Seite - 28 - in Österreich und die deutsche Frage 1987–1990 - Vom Honecker-Besuch in Bonn bis zur Einheit
Bild der Seite - 28 -
Text der Seite - 28 -
28
Einleitung: Österreich und die deutsche Frage 1945–1990
tern: „Die österreichische Seite wich einer Antwort auf die sowjetischen Darle-
gungen zur deutschen Frage aus.“88
Diese Beispiele zeigen, dass die Sowjetunion stets darauf insistierte, dass die
österreichische Neutralität eine Anerkennung beider deutscher Staaten verlangen
würde. Das gut funktionierende bilaterale Verhältnis zu Österreich sollte aber
nicht durch ein allzu vehementes Drängen auf die Anerkennung der DDR belastet
werden. Dies lag daran, dass für die Sowjetunion die Entwicklung der zwischen-
staatlichen Beziehungen zum neutralen Österreich von größerer Bedeutung war,
als dessen Beziehungen zum ostdeutschen Staat. Moskaus Ziel bestand darin,
das Verhältnis mit Österreich zu einem „Musterbeispiel“ der sowjetischen Poli-
tik der „friedlichen Koexistenz“ auszugestalten.89 Raab hatte schon im Vorfeld
der Unterzeichnung des Staatsvertrags am 15. Mai 1955 die Absicht der UdSSR
erkannt, „Österreich als einen Musterknaben zum Schwarzen Peter Deutschland
darzustellen“ und die sich daraus erwachsenden souveränitätspolitischen Mög-
lichkeiten genutzt. In der Neutralität sah er eine identitätsstiftende Funktion für
sein Land. Von den Finnen hatte er bezüglich der vermögensrechtlichen Rege-
lungen erfahren, daß „die Russen bis auf das i-Tüpferl vertragstreu“ seien.90 Die
Sowjetunion behielt ihre Vorgehensweise auch noch im Herbst 1972 bei, als die
Anerkennung der DDR bereits bevorstand.91
4. Österreich, die europäische Integration und die Anerkennung
der DDR im Zeichen der Entspannung (1961–1972)
Während Moskau hinsichtlich der Anerkennungsfrage gegenüber Österreich sehr
behutsam vorging, war der Ton der Sowjetunion, wenn es um das Verhältnis
zur Bundesrepublik ging, schon viel schärfer. Eine erste Belastungsprobe stellte
das österreichische Ansinnen vom 15. Dezember 1961 dar, eine Assoziierung mit
der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) zu erreichen. Aus sowjetischer
Sicht war jede Verbindung mit der EWG dem Anschlussverbot des Artikels 4 aus
88 Vermerk über ein Gespräch mit dem Leiter der DDR-Sektion im MID, Genossen Scharkow, am
22. Juni
1968, gezeichnet Botschaftsrat Seidel, Moskau, 1. Juli
1968, PA / AA, MfAA, C
1491/74,
Bl. 93–97.
89 Wolfgang Mueller, A Good Example of Peaceful Coexistence? The Soviet Union, Austria, and
Neutrality 1955–1991, Wien 2011, S. 156–157, 165–166, 169 und 173.
90 Michel Gehler, Raab, Julius, in: Neue Deutsche Biographie, hg. v. d. Historischen Kommis-
sion bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Bd. 21, Pütter-Rohlfs, Berlin 2003,
S. 51–53.
91 Botschafter Haymerle an BMAA, Moskau, 14. November 1972, ÖStA, AdR, BMAA, II-Pol
1972, DDR 2, Gr.Zl. 150.188–6/72, GZ. 166.433–6(Pol)/72, Karton Pol-72–15; Amtsvermerk,
Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit der DDR; Gespräch mit dem sowjetischen Ge-
schäftsträger, gezeichnet Generalsekretär Wodak, Wien, 30. November
1972, Zl.
2908-GS/72,
ÖStA, AdR, BMAA, II-Pol 1972, DDR 2, Gr.Zl. 150.188–6/72, GZ. 167.650–4/72, Karton
Pol-72–15.
zurück zum
Buch Österreich und die deutsche Frage 1987–1990 - Vom Honecker-Besuch in Bonn bis zur Einheit"
Österreich und die deutsche Frage 1987–1990
Vom Honecker-Besuch in Bonn bis zur Einheit
- Titel
- Österreich und die deutsche Frage 1987–1990
- Untertitel
- Vom Honecker-Besuch in Bonn bis zur Einheit
- Herausgeber
- Michael Gehler
- Maximilian Graf
- Verlag
- Vandenhoeck & Ruprecht Verlage
- Ort
- Göttingen
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-35587-5
- Abmessungen
- 15.5 x 23.2 cm
- Seiten
- 792
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung: Österreich und die deutsche Frage 1945–1990 7
- I. Vorbemerkungen 7
- II. Ausgangsbedingungen und Vorgeschichte: Von der „doppelten Staatsgründung“ zur Perpetuierung deutscher Zweistaatlichkeit (1949–1987) 11
- 1. Die Entwicklung bis zum Entscheidungs- und Zäsurjahr 1955 11
- 2. Gescheiterte Vermittlungsversuche (1958–1963) 19
- 3. Die Entwicklung bis zum Grundlagenvertrag 1972 23
- 4. Österreich, die europäische Integration und die Anerkennung der DDR im Zeichen der Entspannung (1961–1972) 28
- 5. Das Verhältnis Österreichs zu den beiden deutschen Staaten bis zum Bonn-Besuch Honeckers (1972–1987) 32
- III. Österreich und die deutsche Frage 1987–1990 38
- 1. Österreich und die scheinbare Stabilität des SED-Regimes 38
- 2. Die Grenzöffnung im Kontext der Langzeitentwicklungen und ihre direkten Folgen 43
- 3. Österreichs Annäherungen an das gemeinschaftliche Europa, die Bundesrepublik und die deutsche Frage 50
- 4. „Mauerfall“ und „Wiedervereinigung“: Die Haltung Österreichs bis Ende 1989 63
- 5. Österreich und die deutsche Frage Anfang 1990 75
- 6. Der Einigungsprozess und seine internationale Durchsetzung aus österreichischer Sicht 86
- 7. Österreichs Abschied von der DDR 92
- 8. Österreich, die deutsche Einheit und der Weg nach Europa – Bilanz und Ausblick 95
- IV. Editorische Vorbemerkungen 99