Verbunden bis in den Tod#
Ein langes, gemeinsames Leben im Dienst der sozialistischen Demokratie: zum 50. Todestag der Journalisten und Politiker Marianne und Oscar Pollak.#
Von der Wiener Zeitung (Sa./So., 7./8. September 2013) freundlicherweise zur Verfügung gestellt
Von
Brigitte Biwald
Vor 50 Jahren, am 30. August 1963, nahm sich die sozialdemokratische Politikerin Marianne Pollak, geboren 1891, das Leben. Ohne ihren Ehepartner, den zwei Jahre jüngeren Journalisten Oscar Pollak, der zwei Tage zuvor in Hinterstoder unerwartet nach einem Herzinfarkt gestorben war, wollte sie nicht weiterleben.
Auch ihr großer Bekanntenkreis konnte Marianne nicht vom Suizid abhalten. Zu sehr war sie mit Oscar verbunden, mit dem sie alle Höhen und Tiefen eines aufregenden Lebens zwischen Österreich, Belgien, Frankreich, Spanien und England geteilt hatte. Gemeinsam überstand das Ehepaar zwei Weltkriege. Sie hungerten und froren, wirkten hoffnungsvoll beim Aufbau des Roten Wien mit, mussten 1934 unter Lebensgefahr emigrieren, kehrten wieder zurück, um 1938 zum wiederholten Mal das Land zu verlassen. Es folgte 1945 der Neubeginn in Wien unter schwierigsten Umständen. Marianne Springer und Oscar Pollak kamen aus unterschiedlichen Milieus. Marianne, klug und wissbegierig, hätte gerne eine höhere Schule besucht, doch im kleinbürgerlichen Elternhaus fehlten dafür die finanziellen Mittel. Nach der Bürgerschule wurde sie Sprachlehrerin für Englisch und Französisch. Oscar, aus einem wohlhabenden Bürgerhaus stammend, konnte ohne finanzielle Probleme Jura studieren, bis der Erste Weltkrieg sein Studium unterbrach.
1910 war Marianne 19 Jahre alt und sie liebte das Theater und die Oper. Da begegnete ihr auf einem Tennisplatz bei Pressbaum der fesche, 17-jährige Oscar. Er nahm sie zu politischen Veranstaltungen der Sozialdemokraten mit. Zu den stärksten Eindrücken der jungen Marianne gehörten die Vorträge und Reden von Otto Bauer. Die Demonstration für das Frauenwahlrecht am 19. März 1911 in Wien, der sich 20.000 Frauen auf der Ringstraße angeschlossen hatten, erlebte sie in dem aufregenden Gefühl, Zeugin "einer historischen Stunde" geworden zu sein.
Eine politische Ehe#
Oscar Pollak musste 1914 zum Militärdienst einrücken, vorher hatte er sich noch mit Marianne verlobt. 1914 wurde sie Parteimitglied der Sozialdemokraten und engagierte sich bei den Kinderfreunden. Das junge Paar heiratete noch während des Krieges im November 1915. Immer wieder gelang es Marianne, Oscar selbst in abgelegenen Garnisonen zu besuchen, so auch in der Hafenstadt Cattaro/Kotor (Montenegro). Oscar diente die vier Kriegsjahre als Offizier und beendete 1919 das Jura-Studium. Sehr bald wandte er sich dem Journalismus zu und begann unter dem Chefredakteur der Arbeiter-Zeitung, Friedrich Austerlitz, als Sportredakteur.
Das gemeinsame Leben der Pollaks nach dem Ersten Weltkrieg begann in einer kleinen Wohnung im sechsten Wiener Gemeindebezirk. Trotz schwierigster Lebensumstände setzten die beiden große Hoffnung in die junge Republik. Eine neue Verfassung brachte das Wahlrecht für Frauen. Im Februar 1919 zogen sieben Sozialdemokratinnen in das neu gewählte Parlament ein.
Nach einem dreijährigen Aufenthalt in London, wo die Pollaks im Sekretariat der neu gegründeten "Sozialistischen Arbeiter Internationale" mitarbeiteten, kehrten sie nach Wien zurück. Nichts erschien den beiden spannender, als beim Aufbau des Roten Wien dabei zu sein. Oscar Pollak wurde Weihnachten 1926 außenpolitischer Redakteur der "Arbeiter-Zeitung". Wenige Monate später fand Marianne eine Anstellung als Redakteurin in der neu gegründeten Tageszeitung der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei (SDAP), "Das Kleine Blatt". Mariannes Ressort waren die Frauenseiten und die Kinderseite.
Der Lebensrhythmus von Marianne und Oscar begann sich einzuspielen. Sie fanden eine Wohnung in einem komfortablen Haus in Hietzing. Gemeinsam verließ man am Morgen das Haus, kehrte zum Mittagessen nach Hietzing zurück. Am Abend gingen die Pollaks getrennte Wege: Oscar arbeitete bis spät nachts in der Wienzeile, Marianne hielt Vorträge oder besuchte Versammlungen. Sonntagnachmittags war das Wohnzimmer Treffpunkt für politische Diskussionen unter Freunden.
Nach dem Tod von Friedrich Austerlitz im Juli 1931 übernahm Oscar Pollak die Chefredaktion der "Arbeiter-Zeitung". In den Mittagsstunden des 12. Februar 1934 wurde die Redaktion der Zeitung im "Vorwärts-Haus" an der Wienzeile von Polizei und Heimwehr besetzt. Es kam zu Verhaftungen und einer polizeilichen Sperre, doch Marianne und Oscar konnten durch eine Hintertür entkommen. Dies bedeutete jedoch, dass die Pollaks nicht mehr in ihre Hietzinger Wohnung zurückkehren konnten. Sie fanden Unterkunft in der Wohnung einer Mitarbeiterin Otto Leichters. Als die aktivsten Mitglieder der "Revolutionären Sozialisten" stellten Otto Leichter und die Pollaks mit ihren Mitarbeitern Verbindungen zu ausländischen Journalisten, bzw. zu den intakten Teilen der Partei her.
Auf dem Weg ins Exil#
Da Oscar steckbrieflich gesucht wurde, ging das Paar kurze Zeit nach Zürich. Bald jedoch kehrten sie getrennt zurück. Mit Käthe Leichters Hilfe fanden sie 1935 Unterschlupf in der verwahrlosten "Kühnel-Villa" in Perchtoldsdorf. An ihrer Stelle steht heute ein Seniorenheim. Nach einiger Zeit gelang es den Pollaks, nach Brüssel auszureisen, wo sie im Büro der Sozialistischen Arbeiterinternationale (Vorläuferorganisation der Sozialistischen Internationale) erwartet wurden. In Brüssel gab Oscar Pollak die Zeitschrift "Internationale Information" heraus, seine Verbindung zu Österreich blieb aufrecht.
1938 übersiedelte das Büro der Internationale und mit ihm das Ehepaar nach Paris. Oscar Pollak war Mitglied der Auslandsvertretung österreichischer Sozialisten und Redakteur des "Sozialistischen Kampfes", einer Nachfolgezeitschrift der "Arbeiter-Zeitung". 1940 emigrierten die Pollaks über Spanien und Portugal nach London. Nach Paris war London das Zentrum des österreichischen Exils. Gemeinsam mit Karl Czernetz baute Oscar Pollak eine Außenstelle der Österreichischen Sozialisten auf. Die Londoner Auslandsvertretung brachte eine große Anzahl von österreichischen Staatsbürgern vor den Nationalsozialisten in Sicherheit.
Die im Nachlass enthaltenen Korrespondenzen von Marianne Pollak aus dem Exil in Paris und London, geben Einblick in den Alltag der Emigration: Erzwungene Untätigkeit, drückende Geldnöte, ärmliche Untermietzimmer. Oscar Pollak fand Arbeit bei der Presseagentur Reuters. Nachts arbeitete er als "Monitor", d.h. er war als Abhörer von deutschen Sendungen eingesetzt. Dabei kam das Privatleben "zu kurz", klagte Marianne.
Am 18. September 1945 kehrte Oscar Pollak ohne seine Frau nach Österreich zurück. Unter schwierigsten Bedingungen gelang ihm die Neuübernahme der Chefredaktion der "Arbeiter-Zeitung", denn das Vorwärts-Haus war von den Engländern besetzt und im Zimmer von Victor Adler saß ein russischer Hauptmann. Dennoch hatte sich die "Arbeiter-Zeitung" mit dem konsequenten Aufzeigen der Übergriffe der sowjetischen Besatzungsmacht und ihrem Auftreten gegen die Machtansprüche der Kommunisten den Ruf erworben, eine Zeitung zu sein, "die sich was traut".
Wenige Wochen nach der Ankunft von Oscar saß auch Marianne im Flugzeug nach Wien. Was sie hier erwartete, war schlimmer als befürchtet. Die Hungerrationen von tausend Kalorien täglich - meist nur in Form von Erbsen - spiegelten sich in den ausgemergelten Gestalten wider. Marianne Pollak war irritiert vom Ausmaß an Rücksichtslosigkeit und Aggressivität im Wiener Alltag, besonders im Vergleich zu London, wo nach ihrer Ansicht "die Menschen bessere Manieren hatten".
Am 25. November 1945 kandidierte Marianne Pollak für die Nationalratswahl und zog als Abgeordnete in das Parlament ein. Bereits Anfang November hatte sie die Leitung der wieder gegründeten Wochenzeitschrift "Die Frau" übernommen. Nachkriegsprobleme, wie der Mangel an Lebensmitteln, Energie und Kleidung und das Heimkehrerproblem waren zunächst die dominanten Themen in der Frauenzeitschrift.
Marianne Pollaks politisches Engagement in den folgenden Jahren galt dem modernen Familienrecht, der Entlastung berufstätiger Mütter, der Jugend- und Familienpolitik sowie gleichen Aufstiegschancen für Frauen. Themen, die auch Inhalt von großen Enqueten und Forumsdiskussionen waren, bei denen sie die Vorsitzende war. Mit dem Thema Empfängnisverhütung, Familienplanung und Aufstiegschancen für qualifizierte Frauen stieß Marianne Pollak zunächst auch bei den eigenen Parteifreunden auf Abwehr. Anfang 1950 gehörte Marianne Pollak zu den Kuratorinnen der Ausstellung "Die Frau und ihre Wohnung" im Messepalast, die sich mit zeitgerechter, moderner Wohnkultur, gesunder Küche und moderner Technik im Haushalt beschäftigte. Diese Ausstellung war so erfolgreich, dass sie als Dauerausstellung mit begleitenden Beratungen und Vorträgen zehn Jahre geöffnet blieb.
Das Ehepaar Pollak war kultiviert und integer, dennoch blieben sie nicht von Kritik aus den eigenen Reihen verschont. Das betraf z.B. die Emigration. Die teils gehässigen Polemiken gegen Emigranten dauerten bis weit in die 1950er Jahre an, wie der Briefwechsel der Pollaks aus der Nachkriegszeit beweist.
Der lange Abschied#
In den späten 1950er Jahren begannen sich Generationskonflikte in der AZ-Redaktion abzuzeichnen. Die Menschen wollten schnelle, übersichtliche Informationen. Oscar Pollak hielt wenig davon, das Traditionsblatt "Arbeiter-Zeitung" aus wirtschaftlichen Gründen den neu entstandenen Boulevardblättern anzupassen. Somit räumte er seinen Chefredakteursessel Ende 1961.
Marianne Pollak legte 1959 ihr Abgeordnetenmandat zurück und nahm auch Abschied vom "Vorwärts-Haus" an der Wienzeile. Es fiel ihr nicht leicht, denn unter ihrer Leitung war "Die Frau" zur meistgelesenen Frauenzeitschrift Österreichs geworden.
Am 28. August 1963 stirbt Oscar Pollak. Noch am selben Tag schreibt Marianne einen Abschiedsbrief, aus dem hervorgeht, dass sie seit ihrer frühesten Jugend gewusst habe, ohne ihren Gefährten nicht leben zu können.
4. September 1963: Im Hof des "Vorwärts-Verlages" an der rechten Wienzeile sind zwei Särge aufgestellt. Die ganze Belegschaft des Hauses nimmt Abschied von zwei Menschen, die untrennbar mit der Geschichte des Hauses verbunden waren. Der Nachlass von Marianne und Oscar Pollak wurde von Grete Helfgott, der Sekretärin von Oscar Pollak, dem "Verein für Geschichte der Arbeiterbewegung" übergeben.
Brigitte Biwald, geboren 1951, ist Historikerin und in der Erwachsenenbildung tätig, ihr Schwerpunkt ist Medizingeschichte. Sie lebt in Perchtoldsdorf.