Wir haben die Originale, das ist unser Trumpf#
Der Spitzenforscher Christian Köberl tritt am 1. Juni sein neues Amt als Generaldirektor des Naturhistorischen Museums in Wien an. Im Gespräch erläutert er seine Pläne und Perspektiven für das traditionsreiche Haus am Wiener Burgring.#
Von der Wiener Zeitung freundlicherweise zur Verfügung gestellt. (Samstag, 29. Mai 2010)
Von
Christian Pinter
"Wiener Zeitung": Herr Professor Köberl, Sie haben sich schon mehrmals Träume erfüllt. Im Alter von zehn Jahren erlebten Sie die ersten Mondlandungen mit. Später analysierten Sie selbst das Mondgestein. Sie sahen die ersten Bilder der kraterzernarbten Oberflächen der Jupiter- und Saturnmonde. Später untersuchten Sie federführend Einschlagskrater auf der Erde. Sie lasen sicher auch abenteuerliche Forscherberichte aus dem 19. Jahrhundert – und forschten später selbst in der Libyschen Wüste, in Sibirien oder der Antarktis. War die Leitung eines Museums auch ein Jugendtraum?
Christian Köberl: Tatsächlich begeisterten mich damals auch die Mondlandungen für die Astronomie. Ich vergrub mich in Büchern, half an der Urania-Sternwarte und im Wiener Planetarium mit. Mit dem Naturhistorischen Museum kam ich dann in den frühen Achtzigerjahren in Kontakt, bei der Analyse von Meteoriten. Die damals dort vorhandenen Geräte gab es an der Universität nicht. Außerdem kann man im Museum an langfristigen Projekten arbeiten, anders als an der Uni. Und man hat dort diese wunderbaren Sammlungen zur Verfügung. Sicher hätte ich die weltberühmte Wiener Meteoritensammlung gerne einmal geleitet, aber an die Direktion des ganzen Hauses dachte ich nicht. Als mir jüngst die Gelegenheit dazu geboten wurde, nahm ich die Herausforderung nach kurzem Nachdenken begeistert an.
Über dem Eingang prangt seit 1889 in goldenen Lettern das Motto "Dem Reiche der Natur und seiner Erforschung". Ist die Forschung auch heute noch ein fundamentaler Auftrag für das Naturhistorische Museum?
Ja! Wir wollen den Besuchern nicht nur vorführen, was und wie die Habsburger gesammelt haben und das Museum dann gleichsam in diesem Zustand "versiegeln". Vielmehr möchten wir zeigen, was moderne Naturwissenschaften sind und worin deren wissenschaftliche und gesellschaftliche Bedeutung liegt. Mit der Bestellung eines aktiven Forschers als Generaldirektor sollte, so glaube ich, die Rolle der Wissenschaft betont werden. Und um sie kompetent zu vermitteln, braucht es Mitarbeiter, die selbst forschen. 2905Emuseum
Sie haben erklärt, die Forschungsarbeit am Museum besser sichtbar machen zu wollen. Was haben Sie da konkret vor ?
Ich möchte zunächst, dass mehr geforscht wird – ähnlich wie in den Museen mit vergleichbarer Geschichte in Berlin, London, Paris oder Stockholm. Natürlich sind die Zeiten der "Gießkannen"-Dotationen für Geräte, Honorare, Konferenzreisen usw. vorbei. Heute muss man sich auch beim Ringen um Finanzen dem Wettbewerb stellen, sich kompetitiv um Drittmittel bewerben: bei internationalen Programmen, beim Forschungsfonds oder der Akademie der Wissenschaften. Das Museum hat Persönlichkeiten und Chancen für eine solche Strategie. Man muss sich aber trauen, und die Museumsleitung muss das unterstützen. So können wir auch den Aufholbedarf bei der Ausstattung der Laboratorien besser bewältigen. Wir wollen neue Elektronenmikroskope und eine neue Mikrosonde anschaffen. Das derzeitige Gerät ist 37 Jahre alt und schon lange nicht mehr Stand der Technik. Dann möchte ich in jedem Saal zumindest eine Vitrine haben, die unsere eigenen Forschungen erklärt. Wir holen nicht nur Exponate aus dem Tiefenspeicher, wir zeigen, wie daran gearbeitet wird.
Wissenschaft beginnt ja mit Staunen. Lässt sich in einer Zeit, in der die Grenzen zwischen Wirklichkeit und Utopie immer rascher überholt sind, Staunen überhaupt noch hervorrufen?
Das ist jetzt sicher nicht einfacher, zumal die Aufmerksamkeitsspanne immer kürzer wird. Das Museum wurde 1889 als Haus für systematische Sammlungen konzipiert, wo Besucher mit viel Zeit sehr viel lernen und sich selbst vieles erarbeiten können. Doch in dieser Welt leben wir nicht mehr. Heute kommt es überall auf Soundbites an, also auf ganz kurze Statements; nicht mehr auf detaillierte, tiefe Erklärungen. Daher müssen auch wir die Informationen aufbereiten. Besucher werden von der fantastischen Vielfalt des Gezeigten fast "erschlagen". Ich möchte die systematische Sammlung etwas in den Hintergrund rücken und auf Blickfänge setzen. Besonders spektakuläre oder wichtige Exponate werden speziell inszeniert und hervorgehoben – um daran dann ein Lehrstück bzw. eine besondere Information aufzuhängen, um zu zeigen, was wir an diesem Stück gelernt haben. Wenn der Besucher dann davor steht und denkt: "Aha, das habe ich nicht gewusst!", dann haben wir Erfolg gehabt.
Werden audiovisuelle Medien diesen Weg unterstützen?
Wir haben die Originale, das ist unser Trumpf gegenüber Fernsehen, Buch oder Internet: die Venus von Willendorf, einen seltenen Meteoriten, das Präparat eines mittlerweile ausgestorbenen Tieres. Das Original steht im Zentrum, es erzählt die Geschichte. Andere Medien werden bloß unterstützend eingesetzt – ein erklärender Text, eine Holografie, ein Film. Wenn ich z.B. den Schädel eines Australopithecus vor mir habe, will ich wissen, wie das ganze Wesen ausgesehen hat. Wenn ich einen Saurierknochen mustere, interessiert es mich, wie sich dieses Tier bewegt hat. Das können moderne Medien gut vermitteln. Vor allem für die junge Generation müssen wir interaktive Stationen einbauen, etwas, womit die Besucher in Wechselwirkung treten können. 2905Einterview
Sind Modernisierungen in einem so historischen Haus nicht problematisch?
Das ist eine Gratwanderung. Wir werden kein Video-Spiel-Salon sein wie manche US-Museen. Dort hat man viele Originale gegen Bildschirme getauscht. Kinder laufen von Monitor zu Monitor und rennen weiter, falls die Show nicht gleich losstartet. Wir wollen das vernünftiger machen. Jene Säle, die in nächster Zeit renoviert werden, erhalten interaktive Elemente. Aber nicht zu viele. Schon jetzt gibt es z.B. die "Vulkanpumpe" oder die "Erdzeitmaschine", mit der man selbst die Kontinente wandern lassen kann.
Besonders fesseln ja Exponate, die einen Bezug zum eigenen Leben besitzen ...
Der lässt sich bei zahlreichen Objekten herstellen. Bei den Pflanzen gibt es z.B. Nutzpflanzen und solche, die Allergien auslösen. Bei den Würmern gibt es Parasiten. Selbst in der Mineralogie existieren solche Bezüge: Der Katalysator im Auto braucht Platinmetalle, das Mobiltelefon braucht Minerale der Seltene-Erd-Elemente und synthetische Textilien benötigen Kohlenwasserstoffe. Unsere Technik fußt auf Rohstoffen. Was auf den ersten Blick bloß ein hübscher Stein ist, hat bei näherer Betrachtung immense Bedeutung für die Gesellschaft.
Um auf Ihre eigene Forschungsarbeit zurück zu kommen: Warum sind Sie als brillanter Chemiker eigentlich nicht in die Industrie gegangen, sondern in die Grundlagenforschung ?
Ein berühmtes Zitat ist, dass wir ohne Grundlagenforschung heute zwar die perfekte Öllampe besäßen – aber die Elektrizität hätten wir nie ergründet. Daher ist sie so wichtig, auch wenn sich deren Resultate oft erst nach Jahrzehnten oder sogar Jahrhunderten als bedeutsam herausstellen. Ich halte Grundlagenforschung jedenfalls für das spannendste, das man als Wissenschafter machen kann.
Zu Ihren Fachgebieten zählt die Impaktforschung: Bei den Einschlägen kosmischer Körper werden kurzzeitig enorme Energien frei. Die verändern irdisches Gestein, machen es zum "Impaktgestein". Das ist doch ein Paradebeispiel interdisziplinärer Forschung !
Die Kooperation mit Leuten, die das gleiche Interesse haben, vergrößert den Wissenspool ungemein. Und das Zusammenspiel verschiedener wissenschaftlicher Disziplinen bringt einen deutlichen Mehrwert. Wenn man eine Bohrung durch hunderte Meter Gestein bis hinunter zum Impaktgestein durchführt, muss man zunächst durch Sedimente hindurch, also durch jüngere Ablagerungen. Der Elgygytgyn z.B., ein dreieinhalb Millionen Jahre alter Einschlagskrater, wurde von einem zunächst zwei-, dreihundert Meter tiefen See ausgefüllt. Und der fror, anders als "normale" flache Seen, nie komplett von oben nach unten zu. Er wurde zur Sedimentfalle. Die Bohrkerne zeigen daher auch die Klimaentwicklung in Nordostsibirien – und das über Millionen Jahre hinweg. Oft werden neue Erkenntnisse überhaupt erst möglich, wenn, so wie hier, Wissenschafter verschiedener Fachgebiete zusammenwirken.
Sind Museumsbesucher von der belebten Natur nicht stärker fasziniert als von der nicht lebendigen? Lässt sich das Reich der Gesteine im Museum so packend präsentieren wie das der Tiere?
Ich denke schon. Außerdem: Was heißt "nicht lebendig"? Es gibt eine sehr interessante neue Hypothese, wonach die Anzahl der Minerale auf der Erde im Zusammenhang mit der Entwicklung des Lebens steht: Auf dem Mond sind es vielleicht 300, auf der Erde etwa 6000. Viele Minerale sind direkt oder indirekt Folge des Lebens. Sogar in der Mineralwelt gibt es also eine Art "Evolution". Rückkopplungen existieren. Lebewesen verändern die Atmosphäre, die Lufthülle verändert wiederum das Oberflächengestein. Auch die verschiedenen Hypothesen und Theorien über die Entstehung des Lebens kann man im Museum fesselnd darstellen.
Gerade ist ein äußerst ansprechend gestalteter Museumsführer erschienen. Wird es auch vermehrt Führungen geben oder technische Assistenten wie Audioguides?
Die Führungen werden neu strukturiert und regelmäßiger angeboten. Audioguides sind eine Kostenfrage. Was wir in neue Medien investieren, müssen wir selbst verdienen. Ich hoffe auf viele Sponsoren, die sich für das neugestaltete Museum begeistern. Etwa Betriebe, die mit Biotechnologie oder Rohstoffverarbeitung zu tun haben, die also Erkenntnisse der modernen Naturwissenschaft nutzen. Die könnten einen Saal oder einen Saalteil sponsern und so beim Publikum Interesse an ihren Themen wecken.
Wenn man vor den kunstvollen Exponaten aus der Frühgeschichte steht, wird klar: Der Mensch will Formen und Gestalten. Kann auch der Besucher des Museums mitgestalten?
Es gibt eine große Zahl an Volontären. Studenten oder Pensionisten mit Interesse an der Naturwissenschaft helfen z.B. bei der Erfassung und der Dokumentation der Sammlungen mit. Je mehr, desto besser.
Die aktuelle Darwin-Schau hat sich als kräftiger Publikumsmagnet entpuppt und mich mit vielen originellen Details verblüfft ...
Das ist praktisch die erste selbstgemachte große Schau. Die Mitarbeiter haben sich dafür sehr engagiert. Bisher mussten wir praktisch alle Ausstellungen zukaufen. In Hinkunft wollen wir alle zwei, drei Jahre eine Ausstellung in Eigenregie auf die Beine stellen, und zwar wieder interdisziplinär. Unsere Sammlungen und Abteilungen decken ja ein breites Spektrum an Wissenschaftsgebieten ab. Solche Ausstellungen lassen sich dann auch anderen Museen anbieten.
2014 feiert das Haus am Ring den 125. Geburtstag. Was wollen Sie bis dahin erreicht haben?
Neben der Modernisierung der Laboratorien wird ein Teil der Schausammlungen neu aufgestellt, mit dem Dinosauriersaal angefangen. Die anthropologische Sammlung ist seit 15 Jahren nicht mehr gezeigt worden und muss ganz neu eingerichtet werden. Ein Erfolg wäre, bis dahin ungefähr zehn Säle geschafft zu haben.
Grundsätzlich möchten wir aber noch mehr: Wir leben in einer technikbasierten Gesellschaft. Unsere Zivilisation wäre ohne die Naturwissenschaften gar nicht möglich, sie sind die Grundlage und ein integraler Bestandteil. Das ist mittlerweile viel zu wenig bewusst. Wir wollen klar machen, dass Naturwissenschaften etwas Wichtiges, Spannendes und Relevantes sind. Wenn wir das im Museum vermitteln können, haben wir viel erreicht.
Das Naturhistorische Museum#
Die Formenvielfalt der Natur bewundernd, erstand Kaiser Franz Stephan 1748 die Sammlung des Florentiner Gelehrten Johann Ritter von Baillou – 30.000 Mineralien, Edelsteine, Schnecken, Muscheln und Korallen. Nach dem Tod ihres Mannes berief Maria Theresia den Bergbaufachmann Ignaz von Born nach Wien, um das Inventar des Naturalienkabinetts zu katalogisieren; er lebt als "Sarastro" in Mozarts "Zauberflöte" weiter.
Die Sammlung in der Hofburg wurde später mit anderen kaiserlichen Kollektionen zusammengelegt und mit zoologischen und botanischen Exponaten ergänzt. Aus den Ländern der Donaumonarchie kamen Objekte dazu, und auch aus Südamerika kehrten Forschungsexpeditionen mit einem wahren Schatz neuer Funde heim. 1857 stach die "Novara" zur Weltumsegelung in See, 1872 brach die "Tegetthoff" zur Nordpolarexpedition auf.
Kaiser Franz Joseph gab den Auftrag zum Bau eines eigenen Museumsgebäudes an der Ringstraße. Gottfried Semper und Carl Hasenauer gestalteten es im Stil der Neorenaissance und als "Tempel der Evolution". Die 39 Schausäle wurden im Hinblick auf die präsentierten Sammlungen konzipiert.
Heute beherbergt das Naturhistorische Museum 20 Millionen Objekte. Der Bogen reicht von Mineralien über Pflanzen und Tiere bis hin zu Funden aus der Frühgeschichte des Menschen. 50 bis 60 wissenschaftliche Mitarbeiter widmen sich der Pflege, Erforschung und Präsentation dieser Objekte – und erreichen damit jährlich fast 400.000 Besucher.
Zur Person#
Christian Köberl, geboren 1959 in Wien, studierte dort und in Graz sowohl Astronomie als auch Chemie. In der Kosmochemie fand er die Synthese der beiden Wissenschaftsgebiete und habilitierte sich 1990. Danach forschte und lehrte er in Houston, Washington, Johannesburg und Großbritannien. Gleich viermal vertraute man ihm die Leitung internationaler Bohrprojekte an, mit denen uralte Einschlagskrater untersucht wurden. Denn Köberl gilt weltweit als einer der erfahrensten Spezialisten der Impaktforschung. 1998 fasste er Aspekte seiner Arbeit in dem leicht verständlichen Buch "Impakt – Gefahr aus dem All" zusammen.
Christian Köberl ist Leiter des Departments für Lithosphärenforschung der Universität Wien, das sich mit Aufbau und Entwicklung der Erdkruste befasst. 2008 wurde er Chefredakteur des angesehenen "Bulletins der Geological Society of America" – als erster Nichtamerikaner in der 120-jährigen Geschichte der Fachpublikation. Köberl wohnt mit seiner Ehefrau in Klosterneuburg. Er wurde von Bundesministerin Claudia Schmied zum Generaldirektor des Naturhistorischen Museums bestellt und tritt sein neues Amt am 1. Juni 2010 an.
Christian Köberl wurde u.a. mit dem START-Preis (1996) und der Barringer Medal and Award of the Meteoritical Society (2007) ausgezeichnet.
Christian Pinter, geboren 1959, lebt als Fachjournalist in Wien. Sein astronomiegeschichtliches Lesebuch "Helden des Himmels" ist 2009 bei Kremayr & Scheriau erschienen.'