminar 1831 errichtet und war vor 46 Jahren so desolat, dass man sie sanieren musste. Im rechten Bild schwebt Conrad Laibs Kreuzigung im Gedräng aus dem Jahre 1457 durch einen Schlitz in der Mauer an seinen heutigen Aufstellungsort in der Friedrichskapelle. Es gehört zu den wenigen gotischen Stücken, die sich im Dom erhalten haben.
Hier ein letzter Blick auf den Dom aus dem Jahre 1910. Man schaut auf die vormalige Sakristei und spätere Barbara-Kapelle, mit dem Mausoleum im Hintergrund, jenen Bau des Manierismus, der die romanische Katherinenkirche ersetzte. Damit zugleich ein Blick auf den ältesten und ersten Teil der Stadtkrone, der sich bis ins 12. Jahrhundert zurückverfolgen lässt. Ein Juwel, das älter als die Diözese selbst ist. Seit 1786 als Domkirche in Verwendung ist es damit der Kristallisationspunkt dieses Bereichs. In diesem Sinne freut sich das Bundesdenkmalamt auf die Geschichte, die ab nun geschrieben wird.