Hopfen und Malz verloren#
Umstrittene Patente auf Braugerste für Bier: Europas Patenthüter beraten nun, ob weitere Zuchtpflanzen privatisiert werden sollen.#
Von der Wiener Zeitung (Donnerstag, 27. April 2017) freundlicherweise zur Verfügung gestellt.
Von
Eva Stanzl
"Mei Bier is ned deppert!" Mit diesen Worten nimmt Karl Merkatz als Fernseh-Wiener Mundl seine volle Flasche in Schutz. Ob jeder Bürger dieses Landes ähnlich passioniert wäre, ist Spekulation, aber auf jeden Fall lieben die Österreicher ihr Bier. 1,77 Krügerl trinken sie pro Kopf und Nase täglich, oder 103,2 Liter Bier im Jahr. Das aus Getreide und Malz gewonnene Gebräu ist das beliebteste alkoholische Getränk. Nun aber ist es nicht mehr jedermanns Sache, sondern das Eigentum zweier multinationaler Konzerne - zumindest bis zu einem gewissen Grad.
Das Europäische Patentamt (EPA) hat den Firmen Heineken, Eigentümer der österreichischen Brau Union, und Carlsberg drei Patente für die Verwendung einer für den Herstellungsprozess wesentlichen Zutat, der Braugerste, und alle daraus gewonnenen Produkte erteilt. Laut den Brauereimultis lassen sich mit der Pflanze besonders wohlschmeckende, gut lagerbare Biere energieeffizient herstellen. Heute, Donnerstag, soll entschieden werden, ob das Beispiel in Europa Schule machen soll.
Der Rechtsausschuss der Europäischen Patentorganisation in München tagt und die Ergebnisse der Sitzung gelten als richtungsweisend für die Eigentumsrechte an Nahrungsmitteln, die mit herkömmlichen Züchtungsverfahren hergestellt wurden. Diskutiert werden Handlungsoptionen für die von "durch biologische Verfahren gewonnene Pflanzen und Tiere. Die EU-Länder haben sich dagegen ausgesprochen. Nun geht es darum, wie diese Haltung in Gesetze gefasst und die Gesetze in die Praxis der Patenterteilung überführt werden können", erklärt Ralf Osterwalder, Sprecher des Europäischen Patentamts.
Nicht erfunden, sondern gefunden
Dürfen traditionelle Lebensmittel Privateigentum sein? EU-Regierungen sagen nein. "Ich bin für Gerstenvielfalt und gegen Einheitsbier. Patente auf Saatgut, Pflanzen und Tiere sind inakzeptabel", betont etwa Infrastrukturminister Jörg Leichtfried. Schon vor zwei Jahren, als der US-Konzern Monsanto ein Patent für eine Sorte Brokkoli anmeldete, habe sich Österreich dagegen positioniert. "Patente sorgen für Rechtssicherheit in Forschung und Entwicklung. Pflanzen und Tiere sind jedoch keine technische Erfindung und müssen vom Patentrecht ausgenommen sein", so Leichtfried. Das sieht auch das Europäische Parlament so. Zusammen mit den Staaten hat es das EPA aufgefordert, die Erteilung von Patenten auf Pflanzen und Tiere aus herkömmlicher Züchtung zu stoppen. Doch bisher ist das Patenamt dieser Forderung nicht nachgekommen. Die Krux dabei ist: EPA und EU sind nicht über die gleiche Rechtsordnung verbunden und das Patentamt hat Ermessensspielraum. Es finanziert sich aus Patent-Erteilungen.
Das Genom der Gerste umfasst 39.000 Gene und 5,2 Milliarden Basenpaare. "Bereits vor 12.000 Jahren wurde die Geste im Nahen Osten angebaut. Sie ist eines der wichtigsten Getreide und besitzt in etwa gleich viel Erbmaterial wie der Mensch", sagt Thomas Wicker von der Universität Zürich. Braugerste sei keine gentechnisch veränderte, sondern eine natürliche Pflanze, die durch zufällige Mutationen im Erbgut entstanden ist. Ihre Eigenschaften für die Brauerei seien schon lange im Einsatz.
"Ähnlich verkehrt wie die Privatisierung von Wasser"
Die Züchtung von Gerste und das Brauen von Bier sei nicht Innovation, sondern Tradition, betonen Patent-Kritiker: Man habe nicht etwas erfunden, sondern etwas gefunden. "Patente für natürliche Pflanzen und in der Natur vorkommende Lebensmittel sind die Aneignung einer Lebensgrundlage, und Lebensgrundlagen sind, wie Luft und Wasser, Gemeingut. Sie zu Eigentum zu erklären, ist ähnlich verkehrt wie die Privatisierung von Wasser durch Konzerne", betont Beate Koller, Geschäftsführerin des Vereins Arche Noah. Zusammen mit anderen Nichtregierungsorganisationen hat der Verein zum Schutz von Pflanzensamen die Patente auf Braugerste beeinsprucht.
Das älteste überlieferte Bier-Rezept stammt aus China und wurde vor 5000 Jahren kreiert. Bier ist somit fast so alt wie Wein. Es findet sich im heimischen Index traditioneller Lebensmittel, die erste gewerbliche Erzeugung in Österreich geht auf die Mühlviertler Brauerei Hofstetten und das Jahr 1229 zurück. Heute arbeiten hierzulande 214 Brauereien, mehr als die Hälfte davon sind Kleinbetriebe. In Europa gibt es mehr als 6500 Unternehmen.
Derzeit stehen Züchtungspflanzen unter dem Sortenschutz. Dieser gibt Züchtern das Recht, ihre Kreationen exklusiv zu verkaufen, jedoch dürfen Mitbewerber darauf aufbauen und die Pflanzen weiter entwickeln. Hingegen gewährt ein Patent das Exklusivrecht auf alle Prozesse, bei denen die patentierte Pflanze zum Einsatz kommt. "Wenn Sie ein Patent verbessern, müssen Sie sich mit uns in Verbindung setzen und Lizenzgebühren bezahlen", erklärt EPA-Sprecher Osterwalder.
170 Patente hat das EPA allein 2016 auf Pflanzen und Pflanzenzucht erteilt, berichtet die Initiative "Keine Patente auf Saatgut!". Nur 60 davon betreffen Verfahren zur gentechnischen Veränderung von Pflanzen, die die europäische Biopatentrichtlinie erlaubt. Insgesamt gebe es 3000 europäische Patente auf Nutzpflanzen. 200 davon bestehen für konventionelle Züchtungen, darunter eine wasserarme "Schrumpeltomate", die sich zur Herstellung von Ketchup eignet, eine Brokkoli-Art, die laut ihren "Erfindern" Krebs vorbeugt, und Pflanzen, die gegen Schädlinge immun sind. Die Firmen mit den meisten Anmeldungen sind Dupont (38), Monsanto (22), Dow AgroSciences (16), Bayer (14) und Syngenta (7).
Mehr als 300 Patentanträge auf biologische Züchtungsverfahren warten auf Prüfung. "Darin werden Weizen, Mehl und Brot, Tomaten, Salate und Gurken als Erfindungen der Industrie beansprucht", betont Ruth Tippe, die die Recherche für "Keine Patente auf Saatgut!" gemacht hat: "Diese Firmen vergeuden nicht einfach Zeit und Geld. Sie erwarten, dass die Patente auch erteilt werden."
Unter dem Titel "Hopfen und Malz verloren" warnt das Umweltinstitut München vor einem Verlust der landwirtschaftlichen Vielfalt. "Patente auf Lebewesen bedrohen die Existenzgrundlage von Bauern und Bäuerinnen und gefährden die Artenvielfalt", heißt es auf der Homepage. Die Kosten für Verbraucher steigen, die Wahlfreiheit würde eingeschränkt. Der Agrarindustrie würden Patente Gewinne in Milliardenhöhe einbringen: "Im Jahr 2014 stammten mehr als 52 Prozent der weltweiten Bier-Produktion von den fünf größten Brauereikonzernen, zu denen auch Carlsberg zählt."
Auch alte Sorten könnten betroffen sein
Konzentrationsprozesse auf den Lebensmittel-Märkten führen dazu, dass kleine Mitbewerber immer schwerer überleben. Da es nirgends geschrieben steht, können mittelständische Züchter nicht wissen, ob eine Pflanze, mit der sie arbeiten, patentiert ist. Ihre Arbeit verkompliziert sich ähnlich wie das Leben eines Walnuss-Allergikers, der ohne Packungsbeilage erkennen können muss, ob sich in einem Produkt eine Nuss versteckt. "Jederzeit kann jemand kommen und sagen: Womit du arbeitest, gehört uns", sagt Beate Koller: "Das führt dazu, dass kleine Züchter sich aus dem Minenfeld zurückziehen, während sich die großen die Patente teilen. Sie schließen sie einen ,Nichtangriffspakt‘ und gehen gegen Dritte vor." Auch Samen-Archive für alte Sorten, die aufgrund ihrer Geschmacksvielfalt auf Bauernmärkten und in Restaurants enorm beliebt sind, könnten irgendwann von Eigentumsrechten betroffen sein. Dann werden die Menschen kleinere Paletten an Geschmackserlebnissen und schmalere Bandbreiten an Nährstoffen auf dem Teller haben.