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Restaurierung eines antiken Grabgewandes aus Jade der Han-Dynastie aus dem Guishan-Königsgrab von Xuzhou/Jiangsu#


Von

Günther Jontes, 2016


Nach dem Jahrhundertfund der Terrakottaarmee des Ersten Kaiser Chin Shi Huangdi nahe Xian in China, sind weitere aufwändige Grabanlagen späterer Dynastien entdeckt, ausgegraben, archäologisch erforscht und schließlich auch der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden. Dabei wurden ebenfalls Grabarmeen und jeweils Nachbildungen des Hofstaates der Toten gefunden, die zwar nur eine Skulpturengröße von etwa einem Drittel der Terrakottakrieger von Xian erreichen, aber nicht minder Aufschluss über die Jenseitsvorstellungen Altchinas geben.

Nach chinesischer Auffassung besitzt der Mensch zwei „Seelen“, die eine betritt ihn bei der Zeugung, die andere bei der Geburt. Beim Tode trennen sich beide. Während die eine in den himmlischen Palast des Jadekaisers im Himmel aufsteigt, nimmt die andere im Grabpalast unter der Erde Platz und muss dort durch eine reiche Ausstattung von Bedürfnissen für das Leben im Grab versorgt werden. Ebenso müssen die Nachkommen des Verstorbenen ihm ständig Opfer bringen, da er sonst als unzufriedener Geist die Irdischen besucht und ihnen Ungemach bereitet. Soldaten aus gebranntem und bemaltem Ton beschützen ihn, Frauen, Musiker, Tänzerinnen und Gaukler in exakter Nachbildung erfreuen ihn wie einst auf Erden, Essen und Trinken finden sich reichlich als Beigaben, Küchen, Vorratslager, Bäder und hygienische Anlagen umgeben in eigenen Räumen die eigentliche Grabkammer, in welcher der tote Herrscher in einem Sarkophag ruht. Allein während der Han-Dynastie (...) wurden die toten Leiber auch von einem Grabpanzer aus Jade umhüllt. Einige wenige haben sich als archäologische Funde erhalten und bilden die Zierde chinesischer Museen. Besonders die Funde in der chinesische Stadt Xuzhou bieten ein anschauliches Bild dieser aufwändigen Grabgewänder.

Die kreisfreie Stadt Xuzhou in der Provinz Jiangsu ist mit ihren 3,8 Milionen Einwohnern eine mittelgroße (!). Sie hat eine reiche historische Vergangenheit. Funde lassen sich bis in die Zeit der fast noch legendenhaften ersten Dynastien Chou und Shang zurückverfolgen. In der Antike hieß die Stadt Pengcheng. Liu Bang, der erste Kaiser der Han-Dynastie wurde hier geboren. Sie war Teil des Königreiches Chu, das den Han-Kaisern als Vasallenstaat angehörte. Mitglieder des Liu-Clans und verdiente militärische Führer wurden hier eingesetzt und regierten die Region. Sie durften sich König nennen, entfalteten aber besonders im Bereich der Funeral- und Sepulralkultur fast kaiserlichen Prunk. Ab der dritten Generation beherrschten die Zeit Aufstände gegen die Zentralmacht und nach anfänglicher hoher wirtschaftlicher Blüte setzte ein stufenweiser Niedergang ein. Besonders die Rebellion gegen Kaiser Liu Wu hatte Folgen. Dieser zeigte sich auch darin, dass Gräber unvollendet blieben, manche nur mehr teilweise ausgestattet wurden und zum Teil auch Ersatzmaterialien den einstigen Einsatz von Edelmetallen ablösten.

Am Stadtrand des heutigen Xuzhou liegt der Schildkrötenberg (chin. guishan) als bedeutendste Fundstätte neben dem Löwenberggrab und noch einem weiteren. In ihm befindet sich das Grab des sechsten Königs Chu Liu Zhu (128 bis 116 v. Chr.) und seiner Gattin Prinzessin Tou Wan. Der unterirdische Grabpalast wurde 1968 entdeckt, aber erst nach dem Ende der sogenannten Kulturrevolution konnte man daran denken, die Erforschung dieser einzigartigen Anlage in Angriff zu nehmen. Man fand dabei, dass das Grab mit seinen 15 Räumen bereits in der Antike von Grabräubern geöffnet und ausgeplündert worden war. Trotzdem konnten aus den Resten, zu denen neben Keramiken, Kleinplastiken und Geräte aus Bronze, Jade und anderen Materialien, Möbelfragmenten vor allem zwei Jadepanzer und ein Sarkophag mit Jadezier zählen, eine ziemlich genaue Vorstellung von der einstigen Einrichtung gewonnen werden.

Zugang zum Grabpalast im Schildkrötenberg
Zugang zum Grabpalast im Schildkrötenberg
Photo: G. Jontes, unter CC BY 4.0
Archäologe Xia mit Plan des Grabes im Schildkrötenberg
Archäologe Xia mit Plan des Grabes im Schildkrötenberg
Photo: G. Jontes, unter CC BY 4.0
Das Grabgewand museal präsentiert
Das Grabgewand museal präsentiert
Photo: G. Jontes, unter CC BY 4.0

Die kulturell sehr aufgeschlossene Stadtverwaltung von Xuzhou erkannte den kulturellen Wert dieser Funde in einer Zeit als sich China vom Beginn der 80er Jahre des 20. Jahrhunderts auch dem Tourismus – vorerst dem seiner eigenen Bürger, dann auch westlicher Besucher – öffnete. Mehrere Museen bieten heute einen Einblick in die erhabene Vergangenheit, so das Museum der Funde (Xuzhou bowuguan) und das Museum der Steinabreibungen. Beide wurden auch als landschaftliche Akzente gesetzt. Ein sehr fachkundiges Team von Archäologen und Restauratoren erforscht, betreut und präsentiert die Funde, die zum Teil auch als Ausstellungsobjekte nach Europa kommen. 1998 fand eine solche, vom Verfasser kuratiert, auch in Leoben statt.

Ein besonderes Prunkstück dieser Ausstellung war ein Jade-Grabgewand, das den Herrscher im Jenseits auch in seiner physischen Existenz beschützen sollte.

Jade (chin. yù) ist mineralogisch gesehen kein eigenes Mineral, sondern ein Gemenge aus Jadeit und Nephrit. Das westliche Wort Jade stammt aus dem spanischen piedra de ijada, was soviel wie „Nierenstein“ bedeutet, das aber nichts mit dem pathologischen Befund , sondern damit zu tun hat, dass Nephrit (griech. nephros „Niere“ auf den muscheligen, nierenförmigen Bruch des Minerals gemünzt ist. Jade ist sehr hart, wurde aber bereits im 3. Jahrtausend v. Chr. während der Xia-Dynastie mit einfachen Bronzegeräten bearbeitet. Das stellt handwerklich eine schier unglaubliche Leistung dar. Jade kommt in zahlreichen Farbschattierungen vor, die von durchsichtigweiß bis zu schwarz mit vielen Farbvarianten aufscheinen. Als kostbarste gilt die smaragdgrüne Kaiserjade (chin. wang yu). Sie kommt aus Burma/Myanmar und verdankt ihren aufregend schönen Farbton winzigen Chromeinlagerungen. Bezeichnender Weise ist das chinesische Schriftzeichen für Jade das Piktogramm für König mit einer nur leichten Abweichung.

Magische Bi-Scheibe als Grabbeigabe
Magische Bi-Scheibe als Grabbeigabe
Photo: G. Jontes, unter CC BY 4.0

Sie galt wohl ihrer Härte wegen als unzerstörbar und dafür geeignet, sowohl Verwesung zu verhindern als auch die Lebensenergien des Toten für das Jenseits zu erhalten und die Balance dieser Energien in ausgeglichener Weise zu garantieren. Es entwickelte sich auch ein wahrer Jadekult, indem man Ritualgeräte und die bekannten Bi-Scheiben als Himmelsorakelscheiben daraus verfertigte.

Auch das Leitmotiv der sakralen Kunst und des Kaisertums, der Drache, wurde oft aus Jade geschaffen. Selbst in der jüngeren chinesischen Kulturgeschichte treten zum Teil monumentale Jadearbeiten auf, so etwa die bekannte Figur des ruhenden Buddha im Jadebuddha-Tempel von Shanghai. Heute wird Jade vor allem zu Schmuck verarbeitet, der auch im Westen steigenden Anklang findet. Das Mineral ist nicht nur auf Ostasien beschränkt. Auch im präkolumbianischen Mittelamerika haben die Maya und andere indigene Kulturvölker sich der Jade für Ritualgeräte, Masken und dergleichen bedient.

Wie erwähnt wurden Grabpanzer aus Jade nur in der Han-Zeit in den Totenkult eingeführt. Aus bis zu 4000 rechteckigen dünnen Plättchen nach der Körperform wie nach Maß zusammengestellt, wurden diese Teile mittels Draht verbunden, der als Gold-, Silber- oder Bronzedraht durch die Bohrungen an den Ecken eingeführt und mit einem besonderen Knoten geschlossen wurde. Für eine Goldbindung brauchte man etwa 1,5 kg entprechend dünnen Draht. Bei dieser Maßanfertigung drängt sich der Vergleich mit der Herstellung mittelalterlicher westlicher Kettenhemden aus Eisenringen auf. Beide Beine und Füße, beide Arme und Hände samt den Fingern, der Leib, der Kopf und das Gesicht wurden so vollständig bedeckt und eingeschlossen.

Brustteil, Arm und Kopf mit Gesichtsmaske
Brustteil, Arm und Kopf mit Gesichtsmaske
Photo: G. Jontes, unter CC BY 4.0
Detail der Bindung der Jadeplättchen mit Metalldraht
Detail der Bindung der Jadeplättchen mit Metalldraht
Photo: G. Jontes, unter CC BY 4.0
Detail der Bindung der Jadeplättchen mit Metalldraht
Detail der Bindung der Jadeplättchen mit Metalldraht
Photo: G. Jontes, unter CC BY 4.0
Gesichtsmaske mit Nase auf dem Kopfpanzer
Gesichtsmaske mit Nase auf dem Kopfpanzer
Photo: G. Jontes, unter CC BY 4.0

Damit nicht genug wurden innerhalb des Panzers auch alle Körperöffnungen mittels kleiner Pflöcke verschlossen. In den Mund wurde ein Zikade aus Jade gelegt, in das After ein kleines Schweinchen ebenfalls aus diesem Material eingeführt. Das Schwein – wie auch im Westen - als altes Glückssymbol hat also auch hier noch eine „hintergründige“ Funktion gefunden.

Jadezikade Sammlungen Jontes
Jadezikade Sammlungen Jontes
Photo: G. Jontes, unter CC BY 4.0
Jadeschweinchen als Verschluss für den After
Jadeschweinchen als Verschluss für den After
Photo: G. Jontes, unter CC BY 4.0

Was offensichtlich misslang war die Verhinderung von Verwesung. Der Leib des Toten zerfiel, wurde nicht einmal mumifiziert. Es fanden sich nur vertrocknete Gewebeteilchen.

Die kargen Überreste eines Königs
Die kargen Überreste eines Königs
Photo: G. Jontes, unter CC BY 4.0
Die kargen Überreste eines Königs
Die kargen Überreste eines Königs
Photo: G. Jontes, unter CC BY 4.0

Für die Grabräuber war der Jadepanzer, wenn man von dem Metalldraht absieht, wertlos, denn was der „Markt“ begehrte, waren kunstvolle Jadegegenstände und Metalle. Sie ließen deshalb das Grabgewand zurück, dessen Teile zerstreut aufgefunden wurden. Ein winziges, vergessenes Stückchen „Golddraht“ zeigte, dass hier mit „Ersatz“ gearbeitet wurde. Es handelte sich nur um einen Bronzedraht, der mit einer hauchdünnen Schicht Goldfolie umwickelt war. Das ist auch ein Hinweis, dass sich die Liu-Familie durch die politischen und militärischen Umstände der späten Westlichen Han bereits im Niedergang befand und man sparen musste. Auch ein Sarg konnte nach den zerstreuten Jadeteilen konstruiert werden. Außer diesem in Xuzhou wurde bis dato nur ein einziger dieser Art in der Provinz Hebei gefunden.

Xuzhou/Jiangsu
Bestandphoto der verstreuten Jadeteile bei der Auffindung
Photo Museum Xuzhou, unter CC BY 4.0
Xuzhou/Jiangsu
Bestandphoto der verstreuten Jadeteile bei der Auffindung
Photo Museum Xuzhou, unter CC BY 4.0
Rekonstruierter Sarg mit Jadeauflagen
Rekonstruierter Sarg mit Jadeauflagen
Photo: G. Jontes, unter CC BY 4.0

Im Guishan-Grab gibt es auch unvollendete Kammern, die uns aber zeigen, wie die Steinmetzen solche Hohlräume in den gewachsenen Fels schlugen. Immerhin wurde die lange korridorartige Zugangszone mit riesigen Steinblöcken verschlossen. Aber die Grabräuber verstanden es in raffinierter Weise, an den Kanten Durchgreiflöcher in Meisselarbeit zu schlagen, durch dieselben Seile zu fädeln und mit vereinten Kräften die Blöcke herauszuziehen. Das heißt auch, dass dazu eine große Zahl von starken Männern erforderlich waren, die relativ ungestört ans Werk gehen konnten. Man kann Vergleiche mit den antiken Grabräubern anstellen, die in die Gräber der Pharaonen eindrangen und alles ausplünderten.

Unvollendete Kammer mit sichtbaren Spuren der Steinmetzarbeit
Unvollendete Kammer mit sichtbaren Spuren der Steinmetzarbeit
Photo: G. Jontes, unter CC BY 4.0

1997/98 begannen die Restauratoren mit der Zusammensetzung des Grabpanzers von König Chu Lius Zhu. Es stellte ein schwieriges Puzzlespiel dar, an die 4000 Jadeplättchen passgenau zusammenzufügen. Aber Geduld ist eine der Haupttugenden von Restauratoren. Und hier glichen diese in Xuzhou ihren Vorfahren, die mit unendlicher Geduld diese Teile aus dem so überaus harten Stein herausgearbeitet hatten. Diese Jade stammte übrigens aus Hetian in der Provinz Xinjiang. Das heißt, dass dieses Mineral auch als weiträumiges Handelsgut durch das Reich unterwegs war.

Arbeitstisch des Restaurators
Arbeitstisch des Restaurators
Photo: G. Jontes, unter CC BY 4.0

Um das Grabgewand wieder in seiner einstigen Gestalt auferstehen zu lassen, wurden die einzelnen Körperteile aus modernen Materialien vorgefertigt und auf diese die Plättchen, wenn man den Zusammenhang erkannt hatte, aufgelegt. So entstand in zwei Jahren das Gewand wieder und war dann so vollendet, dass man es der Öffentlichkeit präsentieren, museal ausstellen und auch auf Ausstellungsreisen schicken konnte. Hätten sich diese Herrscher vorgestellt, dass ihre Unsterblichkeit sich auf solche Weise manifestieren würde?

Das Grabgewand der Prinzessin/Königin Tou Wen wurde bereits in den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts aus verstreuten Resten zusammengefügt. Er wurde damals 1973 in Paris und ein Jahr später in Wien im Rahmen der Ausstellung „Archäologische Schätze aus der Volksrepublik China“ gezeigt. Dieser Panzer besteht aus 2160 Jadeplättchen. Die Bindung erfolgte hauptsächlich durch mit Seide umwickelten Eisendraht, beim Brustteil war es nur ein Leinenstoff. Aber bestimmte Teile bestanden aus dem königlichen Gold, aus welchem 703 Gramm zu Draht gezogen worden waren.

Teilweise aufgelegte Teile des Körperteiles
Teilweise aufgelegte Teile des Körperteiles
Photo: G. Jontes, unter CC BY 4.0
Das Puzzlespiel am Halspanzer
Das Puzzlespiel am Halspanzer
Photo: G. Jontes, unter CC BY 4.0
Arbeit am Fuß
Arbeit am Fuß
Photo: G. Jontes, unter CC BY 4.0
Beim Auflegen zuordenbarer Teile, Photo: G. Jontes
Beim Auflegen zuordenbarer Teile
Photo: G. Jontes, unter CC BY 4.0
Beim Auflegen zuordenbarer Teile
Beim Auflegen zuordenbarer Teile
Photo: G. Jontes, unter CC BY 4.0
Beim Auflegen zuordenbarer Teile
Beim Auflegen zuordenbarer Teile
Photo: G. Jontes, unter CC BY 4.0
Fachgerechte Verpackung des restaurierten Jadepanzers
Fachgerechte Verpackung des restaurierten Jadepanzers
Photo: G. Jontes, unter CC BY 4.0


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